«Dieses Leben habe ich mir immer gewünscht. Aber wieso bin ich dann verdammt noch mal so verdammt unglücklich?», klagt die 19-jährige Youtuberin Elle Mills. (Bild: Screenshot Youtube)

«Dieses Leben habe ich mir immer gewünscht. Aber wieso bin ich dann verdammt noch mal so verdammt unglücklich?», klagt die 19-jährige Youtuberin Elle Mills. (Bild: Screenshot Youtube)

Wenn Youtuben zum Burnout führt

Auffällig viele erfolgreiche Youtuber verschwinden zurzeit von der Plattform. Wenn sie zurückkommen, diagnostizieren sie sich selber ein Burnout – verursacht durch das Gefühl, ständig auf Sendung sein zu müssen.

Manuel Frick
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Es klingt nach einem Traumberuf, und viele Jugendliche eifern ihnen nach: die Social-Media-Stars. Mit jedem Klick, den sie auf Plattformen wie Youtube oder Instagram erhalten, verdienen sie Geld. Entweder mit Werbung oder mit gezieltem Sponsoring. Eine Chefin? Haben sie nicht. Arbeitszeiten? Frei. In ihren Beiträgen beschäftigen sie sich mit einem Thema ganz nach ihrem Gusto oder stellen auch einfach nur sich selber dar. Jeder Klick und jeder zusätzliche Abonnent generiert mehr Aufmerksamkeit – die wichtigste Währung in der digitalen Welt – und vergrössert damit auch ihr Einkommen.

Doch in der schönen neuen Social-Media-Welt, wo die Sonne gerade besonders hell scheint, scheint auch der Schatten besonders dunkel zu sein. Das musste der schweizerisch-kosovarische Doppelbürger Bendrit Bajra feststellen, der mit seinen satirischen Clips über den Unterschied zwischen «Usslender» und «Schwiizer» vor einigen Jahren einen rasanten Aufstieg vom Autoersatzteilverkäufer-Lehrling in Schwamendingen in die Schweizer Prominenz hinlegte: Über 200 000 Abonnenten auf Facebook, knapp 60 000 auf Instagram. «Ich hatte Anzeichen von Burnout», sagte Bajra bei Teleclub Zoom. Der grosse Hype um seine Person begann im Alter von 19 Jahren, dann folgte ein Auftritt nach dem anderen, sein Lebensstil wurde immer ungesünder. Schliesslich hatte er einen Zusammenbruch, und danach kam lange kein lustiges Video mehr von Bendrit. So beschreibt der heute 22-Jährige rückblickend seinen Werdegang.

Mit seinen satirischen Videos erreichte Bendrit Bajra nationale Bekanntheit. Dann schrammte er nach eigenen Angaben knapp an einem Burnout vorbei. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Mit seinen satirischen Videos erreichte Bendrit Bajra nationale Bekanntheit. Dann schrammte er nach eigenen Angaben knapp an einem Burnout vorbei. (Bild: Goran Basic / NZZ)

Youtuber machen ihre Probleme publik

Der junge Schweizer ist nicht der einzige Social-Media-Star, der von solchen Symptomen berichtet. Besonders unter den Betreiberinnen und Betreibern von Youtube-Kanälen scheinen sich die Vorfälle zu häufen. Von den erfolgreichsten Youtubern habe sich jeder schon einmal mit dem Thema Burnout auseinandersetzen müssen, berichtete Polygon. «In letzter Zeit scheinen jedoch immer mehr mit ihren psychischen Gesundheitsproblemen an die Öffentlichkeit zu gehen», stellte das Online-Magazin für Computerspiele und Unterhaltungsmedien im Juni fest.

Die Kanadierin Elle Mills, 19-jährig, über 1,4 Millionen Abonnenten, berichtet auf Youtube von ihrer Leidensgeschichte – und baute auch Szenen ein, die sie in tiefer Verzweiflung und Zweifeln über den Sinn ihres Lebens als Social-Media-Star zeigen. «Dieses Leben habe ich mir immer gewünscht. Aber wieso bin ich dann verdammt noch mal so verdammt unglücklich?», schreit sie an einer Stelle in die Kamera. Sie fühle sich alleine und verspüre einen überwältigenden Druck, ständig neue Videos zu produzieren. Am Ende des Videos kündigt sie eine Auszeit an und entschuldigt sich, dass der Beitrag dieses Mal kein Happy End habe.

Das Video der jungen Mills, in dem sie sich selber ein Burnout diagnostiziert, reiht sich ein in eine ganze Folge von ähnlichen Clips einiger der erfolgreichsten Youtuber. Die meisten wurden zwischen Mai und Juni veröffentlicht.

«Ich habe meinen Geist und meinen Körper so stark strapaziert, dass ich von Youtube ein Burnout bekommen habe», sagt der deutsche Social-Media-Star mit dem Nickname NebelNiek. (Bild: Screenshot Youtube)

«Ich habe meinen Geist und meinen Körper so stark strapaziert, dass ich von Youtube ein Burnout bekommen habe», sagt der deutsche Social-Media-Star mit dem Nickname NebelNiek. (Bild: Screenshot Youtube)

Der Deutsche NebelNiek, dessen Nickname rückwärts gelesen «kein Leben» bedeutet, kündigt in seinem Bekenner-Video gleich seine Rückkehr von einer zweijährigen Youtube-Auszeit an. Mit dem Auftreten eines Hyperaktiven berichtet der junge Mann von seiner Leidensgeschichte: Eines Tages sei er mit Schmerzen aufgewacht und habe eine grosse innere Leere und Lustlosigkeit verspürt. Da war er 17 Jahre alt. Mit Gaming-Videos war der Teenager so erfolgreich geworden, dass er laut eigenen Angaben zeitweise 10 000 neue Abonnenten pro Tag gewann. Dafür betrieb er Raubbau an Körper und Geist: Er produzierte jeden Tag zwei neue Videos, verbrachte bis zu 20 Stunden vor dem Computer, ernährte sich schlecht und pflegte kaum soziale Kontakte – abgesehen von seinen über 700 000 Abonnenten in der virtuellen Welt. «Ich habe meinen Geist und meinen Körper so stark strapaziert, dass ich von Youtube ein Burnout bekommen habe.»

