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David Ricardo reloaded!

Warum Globalisierung eine Theorie der komparativen Kulturvorteile und Unternehmen eine Cultural Due Diligence brauchen:

Kaum ein Wirtschaftswissenschaftler kommt in seinem Studium oder irgendwann später in seinem Leben an der berühmten Außenhandelstheorie von David Ricardo vorbei. Und wird damit gleichzeitig mit einer der einflussreichsten Ansätze der Wirtschaftsgeschichte konfrontiert: der Theorie der komparativen Kostenvorteile!

Wir erinnern uns an das Beispiel aus die „Principles of Political Economy and Taxation“ mit der Tuch- bzw. Weinproduktion in England bzw. Portugal, bei der trotz gravierender Kostennachteile eines Landes am Ende doch für beide Länder eine Arbeitsteilung vorteilhaft sein kann. Anlässlich ihres 200. Geburtstages erfährt die Theorie gerade eine Renaissance mit ebenso kritischen Würdigungen wie manch´ fragwürdigen Diskussionen um die Vor- und Nachteile von Freihandel, Globalisierung, Handelsüberschüssen etc.

Nur sind Kostenvorteile zwischen Ländern nicht alles. Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel fragte einmal süffisant am Rande einer Sitzung, ob es überhaupt Sinn ergibt, in einem Land oder einer Region ein Infrastruktur-Programm hochzuziehen, wenn es dort überhaupt keine Tradition und Erfahrung mit dieser Industrie gibt. Warum also mit aller Macht eine Auto- oder Zementfabrik hochziehen, wenn das Land oder die Region zwar billig(er) produzieren können, aber seit Jahrzehnten ganz andere Mentalitäten ausgeprägt und andere Kompetenzen aufgebaut haben – also: komparative Kultur-Vor- oder Nachteile entwickelt haben?

Was zunächst wie ein typisches ökonomisches Reformprogramm auf der Basis einer regionalen Business Case-Analyse für Europa anmutet, besitzt auch auf der Unternehmensebene durch die vermehrten branchen- und länderübergreifenden Kooperationen zwischen Organisationen zunehmende Relevanz: die Frage über die Kostenvorteile hinaus nach der Kompatibilität von (Organisations-)Kulturen. Man muss also nicht gleich auf die große Weltbühne blicken, auch in Organisationen gibt es genügend Beispiele für den zunehmenden Stellenwert von Kultur-Themen.

Qualitätsprobleme, Nacharbeit, Zeitverluste, verbranntes Geld

Denn im Gegensatz zu den weltwirtschaftlichen Herausforderungen mag die folgende kleine Anekdote zwar nur wie eine Fußnote in der Geschichte der Weltwirtschaft klingen. Aber am Ende wurde es für das beteiligte Unternehmen teuer. Dabei war es am Anfang ein Vorgang wie jeder andere – sozusagen: same procedure …! Der deutsche Autobauer hatte nach erfolgreichem Pitch mit diversen Gesprächen und dem Versand Dutzender von Unterlagen, gespickt mit technischen Details, den Auftrag zur Produktion der neuen Einspritzdüsen für die Fahrzeugklasse der nächsten Generation an einen seiner bewährten deutschen Zulieferer vergeben.

Was der Autobauer aber bekam, war diesmal ein Desaster: Qualitätsprobleme, Nacharbeit, Zeitverluste, verbranntes Geld … Was war geschehen? Warum war es diesmal so anders gelaufen? Denn die technischen Vorgaben waren eigentlich klar – eigentlich! Warum unterschied sich diesmal die Qualität der neuen Einspritzdüsen so gravierend vom Vorgängertyp? Die gründliche Aufarbeitung des Vorganges brachte ernüchternde Klarheit. Aus Zeit- und Kostengründen hatte der Zulieferer die Produktion an einen Subunternehmer weitervergeben, der die Teile wiederum in einem anderen Land herstellen ließ. Globalisierung normalerweise at its best!

