Übergänge für beruflich Qualifizierte in eine akademische Studienkultur unterstützen – Forderungen zur Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung Teil 4/5

Aus dem Betrieb in die Uni?

In vielen Bundesländern entscheidet es sich bereits in der 4. Klasse, ob ein Kind auf eine Schule kommt, an der es Abitur machen kann oder nicht. Diese Entscheidung hat Auswirkungen auf den weiteren Bildungsweg. Während junge Menschen mit Abitur die Wahl zwischen Ausbildung und Studium haben, bleibt denen ohne Abitur der Zugang zur Hochschule verwehrt. Dies ist auch dann noch so, wenn sie im Anschluss an die Schule eine berufliche Ausbildung absolviert haben. Denn den direkten Zugang zum Studium erhält nur, wer die Hochschulreife innehat.

Immer mehr junge Menschen streben nach akademischen Abschlüssen. Nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Aus der Perspektive des Einzelnen ist das auch nachvollziehbar, denn nach wie vor ermöglicht ein Studienabschluss im Durchschnitt bessere Verdienst- und Entwicklungsmöglichkeiten, Arbeitsbedingungen und auch eine höhere Arbeitsplatzsicherheit. Deshalb ist es verständlich, wenn Menschen ohne Abitur, die eine berufliche Ausbildung absolviert haben, ein Studium „draufsatteln“ möchten. Unser Bildungssystem ist jedoch von einem Entweder-oder geprägt, sodass eine einmalig getroffene Bildungsentscheidung und ein eingeschlagener Bildungsweg schwierig zu revidieren ist. Um beruflich Qualifizierten ohne Abitur Umwege auf dem Weg ins Studium zu ersparen und mehr Durchlässigkeit zu ermöglichen setzt sich die Initiative* „Chance Ausbildung – jeder wird gebraucht!“ dafür ein, deren Übergänge in eine akademische Studienkultur zu vereinfachen und zu unterstützen.

Was es bereits gibt und wo die Schwächen liegen

Seit dem Jahr 2009 gibt es den sogenannten Öffnungs und Anrechnungsbeschluss der Kultusministerkonferenz (KMK). Dieser hat zu deutlich verbesserten rechtlichen Bedingungen für den Hochschulzugang von beruflich Qualifizierten ohne Abitur geführt. Seit diesem Beschluss können Personen, die zwar nicht über das Abitur verfügen, aber eine berufliche Ausbildung abgeschlossen haben, ein Studium aufnehmen. Daran ist jedoch die Bedingung des Nachweises einer dreijährigen Berufstätigkeit geknüpft.

Rund 46.000 Menschen ohne Abitur studieren derzeit bundesweit. In der Zeit zwischen 1997 und 2013 hat sich die Zahl der Studienanfänger ohne Abitur und Fachhochschulreife von 1.568 auf 13.215 erhöht. Dieser Zuwachs scheint zunächst beachtlich, doch setzt man ihn ins Verhältnis zu dem Zuwachs der Studienanfänger insgesamt, so zeigt sich, dass allein beruflich Qualifizierte an der Hochschule nur einen geringen Prozentsatz ausmachen: Im bundesweiten Durchschnitt lag ihr Anteil an den Studienanfängern 2012 gerade einmal bei rund 2,5 Prozent. Dass ihr Anteil so klein ist, kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass allein die rechtliche Möglichkeit zu studieren nicht ausreicht.

Was getan werden muss

  • Die rechtliche Möglichkeit, als beruflich Qualifizierter ohne Abitur zu studieren, bedarf flankierender Unterstützungsmaßnahmen. Um beruflich Qualifizierten den Einstieg in die für sie häufig ungewohnten Lernkulturen (überspitzt: vom anwendungsbezogenen Lernen in der Ausbildung hin zum rein theoretischen Lernen an der Hochschule) zu erleichtern, sollten in der Studieneingangsphase Angebote wie Brückenkurse, Beratungs- und Mentoring-Angebote an der Hochschule angeboten werden.
  • Es ist zu prüfen, ob die geforderten drei Jahre Berufstätigkeit im Anschluss an die Ausbildung für die Aufnahme eines Studiums tatsächlich hilfreich sind. Es spricht im Gegenteil viel dafür, dass durch die mehrjährige Berufstätigkeit die Hürden zur Aufnahme eines Studiums eher größer als kleiner werden.
  • Einige beruflich Qualifizierte ohne Abitur studieren „fachaffin“, also ein Studienfach, das inhaltlich mit ihrer zuvor absolvierten Ausbildung verwandt ist. Um unnötige Wiederholungen und damit Frust zu vermeiden, sollten die Möglichkeiten der Anrechnung in der Ausbildung und im Beruf bereits erworbener Kompetenzen auf affine Hochschulstudiengänge ausgedehnt werden. So sollte sich zum Beispiel der Absolvent einer kaufmännischen Ausbildung Kenntnisse in Rechnungswesen oder Informatik in einem BWL-Studium anrechnen lassen und so die Dauer seines Studiums verkürzen können.
  • Zudem sollten Eignungsfeststellungen bei beruflich Qualifizierten ohne Hochschulzugangsberechtigung auch diejenigen studienrelevanten Kompetenzen miteinbeziehen, die durch die berufliche Ausbildung und die eventuelle Berufspraxis erworben wurden.

Soviel zu der Forderung der Initiative nach Unterstützung für beruflich Qualifizierte im Übergang in eine akademische Studienkultur. Über die letzte Forderung werde ich hier demnächst ebenfalls berichten.

*Die Initiative „Chance Ausbildung – jeder wird gebraucht!“, bestehend aus elf Ministerien aus acht Bundesländern und der Bundesagentur für Arbeit sowie der Bertelsmann Stiftung, setzt sich für eine stärkere Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung ein. Um diese zu verwirklichen, hat die Initiative gemeinsam das Positionspapier „Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung – Positionen beziehen“ veröffentlicht. Weitere Informationen und Publikationen zum Thema sind hier zu finden.

Beitragsreihe zu den Forderungen der Initiative „Chance Ausbildung“ zur Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung



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