Organisation

Die neuen Mächte – Warum keine Organisation die Gretas dieser Welt ignorieren sollte …

Die Bilder des Mädchens, das mit einem selbstgemalten Schild für den Klimawandel in den Streik getreten ist, gingen um die Welt. Die junge Frau hat damit eine Bewegung ausgelöst. Die Welt fühlt sich seit Greta und der Aktion „Fridays for Future“ irgendwie anders an. Sicherlich wird auch dieser erste Hype irgendwann wieder etwas abklingen, dann, wenn die Gretas älter werden oder den Forderungen auch Taten in den Niederungen der Komplexität des Alltages folgen müssen.

Trotzdem fühlt es sich wie eine Zeitenwende an. Menschen werden sensibler für ihr Verhalten und gehen anscheinend nicht mehr so unbefangen über Themen wie Ökologie, Klimawandel oder Nachhaltigkeit hinweg wie bisher. Nicht nur im Privaten, wo Kinder den Eltern Fragen zu der Urlaubsreise mit dem Billig-Flieger stellen. Oder Eltern dem Nachwuchs nun schon mal den Spiegel mit der Frage vorhalten, wo wohl das günstige T-Shirt vom Wochenend-Trip herkommt.

Aber auch in der Wirtschaft realisieren Führungskräfte, dass man um die Gretas dieser Welt nicht mehr herumkommt. Und das gleich unter mehrfachen Gesichtspunkten:

(1) Nicht nur in den Executive Trainings für „Next Leaders“ der Bertelsmann Stiftung oder bei der diesjährigen Leadership Konferenz Camp Q zum Thema „Mit Mut und Haltung in die Zukunft führen“ im April, sondern auch in vielen Gesprächen mit Führungskräften sind dieser Wandel und diese Selbstreflektion förmlich greifbar. Fragen gehen vielen Führungskräften durch die Köpfe:

  • Welche Verantwortung übernimmt meine ORGANISATION in der Gesellschaft? Wie spiegeln unsere Leitbilder die Realität wider? Wie prägen Werte unser Handeln?
  • Welche Haltung besitze ICH als Person zu diesen Themen? Wo muss ich Verantwortung übernehmen? Welche Werte leiten mich? Wie passt das zu dem, was ICH tue?

Am Ende läuft es für die Führungskräfte oft auf die eine Frage hinaus, die Melanie Wodniok bei ihrer Begrüßung zum Camp Q im April in den Raum stellte: „Was ist für mich nicht verhandelbar?“ Persönliche Selbstverständlichkeiten, organisatorische Gegebenheiten und gesellschaftliche Notwendigkeiten werden mit einem Mal irgendwie anders verortet. Greta und ihre Mitstreitenden haben sich in den Köpfen der Entscheider in Politik und Wirtschaft festgesetzt.

Und (2) rückt darüber hinaus ein anderer, bisher wenig beachteter Aspekt in der Diskussion in den Vordergrund: Das Mädchen aus Schweden hat mit vielen Regeln ordnungsgemäßer Hierarchien und Führung gebrochen und damit auch so manchen Organisationsentwickler düpiert. Denn sie zeigt nicht nur, für welche Werte sie einsteht und was ihr wichtig ist. Sie hat auch Eigeninitiative bewiesen und sich über Konventionen hinweggesetzt.

Denn es ist nicht bekannt, dass Greta irgendwo einen Genehmigungs- geschweige denn einen Investitionsantrag mit Business Plan gestellt hat. Was bei dem überschaubaren Aufwand auch nicht unbedingt erforderlich wäre (wo und bei wem hätte sie das auch tun sollen: bei Eltern oder Schulleitung, bei Mitschülern oder Kommune?). Auch hat keine Event-Agentur zunächst nach einer passenden hippen Location für eine derartige Aktion Ausschau gehalten.

Keine Einkaufsabteilung hat geprüft, ob die Anschaffung des Pappschilds den Auftragsvergabe-Richtlinien entsprach und das günstigste Exemplar angeschafft wurde. Keine PR-Abteilung, die die Kompatibilität von Schriftbild und Text mit dem Corporate Design abstimmte. Auch ein Change-Berater war nicht in Sicht. Und es fand wohl auch keine umfassende, mehrseitige Vertragsgestaltung durch eine Rechtsabteilung zu den Veröffentlichungsrechten statt – zumindest bis jetzt nicht.

Greta hat einfach gemacht. Hat einfach losgelegt. Aus einer tiefen Überzeugung heraus. Weil ihr dieses Thema wichtig ist! Mut gepaart mit Haltung oder vice versa! Ein Vorbild für Organisationen?

Sicherlich ist der Erfolg mehreren Faktoren geschuldet: dem Zeitgeist, der Sympathie für Greta, den Emotionen, etc. Trotzdem bleibt die Frage: Wäre so eine Aktion in der Schnelligkeit, Tragweite und Skalierung in Ihrer oder Eurer Organisation möglich gewesen? Oder bedürfte es erst des Gangs durch die Instanzen und Hierarchien, dem Kampf mit einzelnen Stabsabteilungen zur Befriedigung deren Daseinsberechtigung inklusive eines mehrstufigen Abstimmungs- und Genehmigungsverfahrens?