Nur, dass der subunternehmerische Subunternehmer die Qualitätsbestimmungen des deutschen Autobauers nicht ganz so genau nahm und sehr frei interpretierte. Was machen schon ein paar Zehntel-Mikromillimeter aus? Wieso eigentlich diese engen Vorgaben mit Toleranzgrenzen? Muss man das alles so genau nehmen? Ein Kommunikationsproblem? Nur ein Missverständnis? Einfach nur eine Nachlässigkeit? Konstruktionspläne großzügig interpretiert?

Hatte nicht bereits der Altvater der Arbeitsteilung Adam Smith schon lange vor Frederick Taylor darauf hingewiesen, dass der- oder diejenige sich auf die Arbeit oder Aufgabe spezialisieren sollte, die man am besten kann? Wohlgemerkt, die Betonung liegt auf: was man am besten kann, nicht was man am billigsten kann. Denn das heißt auch, dass die Qualität stimmen muss oder zumindest im vertretbaren Verhältnis zwischen Leistungsversprechen und Aufwand bzw. Kosten stehen sollte.

Schauen aber Unternehmenslenker nicht allzu oft und zu sehr rein auf die Kosten? Werden sie nicht zuletzt dazu auch gerade von den großen oder kleinen Aktionären angehalten? Ist nicht die Gegenbewegung zum Outsourcing, nämlich das Re-Sourcing, schon der erste Hinweis darauf, dass es noch mehr geben muss als die reine Kostenbetrachtung? Spielen nicht auch Haltung bzw. Organisationskultur eine wichtige Rolle bei der erfolgreichen Gestaltung einer Zusammenarbeit bzw. der Herstellung perfekter Produkte?

Digitalisierung verstärkt nochmals den Druck auf Vorstände

Thieß Petersen, Wirtschaftsexperte der Bertelsmann Stiftung, wies zwar kürzlich in einem Gespräch daraufhin, dass die Abkehr vom Outsourcing natürlich auch etwas mit der Veränderung in der Kostenstruktur zu tun haben könnte. Nämlich dann, wenn wegen des technischen Fortschritts Kapital und Technologien immer wichtiger für Produktionsprozesse werden. Dann lohnt sich selbst ein Outsourcing in ein Niedriglohnland nicht mehr. Aber verschiebt sich damit nicht die Debatte um die internationale Arbeitsteilung umso mehr für Führungskräfte auf die richtige Kombination von Kostenvorteilen mit Arbeitseinstellungen und Qualitätspräferenzen?

Zugegeben: die Digitalisierung verstärkt eher nochmals den Druck auf Vorstände bei der Berücksichtigung der Kostenseite. Wir erleben nämlich – wie es Jörg Habich in seinem Blog vorweg nahm: die „Gläserne Führungskraft“. Denn bald wird jeder CEO sich wohl oder übel die Frage gefallen lassen müssen, warum man wann wie wo entschieden hat. Warum wurden noch Rohstoffe z. B. in Namibia gekauft, wenn doch die Preise in der Mongolei gerade im Fallen sind? Das hätte man sehen müssen – und zwar in Echtzeit. Warum wurde nicht reagiert? Schwingt da nicht schon wieder ein zu starker Fokus auf den Kostenvorteilen mit – ob nun komparativ oder nicht?

Brauchen wir nicht zusätzlich zur Theorie der komparativen Kostenvorteile auch so etwas wie eine Theorie der komparativen Kulturvorteile? Der angesehene Oxford-Professor und Buchautor Ian Goldin antwortete am Rande des Salzburger Trilogs darauf mit einer Gegenfrage: Geht es am Ende nicht einfach nur um Qualität? Da mag man ihm antworten: Da haben sie recht – und das ist falsch! Denn am Ende entscheidet auch da, ob man das richtige und/oder gleiche Verständnis von den Prozessen und/oder der Qualität hat. Ob man die entsprechenden Fertigkeiten und Erfahrungen überhaupt besitzt. Oder einfach gesagt: ob die Arbeitseinstellung stimmt. Oder deutlicher formuliert: ob die jeweiligen Kulturen kompatibel sind!

