Zehn Gelingensbedingungen für eine Ausbildungsgarantie

Warum eine Ausbildungsgarantie so wichtig ist

Im Jahr 2019 gab es in Deutschland rund 2,16 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren, die über keinen Berufsabschluss verfügten. Das entspricht einer Quote von 14,7 % – mit steigender Tendenz.[1] Die Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft sind so dramatisch wie paradox: Einerseits sind Personen ohne Berufsabschluss von Arbeitslosigkeit besonders betroffen. Andererseits klagen zwei Drittel der Unternehmen in Deutschland bereits heute über Fachkräftemangel und fast die Hälfte konstatiert speziell einen Mangel an beruflich qualifizierten Personen.

Die kritische Entwicklung der Zahl der Ungelernten spiegelt sich in der angespannten Lage auf dem Ausbildungsmarkt. Auf der betrieblichen Seite bleibt eine seit Jahren wachsende Zahl von Ausbildungsstellen unbesetzt. Gleichzeitig geht eine große Zahl von Ausbildungsbewerber:innen Jahr für Jahr leer aus. Das hinterlässt Spuren bei den Jugendlichen: Fast 40 % der 14- bis 20-Jährigen in Deutschland haben den Eindruck, es gebe zu wenige Ausbildungsplätze.[2]

Seit Jahren wird versucht, die Ungleichgewichte auf dem Ausbildungsmarkt auszugleichen, beispielsweise durch Ausbildungsprämien für Betriebe, Allianzen für Ausbildung oder durch Berufsorientierungsmaßnahmen. Leider ist es trotz all dieser Anstrengungen nicht gelungen, die Ungleichgewichte aufzulösen. Im Gegenteil: Gerade die Passungsprobleme – also das gleichzeitige Auftreten von unbesetzten Stellen und unversorgten Bewerber:innen – sind in den letzten Jahren immer größer geworden.

Was kann getan werden? In letzter Zeit ist vermehrt der Ruf nach einer Ausbildungsgarantie laut geworden. Jetzt ist sie sogar im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgeschrieben: „Wir wollen eine Ausbildungsgarantie, die allen Jugendlichen einen Zugang zu einer vollqualifizierenden Berufsausbildung ermöglicht, stets vorrangig im Betrieb.“[3] Unklar ist noch, wie diese Ausbildungsgarantie genau ausgestaltet sein soll. Aber genau darauf kommt es an. Denn insbesondere richtig gesetzte Anreize sind entscheidend, um Jugendlichen echte Chancen zu bieten und gleichzeitig die Betriebe bei der Stange zu halten. Wie das erfolgreich umgesetzt werden kann, wird in den folgenden zehn Gelingensbedingungen erläutert.

1.) Offenheit für alle Jugendlichen

Ziel einer Ausbildungsgarantie sollte es grundsätzlich sein, jedem ausbildungswilligen Jugendlichen die Chance auf einen Ausbildungsplatz zu geben. Der Zugang zur Ausbildungsgarantie darf also nicht auf bestimmte Regionen oder auf bestimmte, in irgendeiner Form als benachteiligt eingestufte Jugendliche bzw. Zielgruppen begrenzt sein. Solche Einschränkungen widersprechen nicht nur dem Grundgedanken einer Ausbildungsgarantie, sondern stehen auch mit einem zeitgemäßen Inklusionsverständnis in Konflikt.[4] Die Ausbildungsgarantie sollte vielmehr bei all jenen greifen, die auf dem Ausbildungsmarkt leer ausgegangen sind.

2.) Nachweis von Bewerbungsbemühungen

Ein Ausbildungsplatz im Rahmen der Ausbildungsgarantie sollte erst in Anspruch genommen werden, wenn alle zumutbaren Bewerbungsbemühungen ohne Erfolg geblieben sind. Dies kann zum einen dadurch gewährleistet bzw. geprüft werden, dass die Erfolglosigkeit der vorangegangenen Ausbildungsstellensuche beispielsweise durch die Vorlage einer bestimmten Mindestzahl von Bewerbungsschreiben oder empfangener Absagen belegt wird.  Zum anderen kann versucht werden, den Jugendlichen im Rahmen einer Vorbereitungs- und Orientierungsphase nochmals intensiv bei seinen Bewerbungsbemühungen zu unterstützen. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass ein staatlich finanzierter Ausbildungsplatz trotz des Vorliegens geeigneter regulärer Angebote vorgezogen wird.

3.) Niedrigere Ausbildungsvergütung

Kritiker:innen weisen häufig darauf hin, dass die Jugendlichen die staatlichen Ersatzangebote vorziehen könnten, um möglicherweise frustrierende Bewerbungsprozesse oder den rauen betrieblichen Alltag zu vermeiden. Betrachtet man die Entscheidungssituation der Jugendlichen, so ist grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen, dass eine Abstimmung mit den Füßen zugunsten der staatlich finanzierten Ausbildung erfolgen könnte. Wenn diese aus Sicht der Jugendlichen bessere Bedingungen bietet, wäre es rational, dieser Alternative auch den Vorzug zu geben. Aus diesem Grund sollte die Ausbildungsvergütung bei den Ersatzangeboten geringer sein als bei der regulären Ausbildung.

