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  3. Autonomes Fahren: Der Fahrer soll immer haften – selbst wenn er unschuldig ist

Wirtschaft Versicherung fordert

Selbst der unschuldige Fahrer soll für das autonome Auto haften

Ressort Politik
Auch Ihr Auto kann mit dieser Technik selbst fahren

Sich Abends ins Auto setzen und am nächsten Morgen im Urlaubsort ankommen. Und das ohne selbst gefahren zu sein. Autonomes Fahren, für viele die Zukunft. Geht es nach einem deutschen Start-Up ist der Weg dorthin gar nicht mehr so lang.

Quelle: WELT

Autoplay
Wenn autonom fahrende Autos einen Unfall bauen, ist bisher unklar, wer dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Jetzt macht eine Versicherung einen neuen Vorschlag: Der Halter soll haften – egal, ob er Schuld hat oder nicht.
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Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) weiß genau, wie sein Auto in Zukunft aussehen wird. Es wird ganz von alleine fahren – autonom. Natürlich. „Rechts gibt es eine Bibliothek, links eine Kaffeemaschine“, plauderte der Minister jüngst mit WELT AM SONNTAG über seine automobilen Visionen und das Interieur seines Roboterautos. „Ich werde mich zurücklehnen, lesen, ein Glas Rotwein trinken und mich nach Paris zum Abendessen bringen lassen.“

So oder so ähnlich wird es kommen. Das versprechen die Autobauer, das versprechen Politiker wie Peter Altmaier. Vielleicht ohne Rotwein. Ohne den Trip nach Paris. Und nicht in zwei, drei Jahren, eher in zehn oder 15 Jahren. Aber Google und Uber, aber auch europäische Hersteller wie Daimler, BMW, Audi und Volvo machen intensiv Tests mit den Roboterautos, die uns das Leben leichter, den Verkehr flüssiger machen und die Unfallzahlen drücken sollen.

All das werden die autonom fahrenden Autos – vermutlich. 90 Prozent der schweren Unfällen sind auf Fehlentscheidungen des Fahrers zurückzuführen. Aber was passiert, wenn die Technik bei den fahrerlosen Fahrzeugen versagt? Denn es ist klar, dass auch IT-gestützte Systeme niemals hundert Prozent fehlerfrei arbeiten werden. Das zeigte zuletzt der Unfall eines Testwagens von Uber im März, der in einer Stadt im US-Bundesstaat Arizona eine Fußgängerin überrollte.

Die Frage ist, wer haftet, wenn ein solcher Pkw einen derartigen Unfall verursacht hat? Der Fahrer, der Systementwickler oder der Hersteller des Autos? Schon jetzt ist die Rekonstruktion und Regulierung von Kollisionen nicht immer einfach. Mit den fahrerlosen Autos steigt die Komplexität – darauf müssen die Politik und Versicherer reagieren.

Als CSU-Politiker Alexander Dobrindt noch Verkehrsminister war, hatte er für das komplexe Problem eine einfache Lösung: „In dem Moment, wo der Computer übernimmt, geht die Haftung auf den Hersteller über“, sagte er für den Fall eines Unfalls mit autonomen Autos. Damit würde in jedem Fall der Automobilhersteller zur Verantwortung gezogen, wogegen sich die Autoindustrie nach Kräften wehren würde. Aber die Allianz, die sich seit Monaten mit Haftungsfragen bei Roboterautos beschäftigt, hat ohnehin eine andere Vorstellung. Demnach müsste der Halter haften – auch wenn der keinen Fehler begangen hat.

Allianz: Der Halter haftet immer

Das autonom fahrende Auto ist ja nicht in eigener Regie unterwegs, es ist nicht völlig entmenschlicht. Befördert werden Fahrgäste aus Fleisch und Blut oder zumindest steht ein menschlicher Auftraggeber hinter jeder Fuhre. „Es gibt immer einen Menschen, der die intelligente Maschine, zum Beispiel das autonome Taxi oder aber auch den Pflegeroboter, in den Verkehr bringt, weil er davon einen Nutzen hat“, sagt Joachim Müller, Vorstandsvorsitzender der Allianz Versicherungs-AG. „Und genau hierfür gibt es Gefährdungshaftungen, die die Haftung dem Halter oder Betreiber der Maschine zuweisen.“

Gefährdungshaftung ist die Haftung für Schäden, die sich aus einer erlaubten Gefahr ergeben. Diese „Gefahr“ kann ein Haustier sein, zum Beispiel ein Kampfhund, aber auch eine Einrichtung, bei deren Nutzung es zu Unfällen kommen kann. ICE-Züge zum Beispiel oder eben autonom fahrende Autos.

Quelle: Infografik WELT

Das Prinzip finde heute bereits in vielen Fällen im Verkehrswesen Anwendung, beispielsweise in der Luftfahrt oder im Schienenverkehr. „Der Halter haftet hierbei verschuldensunabhängig für Fehler der Maschine. Dies ist gerechtfertigt, weil er auch den Nutzen daraus zieht“, sagt Müller. „Ich bin überzeugt, dass das Modell der Gefährdungshaftungen sich durchsetzen wird.“ Es passe für die Technologien der Zukunft und habe sich bei den neuen Technologien der vergangenen Jahrzehnte und insbesondere auch im Straßenverkehrsrecht lange bewährt.