Die damit verbundenen Fragen sind gleich in mehrfacher Hinsicht für Organisationen in Zeiten der Digitalisierung und Globalisierung interessant. Zum einen im Außenverhältnis zwischen und mit den Kooperationspartnern. Bestes Beispiel dafür sind die Großzahl der M & A ´s, die die in sie gesteckten Ziele nicht erreichen. Experten sprechen von bis zu 75% gescheiterter Zusammenschlüsse, Übernahmen etc. Dabei ist oft gar nicht die Kompatibilität von Geschäftsfeldern, Produkten, Prozessen etc. ausschlaggebend. Hierfür gibt es mittlerweile umfangreiche Due Diligence-Prüfungen. Allzu oft passen einfach die unterschiedlichen Organisationskulturen nicht zueinander. Deshalb hilft eine Due Diligence zu den Geschäftszahlen etc. nur bedingt weiter. Unternehmen sollten daher auf eine „Cultural Due Diligence“ setzen.

Aber man muss nicht gleich an Übernahmen und Fusionen denken. Auch bei Kooperationen zwischen oder innerhalb von Organisationen prallen unterschiedliche Sichtweisen und Einstellungen, Geschwindigkeiten und Strukturen aufeinander, die im schlimmsten Fall eine Zusammenarbeit fast unmöglich machen. Mit der vom Kompetenzzentrum unter Mitwirkung von Professorin Stephanie Rathje bereits vor geraumer Zeit schon entwickelten Toolbox „Ko-   operationskompetenz“ und dem dazu gehörigem Handbuch haben Organisationen zumindest nun eine Chance, Kooperationen hinsichtlich der kulturellen Passung auf den Prüfstand zu stellen.

Deshalb ist es immer ein Merkmal erfolgreicher Unternehmen, zunächst die eigene kulturelle DNA auf die Passung mit der Strategie und Struktur zu überprüfen. Denn es hilft Unternehmen wenig, wenn die Führung auf eine Zentralisierung verschiedener Geschäftsprozesse und die nähere Anbindung unternehmerischer Einheiten an die Unternehmensspitze setzt, aber gleichzeitig die DNA des Unternehmens traditionell auf eine dezentrale Struktur und die Delegation von Verantwortung ausgerichtet ist. Andererseits gilt, dass sich eine Organisation mit einer klassischen hierarchischen Struktur nicht einfach in eine agile Netzwerk-Struktur umwandeln lässt.

Hat man aber erstmal eine DNA – sprich: Kultur – zerstört, ist es nur sehr schwer, sie wieder herzustellen. Die Beachtung und Pflege der Organisationskultur gewinnt also zunehmend an Bedeutung – egal ob bei internen Umstrukturierungsmaßnahmen oder externen Kooperationsvorhaben, ob bei internen Innovationsoffensiven oder externen Übernahmen.

Ein CEO sollte wissen wie sein Laden tickt

So ist die Einführung von Shared Services – ob im In- oder Ausland – über die reine Kostenbetrachtung hinaus immer auch eine Frage der Qualitätssicherung. Gleichzeitig bleibt zu hinterfragen, welche Wirkung solche Maßnahmen auf die bestehende Kultur besitzen. Andererseits können nicht die oft als Allheilmittel propagierten Kooperationen zwischen internen oder externen Start-up-Einheiten mit klassischen Unternehmen gleich eine ganze Flut gepflegter Vorurteile über die jeweilige Seite auslösen und damit von Beginn an eine konstruktive Zusammenarbeit unterminieren. Ganz zu schweigen von den M & A´ s, Fusionen etc., bei denen sich ganze Mythen um Missverständnisse, Grabenkämpfe etc. zwischen Organisationskulturen ranken.

Deshalb sollte jeder CEO zunächst einmal wissen, wie “sein eigener Laden tickt“. Denn nicht immer ist billig auch günstig. Rein auf Kostenvorteile zu schielen, kann sich im Nachhinein als sehr teuer entpuppen. Stimmt die Kultur nicht oder stimmen Kulturen nicht überein, gibt es Vorurteile gegenüber dem Partner und/oder ist das gegenseitige Vertrauen doch nicht so stabil, sind viele Kooperationen, Übernahmen etc. von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die oft von Strategen propagierte Konzentration auf Kernkompetenzen sollte daher durch die Führung ergänzt werden um eine Evaluation der Kernwerte.

