Zwei Männer und eine Frau sitzen am Schreibtisch und besprechen sich.

Diversity in Vorständen und Aufsichtsräten – warum mehr besser ist und wie wir das erreichen können

Die demografische Zusammensetzung der Spitzengremien von Unternehmen hat in den letzten zehn Jahren ein zunehmendes wissenschaftliches und öffentliches Interesse erfahren. Hauptsächlich bezieht sich die Diskussion um Diversity in den Spitzengremien –wie auch in diesem Beitrag– auf die Dimension Geschlecht. Herkunft wird weniger oft thematisiert, und Alter, Behinderung, Religion und sexuelle Orientierung spielen bisher kaum eine Rolle. In mehreren europäischen Ländern wurde Regulierung zu Diversity in den Leitungsorganen eingeführt – teilweise in Form von gesetzlichen Quoten, und teilweise als Ziele in Corporate Governance Kodizes. In Deutschland wurde im Jahr 2015 das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, die sogenannte Frauenquote, eingeführt. Der Deutsche Corporate Governance Kodex enthält seit 2009 Empfehlungen, dass der Aufsichtsrat bei seiner eigenen Zusammensetzung als auch bei der des Vorstands auf Diversity achten soll.

Insgesamt wird in der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte eine zunehmende demografische Heterogenität der Mitglieder von Spitzengremien als erstrebenswert angesehen. Viele Gründe sprechen dafür: Erstens kommen in einem Gremium, das aus Personen mit vielfältigen demografischen Merkmalen zusammengesetzt ist, vielfältige Erfahrungen, Perspektiven und Kompetenzen zusammen. Diese kognitive Heterogenität führt zu größerer Kreativität, Flexibilität und Innovationskraft. Zweitens kann ein Unternehmen mit einem divers zusammengesetzten Spitzengremium die Interessen der ebenfalls vielfältigen Kundschaft besser antizipieren. Es kann außerdem Personal, das verschiedenen sozialen Gruppen angehört, besser gewinnen, binden und motivieren, weil jene Personen sehen, dass die höchsten Positionen in diesem Unternehmen auch für sie erreichbar sind. Drittens ist ein solches Gremium ein Hinweis darauf, dass ein Unternehmen sein Personal fair und gerecht behandelt, möglichst ohne Vorurteile und Diskriminierung.  Robin J. Ely und David A. Thomas von der Harvard Business School bezeichnen diese drei Sichtweisen auf Diversity die „integration-and-learning“, „access-and-legitimacy“ und „discrimination-and-fairness“ Perspektiven. In den ersten beiden Perspektiven besteht eine Verbindung zwischen der demografischen Zusammensetzung und der Arbeit und Funktionsweise eines Gremiums; nach diesem Verständnis führt Diversity in Spitzengremien zu größerem wirtschaftlichen Erfolg. Aus der dritten Perspektive ist die Einbeziehung von Personen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen in wirtschaftlichen Entscheidungspositionen ein moralischer Imperativ, und sie trägt zu der Verringerung der Benachteiligung der Mitglieder dieser Gruppen in unserer Gesellschaft bei. Zusammengenommen sprechen diese Argumente, die sich sowohl auf ökonomischen Nutzen als auch auf Recht und Gerechtigkeit stützen, für mehr Vielfalt in der Besetzung der Spitzengremien.

Wenn wir die Besetzung der Leitungsorgane deutscher Unternehmen mit Frauen und Männern betrachten (siehe Grafik), sehen wir, dass der Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten seit Beginn der Diskussion um die Einführung einer Geschlechterquote deutlich angestiegen ist und in den größten Unternehmen gegenwärtig zwischen 20 und 30 Prozent liegt. In den Vorständen hingegen, für die der Gesetzgeber keine Quote festgelegt hat, sehen wir wenig Veränderung. Bei einem Frauenanteil von unter 10 Prozent in den Vorständen der größten Unternehmen sind wir noch meilenweit von einer ausgewogenen Vertretung beider Geschlechter in diesen wichtigen wirtschaftlichen Entscheidungsgremien entfernt. Das Gesetz verpflichtet Unternehmen allerdings, sich selbst Ziele für die Repräsentation von Frauen im Vorstand zu setzen. Obwohl es keine Sanktionen für die Nichterreichung der selbstgesteckten Ziele gibt, haben sich etliche Unternehmen ein Ziel von null Prozent Frauen im Vorstand gesetzt und demonstrieren damit ihren Widerstand gegen die gesetzliche Regulierung.

 

Frauenanteil in Vorständen und Aufsichtsräten der größten 200 Unternehmen in Prozent, 2006-2016

Diagramm Diversity Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen
Datenquelle: DIW Managerinnen Barometer. Datengrundlage: Die größten 200 Unternehmen außerhalb des Finanzsektors, am Umsatz gemessen.

