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Klick-Arbeiter hinter Gittern Wie finnische Häftlinge einen Algorithmus trainieren

In Finnland klassifizieren Gefängnisinsassen für ein Start-up Daten, mit denen anschließend ein Algorithmus trainiert wird. Die Arbeitsmaßnahme ist ungewöhnlich - und umstritten.

Häftlinge stellen normalerweise zu Niedriglöhnen Möbel her, fräsen Metall oder arbeiten in der Wäscherei. In zwei Gefängnissen in Finnland haben einige von ihnen einen eher ungewöhnlich Job: Sie arbeiten hinter Gittern für ein Start-up und klassifizieren Daten, um Algorithmen zu verbessern.

Das finnische Start-Up Vainu ist eine Vermittlungsplattform, die Arbeitskräfte und Dienstleister mit Unternehmen in aller Welt zusammenbringt. "Die Unternehmensdatenbank von Vainu ist immer auf dem neuesten Stand, da die intelligente Datenerfassungstechnologie offene und öffentliche Daten ständig durchsucht, die Daten extrahiert und indiziert", heißt es auf der Website des Unternehmens.

Menschliche Arbeiter müssen dem Algorithmus allerdings helfen, Profile von 108 Millionen Unternehmen zu pflegen. Indem sie Informationen wie zum Beispiel Nachrichtenartikel richtig einordnen, trainieren sie den Algorithmus auch, zukünftig Kontexte besser zu erkennen.

Hier kommen die Häftlinge ins Spiel: Wie "The Verge" berichtet, hatte das Start-Up über Amazons Arbeitsvermittlungsplattform Mechanical Turk digitale Niedriglohnarbeiter für die Datenanalyse gesucht. Doch dort fanden sich nicht genügend finnischsprachige Helfer. Da das Unternehmen im gleichen Bürogebäude wie die finnische Gefängnisbehörde Criminal Sanctions Agency (CSA) sitzt, entstand die Idee, es stattdessen mit Häftlingen zu versuchen.

Niedriglohn und monotone Aufgaben

Seit drei Monaten arbeiten nun knapp Hundert Häftlinge aus zwei Gefängnissen in Helsinki und Turku als Algorithmen-Trainer. Vainu hat dem Gefängnis dafür zehn Computer zur Verfügung gestellt. Der Lohn fließt an die Gefängnisbehörde, die für die Verteilung des Geldes auf die beteiligten Gefangenen zuständig ist.

Die Bezahlung entspricht "The Verge" zufolge etwa den Löhnen, die für Mechanical-Turk-Projekte gezahlt werden - Amazons Plattform steht allerdings immer wieder aufgrund der schlechten Bezahlung in der Kritik. Digitale Arbeitsplattformen ermöglichten "eine neue Art von schrecklicher Arbeit, bei der Arbeiter stundenlang todlangweilige Aufgaben erledigen und manchmal nur wenige Cent pro Job verdienen", heißt es etwa in einem Bericht von "The Atlantic". 

Auch bei traditioneller Gefängnisarbeit erhalten Häftlinge nur niedrige oder gar keine Löhne. Die Arbeit im Gefängnis gilt als Resozialisierungsmaßnahme, die schlechte Bezahlung wird weltweit damit gerechtfertigt, dass Insassen neue Fähigkeiten lernen, die ihnen nach ihrer Entlassung helfen.

Auch wenn der Vainu-Mitgründer Tuomas Rasila im Gespräch mit "The Verge" betont, dass die Häftlinge nicht nur Geld verdienen, sondern dass Algorithmen-Training weltweit ein wachsender Arbeitsmarkt sei, gibt er zu, es gebe dabei "überhaupt keine Lernkurve". Die monotone Aufgabe erweitert also kaum die Fähigkeiten der Häftlinge. Einen direkten Zugang zu am Projekt beteiligten Häftlingen hatte "The Verge" nicht.

In Deutschland ist bisher kein Fall digitaler Arbeit im Strafvollzug öffentlich geworden. "Uns sind bislang nur mechanische Jobs bekannt. Allerdings können wir digitale Arbeit nicht mit Sicherheit ausschließen, da wir nicht in alle Gefängnisse vernetzt sind", heißt es auf SPIEGEL-Anfrage bei der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation GG/BO. "Zudem ist es schwer, auf parlamentarischem Weg an Informationen zu kommen, da Landesregierungen durchweg mit 'Vertragsgeheimnis' argumentieren."

Sarah T. Roberts, die an der University of California (UCLA) zu Arbeitsbedingungen in der digitalen Wirtschaft forscht, sieht die digitale Gefängnisarbeit kritisch. "Hier ist eine einfache Sache, die all diese "ethischen AI"-Milliarden-Dollar-Initiativen tun können, ab sofort: Sich verpflichten, niemals Gefängnisarbeit zu nutzen, um ihre Machine-Learning-Werkzeuge zu trainieren oder Datensätze, die auf diesem Weg verarbeitet worden sind", schrieb sie in einem Tweet .

Für die Gefängnisleitung liegt jedoch ein Vorteil auf der Hand: Anders als bei Metallarbeiten bestünde bei digitaler Arbeit "kein Gewaltrisiko", so Vainu-Mitgründer Rasila. Bildschirme und Tastaturen können nicht so leicht in Waffen verwandelt werden wie Werkzeuge traditioneller Gefängnisarbeit.