Worin sind wir besonders gut oder stark? Was sind unsere speziellen Eigenschaften, bei denen uns andere so schnell nichts vormachen? Wofür steht eigentlich unsere Organisation und was macht unsere Kultur im Vergleich zu unseren Konkurrenten so einzigartig – oder eben nicht? Wie heißt es doch so schön: Produkte und Prozesse kann ein Wettbewerber schnell kopieren – eine erfolgreiche Organisationskultur nicht! Dazu muss man sich aber erst einmal mit den eigentlichen Werten seiner Organisation auseinandersetzen. Am Ende steht dann vielleicht auch die Einsicht, manche Dinge genau aus diesen kulturellen Erwägungen mal nicht zu tun.

Denn die Theorie von David Ricardo berücksichtigt abseits der komparativen Kostenvorteile viele wichtige kulturprägende Elemente des Zusammenlebens und -arbeitens noch zu wenig: Emotionen und Macht, Eitelkeiten und Unwissenheit …. Das muss nun nicht gleich in die Haltung übergehen: „Schuster bleib´ bei deinen Leisten“ – aber man sollte sich zumindest doch ab und zu das alte Sprichwort in Erinnerung rufen: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet …“.

 



Kommentare

  1. / von Thieß Petersen

    Interessante Weiterentwicklung der Gedanken von Ricardo! Mein erster Reflex: Komparative Kulturvorteile müssten sich in Kostenvorteile umwandeln. Wenn ein Unternehmen aus einem Niedriglohnland wegen laxer Einhaltung von Konstruktionsvorgaben nicht die Qualität liefert, die ein Hightechunternehmen aus Deutschland braucht, verschwindet der Zulieferer vom Markt. Allerdings ist es natürlich möglich, dass die gelieferten Vorleistungen den geringeren Qualitätsanforderungen anderer Unternehmen genügen. Dann verschwindet der Zulieferer nicht vom Markt. Und weil der Zulieferer am Markt bestehen kann, geht das Hightechunternehmen aus Deutschland davon aus, dass die Qualität stimmt (Problem der Marktintransparenz und unvollständiger Informationen).

    Mein zweiter Reflex: Theoretisch lässt sich das Problem einer Fehlinterpretation von Konstruktionsplänen dadurch ausschließen, dass vertraglich entsprechende Sanktionen vereinbart werden. Ein Zulieferer würde dann aus reinem Selbstschutz die Qualität liefern, die der Abnehmer verlangt (sonst werden Strafzahlungen fällig, die zu Verlusten führen). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Durchsetzung der Ansprüche Zeit und Geld in Anspruch nimmt. Außerdem bleibt das Problem der unterschiedlichen Einschätzungen von Vorgaben (die Vorgabe „3,65 Millimeter“ lässt sich doch auf 4 Millimeter aufrunden). Zudem kommt es zu einem Reputationsverlust des Hightechunternehmens, das wegen der schlechten Vorleistungen nun auch nicht mehr die Qualität seiner Produkte sicherstellen kann.

    Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn bei immer komplizierteren und technisch anspruchsvolleren Produkten die Qualität dieser Produkte nicht mehr unmittelbar erkennbar ist, müssen Unternehmen, die Vorleistungen von anderen beziehen wollen, befürchten, dass diese Vorleistungen nicht den versprochenen Qualitätsstandards entsprechen. Wer dann nur auf den Preis schaut, kann böse Überraschungen erleben. Ob die voranschreitende Digitalisierung die Markttransparenz zukünftig so weit erhöht, dass diese Informationsdefizite abgebaut werden, bleibt abzuwarten. Bis dahin sollten Entscheider in der Tat die Möglichkeit einpreisen, dass wegen eines fehlenden Qualitätsverständnisses zusätzliche Kosten entstehen.

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