Andererseits wird es (3) sicherlich in den nächsten Monaten spannend zu beobachten, wie die Bewegung mit den großen Anfangserfolgen umgeht und wie es weitergehen wird. Nämlich dann, wenn man realisiert, dass mit einem Mal Strukturen und Prozesse – sprich: Bürokratie – notwendig werden könnten, um Ziele und Aktivitäten der Bewegung besser zu koordinieren und zu kanalisieren. Wenn die Frage nach einer nachhaltigen Finanzierung der Aktionen geklärt werden muss und dazu ggf. andere Organisationsformen erforderlich sind?

Gleichzeitig wird man – wie andere Organisationen, die wachsen – vor die Frage gestellt werden, wie geht man damit um, wenn die Teams größer und heterogener, intern Meinungsverschiedenheiten auftreten oder von anderer Seite Meinungen in die Organisation getragen werden? Wie bleibt dann die Identität erhalten? Oder wenn andere Aktivisten die Bewegung kapern und Inhalte für sich instrumentalisieren. Schon jetzt ist interessant, wer mittlerweile „Fridays for Future“ für sich entdeckt.

Letztere Fragen wird man wohl erst nach einer gewissen Zeit beantworten können. Denn auch Organisationen sind einem gewissen Lebenszyklus unterworfen. Und es ist eine der Kardinalfragen in diesem Zyklus, wie sich eine wachsende Organisation Flexibilität und den eigenen Charakter bewahren kann bzw. wieder in einen früher bewährten, erfolgreichen Modus zurückfindet und ihre ursprüngliche Identität wiedererlangt.

Aber die Punkte (1) und (2) haben durchaus Relevanz für Organisationen, denn das Vorgehen von Greta weist Parallelen auf zu den Thesen von Jeremy Heimans und Henry Timms in ihrem Buch „Die neuen Mächte – New Power: Warum vernetzte Ideen und Bewegungen die alten Machtstrukturen verändern – und wie wir dies für uns nutzen können“. Nicht streng regulierte Vorgaben und Prozesse führen zu Veränderungen, sondern Initiativen, die von Flexibilität und Werten leben.

Denn ein Erfolgsgeheimnis dieser Bewegungen ist es, dass sie eben nicht alles von oben haarklein vorschreiben und prüfen, perfekt planen und nachverfolgen. Wichtig ist der Spirit, das Tun, das Ausprobieren. Für Werte stehen … natürlich auch hier mit dem Risiko, dass man Scheitern kann oder die Aktion im Sande verläuft. Aber man hat es zumindest probiert. Heimans/Timms verdeutlichen das im Buch am Beispiel der Ice Bucket Challenge.

Niemand schreibt ein Corporate Design des Eimers vor und beschwert sich, wenn der Eimer in der Gay-Community rosa ist. Niemand legt den Härtegrad oder die Temperatur des Wassers fest. Niemand stellt kleinkariert Regeln auf, wann, wo und in welcher Form die Challenge erfolgen muss. Ein Ansatz, diametral zu Organisationen, die immer noch meinen, Veränderung verordnen zu können.

Die Klammer bildet ein gemeinsames, sinnstiftendes Ziel. Wohlgemerkt nicht gleich ein detailliertes Daten-Zahlen-Fakten-Ziel, sondern die identitätsstiftende Kraft einer Bewegung. Bei der Ice Bucket Challenge geht es darum, Aufmerksamkeit auf eine Krankheit zu lenken und auf diese Weise durch Spenden zur Aufklärung und Bekämpfung beizutragen. Es geht um die innere Einstellung.

Was braucht es also? Nicht weniger als ein anderes Verständnis von Kultur in vielen Organisationen. Die einfache Forderung an Führungskräfte und Mitarbeitende, einfach mehr Mut und Haltung zu zeigen, greift zu kurz. Denn dafür sind manche Strukturen zu hartnäckig und viele Beziehungen in Organisationen doch zu komplex. Aber vielleicht kann man mal im Kleinen anfangen, sich ausprobieren.

Jede Organisation sollte sich daher überlegen, ob es richtig, weiterführend und erfolgversprechend ist, weiterhin Innovation mit standardisierten Prozessen und Tools zu verordnen. Oder ob sie sich einfach mal auf schräge Ideen einlassen, die Leute machen lassen und sie obendrein irgendwie dabei auch noch Spaß haben lässt. Zugegeben: Es geht sicherlich nicht nach dem Motto: „Hier kann jeder sich selbstverwirklichen“. Es gibt Grenzen: Nämlich das Ziel der Bewegung! Und dazu braucht es dann auch Kontrolle.

Aber am Ende brachte es einmal ein Kollege in der Tat auf den Punkt, woran es oftmals wirklich krankt: In vielen Organisationen bräuchte es eher mal wieder „einen großen Schluck aus der Pulle der Gelassenheit“! Na dann: Prost!

 



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