Wenn Algorithmen Kartelle bilden

Kartelle verlagern sich zunehmend ins Internet. Mit dem Vormarsch der künstlichen Intelligenz steigt zudem die Gefahr, dass selbstlernende Algorithmen stillschweigende Preisabsprachen treffen. Wie reagieren die Wettbewerbshüter?

Natalie Gratwohl
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Fluggesellschaften verwenden Algorithmen, um ihre Preise jenen der Konkurrenz anzupassen. (Martin Ruetschi / Keystone)

Fluggesellschaften verwenden Algorithmen, um ihre Preise jenen der Konkurrenz anzupassen. (Martin Ruetschi / Keystone)

Preisabsprachen finden längst nicht mehr nur in verrauchten Hinterzimmern statt, sondern Unternehmen bilden vermehrt auch im digitalen Raum Kartelle. So haben etwa Fluggesellschaften über eine Datenbank Flugpreise abgestimmt. Oder Reisebüros haben eine Software als Mitteilungsdienst genutzt, um das Verhalten zwischen verschiedenen Unternehmen abzustimmen. In einem weiteren Fall haben Firmen Verkäufe von Postern über Amazon koordiniert und dabei die Preise durch den Einsatz von Algorithmen abgesprochen.

Die Konkurrenz im Visier

Laut Andreas Heinemann, Präsident der Wettbewerbskommission (Weko), können die Wettbewerbshüter mit solchen Fällen gut umgehen, weil bei den Firmen eine klare Absicht zur Preiskoordination erkennbar ist. Um eine Kartellabsprache handle es sich etwa auch, wenn Unternehmen absichtlich den gleichen Algorithmus zur Preisberechnung einsetzten.

Immer mehr Unternehmen verwenden solche Preisalgorithmen, welche die Preise der Konkurrenz im Internet verfolgen und in Sekundenschnelle darauf reagieren. Im Zuge des Fortschritts auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens entstehen auch selbstlernende Computer, die keinen definierten Regeln folgen, sondern eigene Lösungen finden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Selbstlernende Algorithmen können etwa so programmiert werden, dass sie mit der Preissetzung den Gewinn für das Unternehmen maximieren. Dafür beobachten sie das Verhalten anderer Maschinen und leiten daraus eine Strategie ab. Je nach Marktumfeld entscheidet sich der Algorithmus etwa dafür, Konkurrenten mit einer Tiefpreisstrategie aus dem Markt zu drängen, oder aber es erscheint eine stillschweigende Absprache mit anderen Maschinen lohnender.

«Mit selbstlernenden Algorithmen haben wir bisher noch keine Erfahrungen gesammelt», sagt Heinemann. Dies sei aber ein bedeutendes Thema, das die Wettbewerbshüter genau unter die Lupe nehmen würden. Unter den Kartellbehörden bestehe Einigkeit, dass die Entwicklung mit Risiken verbunden sei.

Kartellrechtler diskutieren das Phänomen intensiv. So skizzieren etwa Ariel Ezrachi von der University of Oxford und Maurice E. Stucke von der University of Tennessee in einem wissenschaftlichen Artikel eine Welt, in der Algorithmen miteinander «kooperieren». Diese stillschweigende Kollusion zwischen Maschinen führt nicht nur dazu, dass die Preise über dem Wettbewerbsniveau gehalten und damit die Konsumenten geschädigt werden. Vielmehr könnte laut den Kartellrechtlern dadurch auch weiteres wettbewerbshemmendes Verhalten ausgelöst und andere Märkte angesteckt werden. Inwiefern solche Szenarien Realität werden und in welchem Mass der Wettbewerb dadurch künftig beeinträchtigt werden könnte, ist schwierig abzuschätzen.

Bei einer «Koordination» zwischen selbstlernenden Algorithmen besteht anders als etwa bei den Kartellabsprachen zu den Flugpreisen oder bei der Koordination der Posterverkäufe keine explizite Vereinbarung der Firmen zur Preisabsprache. Laut Armin Schmutzler, Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich und Mitglied der Wettbewerbskommission, ist es in den meisten Ländern eine offene Frage, ob bei solchen stillschweigenden Preisabsprachen selbstlernender Algorithmen die Firmen auf der Grundlage bestehender Gesetze bestraft werden könnten.