Die Sachlage ist allerdings eine andere, wenn es tatsächlich eine nachweisbare Fehlfunktion des Autos gegeben hat, die zu dem Unfall führte. Wie das im Fall des Uber-Wagens im März offenbar der Fall war, als eine Fußgängerin auf die Straße getreten, von dem Auto erfasst und tödlich verletzt worden war.

In bestimmten Fällen gilt auch eine Produkthaftung

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Das Fahrzeug hätte unter keinen Umständen rechtzeitig abbremsen können, dafür war die Frau zu unvermittelt aufgetaucht. Aber das Auto hatte auch in den letzten Millisekunden keinerlei Anstalten gemacht, abzubremsen – es hatte die Passanten schlicht übersehen. Und das war nicht das erste Mal, dass das mit einem autonomen Testwagen in den USA geschehen ist.

Laut Allianz würde in solchen Fällen für die Hard- und Software die Produkthaftung gelten. „Der Ablauf wird meiner Meinung nach so sein, dass die Gefährdungshaftung mit einer Pflichtversicherung verbunden ist, so dass auch der haftende Halter geschützt ist. Dieses System kennen wir heute schon aus der Haftpflichtversicherung für unsere Fahrzeuge“, sagt Allianz-Vorstand Müller.

„Die Kfz-Haftpflichtversicherung des Fahrzeughalters entschädigt das Opfer oder dessen Angehörige, unabhängig davon, ob der Unfall durch einen Fahrfehler, einen technischen Defekt oder ein automatisiertes Fahrsystem verursacht wurde.“ Noch komplizierter wird es, wenn weder dem Halter noch der Fahrzeughersteller ein schuldhaftes Versagen vorzuwerfen sind.

Im Fall des Uber-Crashs ist die Verantwortung der Fahrerin noch nicht abschließend geklärt, sie hätte eigentlich die Hände am Steuer haben und jederzeit in der Lage sein müssen, einzugreifen. Was wie ein Video belegt, nicht der Fall war – die Frau war abgelenkt.

Aber sie hätte ohnehin nicht mehr schnell genug reagieren können, und nach vorläufigen Erkenntnissen war ein Softwarefehler die Ursache für, dass der Wagen keinerlei Anstalten machte, im letzten Moment wenigstens abzubremsen und damit nur indirekt der Autohersteller Volvo und dessen Sicherheitssystem.

Versicherung des Fahrers kann Hersteller in Regress nehmen

„Sollte sich herausstellen, dass ein Softwarefehler für ein Unfall verantwortlich war, würde die Versicherung gegebenenfalls den Fahrzeughersteller in Regress nehmen“, sagt Allianz-Vorstand Müller. „Hintergrund dieser Regelung ist die Idee, dass das Haftungssystem das unschuldige Verkehrsopfer schützen soll, unabhängig davon, ob der Halter eine Schuld für den Unfall trägt oder nicht.“ Das könne der Fall sein, wenn das Auto im selbstfahrenden Modus eine rote Ampel überfährt und jemanden schädigt oder der Parkassistent im Parkhaus ein Kind übersieht und anfährt.

Autonom fahrende Autos werden mit selbstlernender Software ausgestattet sein, also Systemen, die die Daten jeder Fahrt speichern, auswerten und ihre Schlüsse für künftige Reaktionen daraus ziehen. Die mit künstlicher Intelligenz gesteuerten Fahrzeuge stellen den Gesetzgeber und die Versicherungswirtschaft in der Frage der Haftung bei Unfällen vor neue Herausforderungen. Und es gibt ganz unterschiedliche Vorstellungen, wie die künftig geregelt werden soll.

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Die einen würden gerne die alleinige Haftung auf die Hersteller der Hardware verlagern, andere wiederum sehen den Softwarehersteller in der Verpflichtung, und wieder andere würden im Falle von künstlicher Intelligenz gleich die Maschine beziehungsweise das mit künstlicher Intelligenz ausgestattete System haften lassen. „Für mich steht fest, dass neue Technologien erst dann eine Akzeptanz in der Bevölkerung finden, wenn klar ist, dass Schäden ersetzt werden, wenn etwas schief geht“, sagt Joachim Müller.

Im Kern geht es um die Frage, ob Maschinen haften dürfen. „Man müsste hierfür dem mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Roboter eine Rechtspersönlichkeit geben, damit man sie auch juristisch belangen kann“, sagt Müller. „Und natürlich müsste man sie mit Kapital ausstatten, damit sie den Schaden auch begleichen kann beziehungsweise der Roboter müsste sich versichern können, was derzeit nicht möglich ist.“

Letztlich muss ein Mensch haften

Und was passiert, wenn das Gericht gegen das Programm entscheidet? Wird das selbstfahrende Auto in der Garage inhaftiert? Verschrottet? Zu einer gemeinnützigen Fahrstrafe oder zu einer Geldstrafe verurteilt? Eine Gruppe europäischer Juristen diskutiert derzeit die Idee, ob es zusätzlich zur natürlichen und juristischen auch eine „elektronische Person“ geben könnte.

„Ich halte das für unrealistisch und lehne das entschieden ab. Eine ,elektronische Person’ würde die Rechtslage noch komplizierter machen“, so Müller. Letztlich müsste ein Mensch haften. Man können beispielsweise bei einem schweren Unfall mit einem Kind den Eltern schlecht erklärten, dass eine Maschine daran schuld sei – das werde die Gesellschaft nicht akzeptieren.

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