4.) Verdrängung betrieblicher Ausbildung vermeiden

Kritisch argumentiert wird auch häufig, dass Betriebe sich aus der Ausbildung zurückziehen könnten und stattdessen lieber Absolvent:innen aus der außerbetrieblichen Ausbildung übernehmen. Gemäß der ökonomischen Theorie bildet ein Betrieb dann aus, wenn der Nutzen, den er durch die Ausbildung erzielt, höher ist als die Kosten.[5] Vor diesem Hintergrund ist es nicht ersichtlich, warum sich das Kalkül, einen Ausbildungsplatz anzubieten, durch die Einführung einer öffentlich finanzierten Ausbildung grundlegend ändern sollte. Mit anderen Worten: Wenn sich Ausbildung aus ökonomischer Perspektive für einen Betrieb bereits während der Ausbildungsdauer lohnt, dann gilt das ganz unabhängig von der Existenz außerbetrieblicher Ausbildungsplätze im Rahmen einer Ausbildungsgarantie.[6] Lohnt sie sich kurzfristig hingegen nicht bzw. tritt der wirtschaftliche Nutzen erst durch die spätere Anstellung ausgebildeter Arbeitskräfte ein, dann würden sich die Unternehmen – theoretisch betrachtet – auch in einem rein betrieblichen Ausbildungssystem für das Trittbrettfahren entscheiden und bereits lieber ausgebildete Arbeitskräfte nach abgeschlossener Ausbildung von anderen Unternehmen abwerben.[7] Aus theoretischer Sicht sind Verdrängungseffekte also sehr unwahrscheinlich.

Auf der praktischen Ebene sollten Betriebe als Praktikums- oder Kooperationsbetriebe in der außerbetrieblichen Ausbildung eingebunden werden. Dies ermöglicht ein gegenseitiges Kennenlernen von Betrieb und Jugendlichem und erhöht damit die Chance auf Übernahme während oder nach der Ausbildungszeit. Auf diese Weise kann eine Ausbildungsgarantie auch einen Beitrag zur Lösung von Passungsproblemen leisten. Zudem wird dadurch gewährleistet, dass der Jugendliche – zumindest teilweise – in der „echten“ betrieblichen Arbeitswelt ausgebildet wird.

5.) Befristung und Anrechnung

Die Ausbildungsverträge sollten zunächst nur für ein Jahr abgeschlossen und der Übergang in eine reguläre Ausbildung spätestens nach dem ersten Ausbildungsjahr angestrebt werden – mit Anrechnung der bereits absolvierten Ausbildungszeit. Durch die Befristung wird der ‚transitorische‘ Charakter der staatlich finanzierten Ausbildung betont: Ziel ist der Übergang in reguläre betriebliche oder vollzeitschulische Ausbildung. Die Anrechnung ist wichtig, um die Ausbildungsgarantie klar von Übergangsmaßnahmen abzugrenzen. An diesen wird immer wieder kritisiert, dass sie nicht auf Ausbildung anrechenbar sind und deshalb – zumindest in Teilen – ‚Warteschleifen‘ darstellen.

6.) Unterstützung bei der Vermittlung

Der Übergang in reguläre duale oder vollzeitschulische Ausbildung sollte durch intensive Vermittlungsbemühungen von Seiten der Arbeitsverwaltung oder des Bildungsträgers unterstützt werden. Eine Übernahme kann für Betriebe durchaus attraktiv sein, denn sie erhalten auf diese Weise bereits vorqualifizierte Auszubildende, die sie zudem vor einer Übernahmeentscheidung im Rahmen von Praktika während des ersten Ausbildungsjahres kennenlernen können. Nur wenn diese Vermittlungsbemühungen nicht gelingen, erfolgt die Fortsetzung der staatlich finanzierten Ausbildung.

7.) Vermittlungsanreize für Träger

Kritiker:innen sehen die Gefahr, dass die mit der außerbetrieblichen Ausbildung beauftragten Bildungsträger den ökonomischen Anreiz haben, Jugendliche so lang wie möglich in dieser zu halten. Um dies zu vermeiden, sollten die Bildungsträger Vermittlungsprämien erhalten, wenn der Übergang in ungeförderte Ausbildung gelingt. Eine andere Form des Anreizes kann auch ein Gruppenbudget sein, so dass der Betreuungsschlüssel für die verbleibenden Jugendlichen erhöht werden kann, wenn Jugendliche in reguläre Ausbildung vermittelt werden. In jedem Fall sollte verhindert werden, dass die Ausbildungseinrichtung durch die Vermittlung der Jugendlichen in ungeförderte Ausbildung negative (ökonomische) Effekte erzielt und aufgrund dessen den Anreiz hat, die Ausbildung vollständig in der Einrichtung zu absolvieren.

