Passungsprobleme – wenn Angebot und Nachfrage immer weniger zueinander passen

In den Medien finden sich zahlreiche Berichte über Betriebe, die händeringend nach Auszubildenden suchen – häufig im Handwerk – und trotz intensiver Bemühungen ihre Ausbildungsstellen nicht besetzen können. Paradoxerweise bleiben trotz der vielen unbesetzten Stellen noch mehr Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz erfolglos. Wieso passt das Angebot und die Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt immer häufiger nicht zusammen?

Um Antworten auf diese Frage zur erhalten, wurden solche Passungsprobleme im Ländermonitor berufliche Bildung 2019 schwerpunktmäßig analysiert. Die wesentlichen Ergebnisse und Schlussfolgerungen des Ländermonitors aus Sicht der Bertelsmann Stiftung wurden unter anderem am 27. September 2019 in Graz auf der Jahrestagung der Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik präsentiert; die Folien der Präsentation finden sich in diesem Beitrag. Im Folgenden erläutern wir, welche neuen Erkenntnisse der Ländermonitor berufliche Bildung 2019 bezüglich der zunehmenden Passungsprobleme gebracht hat.

Passungsprobleme haben sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht

Auf den ersten Blick entwickelt sich der Ausbildungsmarkt in den letzten Jahren positiv, denn die Zahl der Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz finden konnten sank von 2009 bis 2018 von 93.000 auf 79.000. Allerdings hätte dieser erfreuliche Rückgang ohne die Passungsprobleme noch weit deutlicher ausfallen können, denn im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen bundesweit von 17.000 auf 58.000. Rein rechnerisch hätten also im Jahr 2018 diese 58.000 unbesetzten Ausbildungsstellen durch unvermittelte Bewerber besetzt werden können, aber es hat aus irgendwelchen Gründen nicht gepasst.

Die Zahlen zeigen einerseits, dass der Umfang des Passungsproblems stark zugenommen und sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdreifacht hat. Sie machen andererseits aber auch deutlich, dass selbst bei optimaler Passung rund 20.000 Ausbildungsinteressierte unversorgt geblieben wären. Es gibt also selbst unter der hypothetischen Annahme einer optimalen Vermittelbarkeit kein quantitativ ausreichendes Ausbildungsangebot im dualen Ausbildungssystem.

Ursachen für Passungsprobleme werden erstmals quantifiziert

Im Ländermonitor berufliche Bildung 2019 wurden erstmals die Ursachen der Passungsprobleme identifiziert und quantifiziert, also geklärt, was denn eigentlich bei den insgesamt 58.000 Fällen nicht gepasst hat. Um zu analysieren, wo und in welchem Umfang in Deutschland Passungsprobleme vorliegen, wurden Daten auf Ebene der 156 Arbeitsagenturbezirke in Deutschland verglichen. Einerseits wurde für jeden Arbeitsagenturbezirk geprüft, in welchen Berufen Ausbildungsplätze unbesetzt blieben, und andererseits, welchen Berufswunsch die Ausbildungsinteressierten haben, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben.

Grundsätzlich gibt es bei Passungsproblemen bzw. – auf Englisch­ beim Mismatch drei verschiedene Ursachen:

  1. Eigenschaftsbezogenes Mismatch,
  2. Regionales Mismatch,
  3. Berufsfachliches Mismatch.

1. Eigenschaftsbezogenes Mismatch: So bezeichnet man den Fall, wenn innerhalb eines Arbeitsagenturbezirks sowohl eine unbesetzte Ausbildungsstelle als auch ein erfolgloser Bewerber bzw. eine erfolglose Bewerberin mit einem passenden Berufswunsch registriert sind. Es zeigt sich: Für 44 Prozent aller unbesetzten Stellen gibt es im gleichen Arbeitsagenturbezirk eigentlich passende Bewerber*innen! Dass es trotzdem nicht zum Abschluss von Ausbildungsverträgen kam, wird mit den Eigenschaften der Betriebe bzw. der unvermittelten Personen erklärt. So kann es beispielsweise sein, dass Betriebe sich dazu entschließen, Bewerber*innen mit niedrigen Schulabschlüssen nicht als Auszubildende in Betracht zu ziehen. Auf der anderen Seite kann es sein, dass Ausbildungsinteressierte von vornherein auf Bewerbungen bei kleinen Unternehmen verzichten, weil sie diese unattraktiv finden.

2. Regionales Mismatch: Dies liegt dann vor, wenn es eine unbesetzte Ausbildungsstelle in einem Arbeitsagenturbezirk gibt und in einem anderen Agenturbezirke ein*e Bewerber*in mit einem passenden Berufswunsch gemeldet ist. Für 23 Prozent der unbesetzten Stellen gibt es in anderen Arbeitsagenturbezirken passende Bewerber*innen. Dieses Mismatch resultiert also aus der regionalen Distanz von Betrieben und Ausbildungsinteressierten. Während beispielsweise in einigen süd- und ostdeutschen Regionen das betriebliche Ausbildungsstellenangebot die regionale Nachfrage deutlich übertrifft, leben in anderen Regionen dagegen viel mehr Jugendliche mit Ausbildungswunsch als es betriebliche Ausbildungsstellen gibt.