«Bei Youtube geht es nur um die Menge.»

Was Jugendliche anspornt, Youtuberin zu werden, ist nicht nur die ganz grosse Aufmerksamkeit, sondern auch das ganz grosse Geld. Der 28-jährige Schwede Felix Kjellberg, Nickname PewDiePie, über 66 Millionen Abonnenten, nahm zu seinen besten Zeiten 15 Millionen Dollar pro Jahr ein – mit Beiträgen, die ihn beim Spielen von Videogames zeigen. Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» krönte ihn dafür zum höchstbezahlten Youtube-Star des Jahres 2016. Die Einnahmen werden vor allem durch vorgeschaltete Werbung und gezielte Produktplacierungen im Video generiert. Jeder Klick zählt.

Der Schwede Felix Kjellberg verdiente 2016 mit seinen Youtube-Aktivitäten 15 Millionen Dollar – und warnt in einem Video den Nachwuchs. (Bild: Screenshot Youtube)

Der Schwede Felix Kjellberg verdiente 2016 mit seinen Youtube-Aktivitäten 15 Millionen Dollar – und warnt in einem Video den Nachwuchs. (Bild: Screenshot Youtube)

Ende Juli lud Superstar Kjellberg ein Video hoch, in dem er den Nachwuchs vor den Gefahren der Youtube-Welt warnt. Er nimmt Bezug auf die sich häufenden Burnout-Videos und erklärt: «So schnell, wie man aufsteigt, kann man auch fallen.» Sobald sich ein Abstieg abzeichne, steige der Druck. «Bei Youtube geht es nur um die Menge.» Nur wer konstant neue Beiträge hochlade, könne die Abonnenten bei der Stange halten. «Dann realisierst du, dass du keine Pause machen kannst.»

Algorithmus belohnt Quantität vor Qualität

Den konstanten Leistungsdruck, den Kjellberg beschreibt, hat die Forscherin Zoe Glatt der London School of Economics auch bei ihrer Recherche über Youtuber festgestellt. Den Grund sieht sie in der Funktionsweise der Plattform: «Der Algorithmus von Youtube bevorzugt Kanäle mit regelmässigen Uploads und einem engen inhaltlichen Fokus», sagte Glatt gegenüber dem «Guardian». «Die Videoproduzenten werden ermutigt, in ihrer Strategie Quantität stärker als Qualität zu bewerten, wenn sie erfolgreich sein wollen.» Welche Art von Inhalten der Algorithmus fördere oder eben eher aus dem Verkehr ziehe, sei aber nicht bekannt. Diese Unsicherheit führe zusammen mit dem Leistungsdruck zu einem «extrem prekären und stressigen Arbeitsleben».

Für Katherine Lo, die an der Universität des Gliedstaates Kalifornien in Irvine zum Thema Online-Communities forscht, liegt die Ursache der Burnouts bei Youtubern nicht nur am Druck zu Kontinuität in der Videoproduktion. Es gehe auch darum, die Zuschauer durch Interaktion in den sozialen Medien ständig in den eigenen Kanal mit einzubeziehen, sagte Lo gegenüber dem «Guardian». «Diese Art der Arbeit ist unsichtbar, aber sehr ermüdend und trägt zu einem grossen Teil zum arbeitsbedingten Stress bei.» Vor kurzem entwickelte die Forscherin eine Liste von Faktoren, die ein Risiko für die psychische Gesundheit von Produzenten darstellen können. Dazu zählt sie unter anderem den Stress durchs Lesen von Kommentaren, die finanzielle Unsicherheit bei der Sponsorensuche und das Unterhalten von professionellen Beziehungen zu anderen Youtubern, deren Empfehlungen ein Schlüssel für den eigenen Erfolg darstellen können.

Polizeikräfte durchsuchten im April das Youtube-Hauptquartier im kalifornischen San Bruno, nachdem eine Youtuberin aus Wut gegen den Algorithmus drei Angestellte angeschossen hatte. (Bild: Elijah Nouvelage / Reuters)

Polizeikräfte durchsuchten im April das Youtube-Hauptquartier im kalifornischen San Bruno, nachdem eine Youtuberin aus Wut gegen den Algorithmus drei Angestellte angeschossen hatte. (Bild: Elijah Nouvelage / Reuters)

Zurück zum Algorithmus: Er entscheidet, wie vielen Personen ein Video empfohlen wird, und damit auch, wie hoch das Einkommen einer Youtuberin ausfällt. Das scheint manche Produzenten wortwörtlich in den Wahnsinn zu treiben: Im April betrat eine 38-Jährige das Gelände des Youtube-Hauptquartiers im kalifornischen San Bruno, näherte sich einer Terrasse und begann mit einer 9-mm-Pistole auf Angestellte zu schiessen. Sie verletzte drei Personen, bevor sie sich selber erschoss. Einem Video, das die Täterin vor ihrem Angriff hochgeladen hatte, war zu entnehmen, dass sie glaubte, der Youtube-Algorithmus ignoriere ihre Beiträge. Und im März hatte sie auf Instagram gepostet: «Alle meine Kanäle werden von Youtube gefiltert. Auf diese Weise erhalte ich kaum Klicks.»