Hey, da sind ja gute Frauen!

Obwohl Diversity in den Spitzengremien ökonomisch vorteilhaft und gesellschaftlich gewollt ist, gehört offenbar einiges dazu, damit sich deren recht homogene demografische Zusammensetzung ändert. Am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin untersuchen wir in der BOARDEQUALITY Studie den Zugang von Frauen und Männern zu Vorständen und Aufsichtsräten sowie ihre Rollen in diesen Gremien. In unseren Forschungsinterviews mit Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräten zeigte sich, dass Veränderungen in der geschlechtlichen Zusammensetzung der Leitungsorgane auf drei Ebenen ausgelöst werden:

  • Gesellschaftliche Ebene: Durch gesetzliche Regulierung wird auf Nominierungs- und Personalausschüsse Druck ausgeübt, tatsächlich und ernsthaft nach Frauen für Aufsichtsrats- und Vorstandspositionen zu suchen. Eine langjährige Aufsichtsrätin erzählte, dass vor der Diskussion um die Quote „nicht nach Frauen gesucht wurde, es wurde auch nicht diskutiert, und es wurde auch nicht als Mehrwert empfunden“. Andere sagten, das Gesetz und die Diskussion darüber in den Medien waren „der Anlass, aktiv zu werden“ und erzeugten „einen gewissen Druck, wirklich Frauen auf die Liste zu nehmen“. Auch aus den Hauptversammlungen kamen vermehrt kritische Fragen, wenn Positionen nicht mit Frauen besetzt wurden. Das führte dazu, dass dann „der ein oder andere Aha-Effekt einsetzte und man sagte „Hey, da sind ja gute Frauen!“.
  • Unternehmensebene: Aufsichtsratsmitglieder erzählten, dass Aufsichtsratsbesetzungen „manchmal ziemlich ad hoc sind und wenn man ehrlich ist, geht das auch über Bekannte“. In solchen Situationen kann soziale Homophilie – die Tendenz, Personen, die einem selbst ähneln, zu bevorzugen – die demografische Homogenität der Gremienmitglieder verstärken. Nominierungs- und Personalausschüsse können dieser Tendenz entgegenwirken, indem sie ihre Such- und Auswahlprozesse formalisieren. Wichtig sind auch ein „grundsätzliches Commitment“ zu mehr Diversity bei der Stellenbesetzung und ein „Grundverständnis“ in den Gremien, dass Diversity ein erstrebenswertes Ziel ist. Ein Aufsichtsrat erzählte von der Rekrutierung einer Vorständin: „Wir wussten zwar, dass es eine ganze Menge Männer gibt, die sehr kompetent sind und in den Startlöchern stehen, aber wir wollten eine Frau für die Vorstandsposition, weil wir glauben, das passt politisch viel besser in das Gesamtkonzept und weil wir jemanden wollten, der mit einer anderen Sichtweise kommt und eben nicht so den ganz typischen Weg gegangen ist.“
  • Individuelle Ebene: Einzelne Aufsichtsratsmitglieder können als Change Agents zu mehr Diversity beitragen. Aufsichtsrätinnen erzählten, dass sie Frauen für Aufsichtsratsmandate vorgeschlagen haben, dass sie das Thema Diversity im Aufsichtsrat „auf die Tagesordnung bringen und sehr kritisch diskutieren“, und dass sie, wenn der Aufsichtsrat neue Zielgrößen für die Repräsentation von Frauen im Vorstand und im oberen Management definiert, Auskunft über die Personalstrategie des Unternehmens in Bezug auf Führungskräfteentwicklung und besonders die Entwicklung von Frauen für Führungspositionen verlangen. Auch außerhalb von formellen Sitzungen können Aufsichtsratsmitglieder Diversity fördern. Eine Aufsichtsrätin erläuterte: „Ich versuche dem Aufsichtsratsvorsitzenden im persönlichen Gespräch zu vermitteln, dass er die Frauen in seinem mittleren Management vielleicht nochmal anders anspricht und sie motiviert und ihnen das Selbstbewusstsein gibt, dass sie das schaffen können.“

Diese Beispiele zeigen, dass mehr Diversity in den Vorständen und Aufsichtsräten auf der Makroebene durch gesetzliche Regulierung, auf der Mesoebene durch das Commitment der Unternehmen und ihre Verfahrensweisen bei der Besetzung von Positionen und auf der Mikroebene durch individuelles Engagement erreicht werden kann. Hoffentlich werden Akteurinnen und Akteure auf allen drei Ebenen verstärkt zu einer ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern in den obersten wirtschaftlichen Entscheidungsgremien beitragen.

 



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