3. Berufsfachliches Mismatch: Der dritte Fall tritt dann ein, wenn es für eine unbesetzte Ausbildungsstelle keine Bewerber*innen mit passendem Berufswunsch gibt – weder innerhalb desselben noch eines anderen Arbeitsagenturbezirks. Für 34 Prozent der unbesetzten Ausbildungsstellen gibt es keine Ausbildungsinteressierten! Dieses Mismatch resultiert in der aktuellen Situation insbesondere aus der für Jugendliche fehlenden Attraktivität von Berufen. Stark betroffen sind einzelne Branchen, in denen sehr viele Ausbildungsstellen nicht besetzt werden können. Dazu gehören zum Beispiel das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie das Ernährungshandwerk. In diesen Branchen bleibt mehr als jeder fünfte angebotene Ausbildungsplatz unbesetzt.

Passungsprobleme brauchen je nach Region und Branche unterschiedliche Handlungsansätze

Im Ländermonitor wird auch die Verteilung der Mismatch-Typen auf Ebene der Bundesländer und der Branchen untersucht. Dabei zeigen sich deutliche regionale und branchenspezifische Unterschiede. Dieses Wissen macht es möglich, differenziert auf die jeweilige Situation auf dem Ausbildungsmarkt zu reagieren. Je nach Situation ist ein unterschiedlicher Mix von Handlungsansätzen gefragt:

Eigenschaftsbezogene Passungsprobleme können beispielsweise durch Betriebspraktika bearbeitet werden, indem gegenseitiges Vertrauen aufgebaut und Vorurteile abgebaut werden. Die sogenannten Klebeeffekte bestätigen, wie hilfreich ein gegenseitiges Kennenlernen von Bewerber*in und Betrieb für das Zustandekommen eines Ausbildungsverhältnisses sein kann. Zur Steigerung der Attraktivität gerade von kleineren Betrieben für Jugendliche können Ausbildungsverbünde bzw. Kooperationen von Unternehmen beitragen. Auf der anderen Seite kann eine kontinuierlich bereitgestellte externe Unterstützung wie z. B. die Assistierte Ausbildung die Bereitschaft genau dieser Unternehmen erhöhen, auch Jugendliche mit niedrigeren Schulabschlüssen für eine Ausbildung in Betracht zu ziehen.

Berufsfachliche Passungsprobleme können zum einen daraus resultieren, dass Jugendliche nur eine begrenzte Zahl von Berufen kennen bzw. Vorurteile gegenüber bestimmten Berufsbildern haben. Eine gute Berufsorientierung vermittelt den Jugendlichen sowohl einen breiten Überblick als auch einen realistischen Einblick in verschiedene Berufsfelder. Das trägt dazu bei, das Entscheidungsspektrum der jungen Menschen zu erweitern. Gerade in Branchen, die stark von unbesetzten Ausbildungsstellen betroffen sind, kann man allerdings annehmen, dass der Mangel an interessierten Jugendlichen auf ein begründetes Attraktivitätsproblem der Berufe zurückzuführen ist. Hier müssen deshalb auch Rahmenbedingungen wie Arbeitszeiten, Entlohnung oder Arbeitsbedingungen verbessert werden.

Regionale Passungsprobleme werden in der Debatte oft als zentrale Ursache für unbesetzte Stellen genannt. Der Ländermonitor zeigt jedoch, dass nur knapp ein Viertel der Fälle auf ein regionales Mismatch zurückgeführt werden kann. Trotzdem sollten die Möglichkeiten der Mobilitätsförderung ausgeschöpft werden. Dazu gehören neben Maßnahmen der Personenförderung wie das Azubiticket ebenso die Gestaltung von mobilitätsfreundlichen Regionen durch den Ausbau von Jugendwohnen und Azubiwohnheimen.

Passungsproblem ist also nicht gleich Passungsproblem. Dass Angebot und Nachfrage immer weniger zueinander passen, hängt von verschiedenen Faktoren ab; unter anderem von den Anforderungsprofilen der Berufe, von der Attraktivität der Branchen und von der regionalen Wirtschaftsstruktur. Bildungspolitisch bedeutet das, dass auf Ebene der Regionen passgenaue Maßnahmen nötig sind, um den Ausbildungsmarkt für Jugendliche und Unternehmen zu optimieren und Passungsprobleme zu reduzieren.

Hintergrund: Der Ländermonitor berufliche Bildung 2019

Neben der genauen Analyse und Quantifizierung des Passungsproblems liefert der Ländermonitor  –zum dritten Mal nach 2015 und 2017 – eine umfangreiche und detaillierte Untersuchung der beruflichen Bildung in Deutschland. Er umfasst 16 Berichte zur Situation der beruflichen Bildung in den Bundesländern sowie einen vergleichenden Teil, in dem die länderübergreifende Entwicklung der beruflichen Bildung untersucht wird. Erstellt wurden die drei Ausgaben des Ländermonitors von Wissenschaftler*innen der Universität Göttingen (Professur für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung) sowie des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI), gefördert von der Bertelsmann Stiftung.

Autoren: Claudia Burkard und Dr. Marcus Eckelt



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