Höher, schneller, weiter: Wie bilden wir uns in Zukunft fort?

Immer häufiger wird Weiterbildung zur Eigenverantwortung. Sich in der Freizeit fortzubilden, trifft jedoch bei Mitarbeitern auf Unverständnis. Bleibt die eigene Weiterbildung auf der Strecke?

Wer im Job dazulernt, sollte das formal bestätigt bekommen

Frank Frick
  • Jeder Fünfte braucht für seinen Job eigentlich einen höheren Abschluss
  • Wem berufliche Abschlüsse fehlen, hat schlechtere Jobchancen
  • Eine formale Anerkennung von Fähigkeiten kann Mitarbeitern und Firmen helfen

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Viele Arbeitnehmer verfügen über mehr berufliche Fähigkeiten, als ihnen das formale Bildungssystem bescheinigt. Unsere neue Studie – in Zusammenarbeit mit der Ruhr-Universität Bochum – zeigt, dass jeder Fünfte auf einer Stelle arbeitet, für die laut Experteneinschätzungen ein höherer Abschluss notwendig wäre. Das sind zum Beispiel Arbeitnehmer ohne Abschluss, die auf Gesellenstellen arbeiten, oder Uniabbrecher, die heute als Führungskräfte oder Geschäftsführer tätig sind. Das fehlende Zertifikat bedeutet nämlich nicht, dass diese Arbeitnehmer unqualifiziert sind. Das fehlende Bildungszeugnis kompensieren sie offensichtlich mit viel Berufserfahrung, hohen analytischen Kompetenzen und guten kommunikativen Fähigkeiten. Man findet sie deshalb häufig in anspruchsvollen Nichtroutinetätigkeiten mit wechselnden Anforderungen.

Lohndefizite und schlechtere Arbeitsmarktchancen bei fehlendem Zertifikat

Weil diesen „formal Unterqualifizierten“ das passende Zertifikat für ihre Tätigkeit fehlt, müssen sie allerdings einige Nachteile in Kauf nehmen. Sie verdienen weniger als ihre formal adäquat qualifizierten Kollegen und befürchten schlechtere Chancen beim Stellenwechsel – denn ihre Fähigkeiten sind nur dem aktuellen Arbeitgeber bekannt und formal im Bewerbungsverfahren nicht nachweisbar. Für den aktuellen Arbeitgeber bedeutet dies kurzfristig niedrigere Personalkosten und eine geringe Fluktuation. Perspektivisch bietet sich in Zeiten des Fachkräftemangels aber auch eine Chance, fähige Arbeitnehmer zu binden, zum Beispiel indem Arbeitnehmer gezielt für anspruchsvolle Aufgaben entwickelt und auch formal qualifiziert werden.

Informelles Lernen: die wichtigste Kompetenzquelle im Betrieb

Aus einer repräsentativen Befragung wissen wir, dass für Deutschlands Arbeitgeber und Arbeitnehmer informelles Lernen bereits heute deutlich vor formaler und nonformaler Bildung rangiert. Für 78 Prozent der Personalverantwortlichen in Firmen ist das, was Menschen täglich im Job lernen, „sehr wichtig“ oder „wichtig“ für Erfolg im Berufsleben. Weit weniger relevant sind für sie Weiterbildungen sowie die Schul- und Hochschulbildung (63 beziehungsweise 57 Prozent). Im Job gesammelte Praxiserfahrungen sind damit wertvoller als Schul-, Ausbildungs- und Uniabschlüsse oder Weiterbildungen. Learning by Doing im Job hat somit in den vergangenen zehn Jahren für einen erfolgreichen Berufsalltag erheblich an Bedeutung gewonnen. Informelles Lernen ist aber häufig unsichtbar, denn es wird nicht entsprechend zertifiziert.

Wir brauchen neue Anerkennungswege

Eine formale Anerkennung vorhandener Fähigkeiten in Form von Teilqualifikationen könnte Unternehmen mit einer langfristigen Personalpolitik helfen, die Fachkräfte von morgen auch aus den eigenen Reihen zu gewinnen – was zudem sowohl volkswirtschaftlich als auch für den einzelnen Arbeitnehmer von Vorteil wäre. In den vergangenen Jahren ist zwar ein Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse verabschiedet worden. Wer in deutschen Betrieben seine Fähigkeiten on-the-job erworben hat, kann sich diese bisher allerdings nicht zertifizieren lassen – zum Beispiel als Teilqualifikation, die gegebenenfalls mit berufsbegleitender Weiterbildung bis zum Vollabschluss ausgebaut werden kann. Es fehlen also standardisierte Wege zur Anerkennung informell erworbener Kompetenzen.

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Frank Frick
© Bertelsmann Stiftung
Frank Frick

Director Aus- und Weiterbildung, Bertelsmann Stiftung

Frank Frick (Jg. 1964) ist Director der Bertelsmann Stiftung und zuständig für die Themen Aus- und Weiterbildung sowie Kompetenzerfassung. Nach dem Studium der Politikwissenschaft arbeitete er zunächst in der Arbeitsmarktforschung und seit 1993 in der Bertelsmann Stiftung an Themen wie Beschäftigung, Arbeitsmarkt, Regulierung und Partizipation.

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