8.) Einbindung von Wirtschaft, Sozialpartnern und Stakeholdern

Die Wirksamkeit einer Ausbildungsgarantie steht und fällt mit ihrer Akzeptanz durch die Wirtschaft. Die Akzeptanz ist notwendig, um Kooperationsbetriebe zu gewinnen, um eine Übernahme in reguläre Ausbildung zu ermöglichen und um die Übergangschancen der Absolvent:innen an der zweiten Schwelle zum Arbeitsmarkt zu erhöhen. Die Sozialpartner sollten daher möglichst auf allen Entscheidungsebenen in Zusammenhang mit der Ausbildungsgarantie eingebunden werden.

Wichtig ist, im Rahmen der Ausbildungsgarantie nach Möglichkeit nur Berufsausbildungen anzubieten, die den Jugendlichen später auch Arbeitsmarktchancen bieten. Deshalb sollte die Auswahl der Berufe regional auf Grundlage von Bedarfsanalysen erfolgen, die anhand von Arbeitsmarktdaten erstellt und mit den Sozialpartnern und verantwortlichen Landesministerien verhandelt werden. Grundsätzlich kommen dafür duale Ausbildungsberufe ebenso in Frage wie vollzeitschulische des Pflege-, Gesundheits- und Erziehungsbereichs. Gerade letztere sollten mit Blick auf den akuten Fachkräftemangel in diesem Bereich nicht außen vor gelassen werden.

9.) Rechtliche Verankerung und nachhaltige Finanzierung

Um den Garantiecharakter der außerbetrieblichen Ausbildung auch wirklich einlösen zu können, muss eine Ausbildungsgarantie als dauerhaftes Element im System rechtlich verankert sein und nicht nur vorübergehenden Projektcharakter haben. Gleiches gilt für die Finanzierung: Eine Ausbildungsgarantie sollte mit einem Budgetmechanismus ausgestattet sein, der es ermöglicht, die Schwankungen im Ausbildungsangebot flexibel abzufedern. Die entstehenden Kosten können mindestens teilweise durch Einsparungen bei denjenigen Maßnahmen des Übergangsbereichs kompensiert werden, die aufgrund der Ausbildungsgarantie nicht mehr erforderlich sind.

10.) Erfolgskontrolle und Evaluation

Staatliche Interventionen sollten regelmäßig im Hinblick auf ihre Effektivität und Effizienz überprüft werden. Das gilt auch für die Ausbildungsgarantie. In jedem Fall müssen anhand von geeigneten Kennzahlen die direkten Outputgrößen (Teilnehmendenzahlen, Übergänge, Abbrüche etc.) dokumentiert werden. Darüber hinaus sind Wirkungsindikatoren und/oder Evaluationen wünschenswert, mit denen der Zusatznutzen ermittelt werden kann, der aufgrund der Ausbildungsgarantie entsteht.

Diese Gelingensbedingungen sind als Impulspapier online verfügbar unter www.chance-ausbildung.de/ausbildungsgarantie/gelingensbedingungen

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[1] Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung (2021): Berufsbildungsbericht 2021, Tab. 17, S. 81f. (zuletzt aufgerufen am 25.04.2022).
[2] Ingo Barlovic, Denise Ullrich, Clemens Wieland (2022): Ausbildungsperspektiven im dritten Corona-Jahr. Eine repräsentative Befragung von Jugendlichen 2022, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Gütersloh. Online verfügbar unter: www.chance-ausbildung.de/jugendbefragung/corona2022.
[3] Vgl. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. 2021, S. 66 (zuletzt aufgerufen am 16.02.2022).
[4] So kommt ein Gutachten zur Ausbildungssituation aus menschenrechtlicher Perspektive zu folgendem Schluss: „Diskriminierende personenbezogene Kategorisierungen (z. B. ‚Behinderte‘, ‚Benachteiligte‘, fehlende Ausbildungsreife‘), mit denen institutionelle Zuweisungen in exklusive bzw. gesonderte Maßnahmen außerhalb des zuvor genannten Regelsystems verbunden sind, schließt das Inklusionsverständnis der UN-BRK grundsätzlich aus.“ In: Der Paritätische (Hrsg.) (2021): Übergang zwischen Schule und Beruf neu denken: Für ein inklusives Ausbildungssystem aus menschenrechtlicher Perspektive, Expertise im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbandes, S. 31.
[5] Zu den Kosten und Nutzen beruflicher Bildung aus Sicht von Betrieben vgl. BIBB / Kosten und Nutzen der Ausbildung aus betrieblicher Sicht (zuletzt aufgerufen am 02.03.2022).
[6] In Deutschland erwirtschaften rund 28 % der Auszubildenden schon während der Ausbildungszeit Nettoerträge; vgl. BIBB / Kosten und Nutzen der Ausbildung aus betrieblicher Sicht (zuletzt aufgerufen am 02.03.2022).
[7] Vgl. Susanne Forstner, Zuzana Molnárová und Mario Steiner (2021). Institut für Höhere Studien – IHS, Wien. Volkswirtschaftliche Effekte einer Ausbildungsgarantie – Simulation einer Übertragung der österreichischen Ausbildungsgarantie nach Deutschland. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), S. 53f. Online verfügbar unter www.chance-ausbildung.de/effekte-ausbildungsgarantie (zuletzt aufgerufen am 25.04.2022).

 



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