Die OECD befürchtet, dass Firmen genau diese Grauzone ausnutzen könnten, um die Preise über Wettbewerbsniveau zu halten, ohne dafür explizit Absprachen treffen zu müssen. So könnten etwa dank Algorithmen neue automatische Mechanismen geschaffen werden, die den Firmen die Implementierung einer gemeinsamen Richtlinie zur Preisabsprache ermöglichen – ohne dass dafür eine menschliche Interaktion notwendig wäre.

Möglich ist aber auch, dass sich Maschinen bei der Umsetzung der Strategie zur Gewinnmaximierung für die «Kooperation» mit anderen Maschinen entscheiden, auch wenn dies nicht der Absicht der Firmen entspricht. Im Wettbewerbsrecht stellt sich deshalb die Frage, wer für das Verhalten der selbstlernenden Algorithmen verantwortlich ist. Aus Sicht von Heinemann könnte man das Problem in den Griff kriegen, indem man die Firmen verpflichten würde, die eigene Software zu beobachten und einzuschreiten, wenn das Programm die Preise nicht nur den Marktpreisen anpasst, sondern mit anderen zusammenwirkt. Ähnlich sehen dies die Kartellbehörden in anderen Ländern. So ist etwa für die EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager klar, dass sich Unternehmen nicht hinter einer Software verstecken können. Sie müssten vielmehr beim Einsatz von Algorithmen durch eine entsprechende Programmierung sicherstellen, dass sie damit nicht gegen Wettbewerbsrecht verstossen.

Für die Wettbewerbshüter ist das Thema Neuland. Sie beobachten den Trend und tauschen sich im Rahmen der OECD dazu aus. «Bisher sehen wir aber noch keinen Anlass, um ins Marktgeschehen einzugreifen», sagt Heinemann. Die Weko etwa analysiert die Entwicklung, kann das Thema aus kartellrechtlicher Sicht allerdings noch nicht abschliessend beurteilen. Die Behörde baut jedoch technisches Know-how auf, um Fehlverhalten im digitalen Raum besser auf die Spur zu kommen. Allerdings nützen auch die besten Spezialisten nichts, wenn ihnen die Unternehmen keinen Einblick in die Funktionsweise des Algorithmus gewähren. Die Wege, um Kartelle aufzudecken, sind im digitalen Raum grundsätzlich die gleichen wie in den traditionellen Märkten. Die Wettbewerbshüter erhalten Hinweise durch Selbstanzeigen, Whistleblower oder die eigene Aufklärungsarbeit. Zur Aufklärungsarbeit gehört etwa, dass die Behörden die Preissetzung auf verschiedenen Online-Märkten beobachten, um Anomalien aufzuspüren, die auf eine Absprache hindeuten.

Die Konsumenten zahlen zu viel

Stossen die Wettbewerbshüter dabei auf mutmasslich überhöhte Preise, kann dies an einer stillschweigenden Absprache liegen oder die Folge einer expliziten Preisabsprache zwischen Unternehmen sein. Die ökonomischen Auswirkungen sind nämlich ähnlich; in beiden Fällen zahlen die Konsumenten zu viel für die Produkte. Stillschweigende Absprachen beziehungsweise ein sogenanntes Parallelverhalten gibt es auch in traditionellen Märkten. Laut Schmutzler ist diese Koordination dort jedoch schwieriger, weil die Unternehmen – ähnlich wie ein altes Ehepaar – dafür sehr viel übereinander wissen müssen, ohne sich darüber tatsächlich ausgetauscht zu haben. In der digitalen Welt könnte dieses Verhalten nun aber eine neue Qualität erlangen und auch dazu führen, dass künftig die Gesetze und die Rechtspraxis dazu überdacht werden.