Ein Beispiel gelungener Integration und warum Auszubildende die DNA der dualen Ausbildung sind

Nihal Güvenir ist Friseurmeisterin und betreibt seit 1991 ihren eigenen Salon in Frechen. Ihr Vater kam wie so viele als türkischer Gastarbeiter nach Deutschland. Im Dezember 1984 folgte Nihal ihm und begann bereits ein Jahr später ihre Ausbildung zur Friseurin.

Kennengelernt habe ich Nihal auf einer Veranstaltung der Koordinierungsstelle Ausbildung und Migration in Köln. Dort warb sie gemeinsam mit ihren Auszubildenden bei Betrieben für die Ausbildung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Anders als viele andere Teilnehmer der Veranstaltung kann sich Nihal dabei auf eigene Erfahrungen beziehen – als Zugewanderte, als ehemalige Auszubildende, als Fachkraft und schließlich als Ausbilderin. 2015 wurde ihr Salon als „Top Ausbildungsbetrieb“ nominiert. Ihre eigenen Erfahrungen sind es auch, die sie davon überzeugt haben, dass man jungen Menschen eine Chance geben muss – damit daraus Erfolgsgeschichten wie ihre werden können.

Sprungbrett Praktikum

Den Anfang machte ein Schulpraktikum. Zu diesem Zeitpunkt konnte Nihal nicht viel mehr auf Deutsch sagen als „Guten Tag“, „Danke“ und „Bitte“. Dennoch fand sie einen Praktikumsplatz in einer Zahnarztpraxis. Aufgrund ihrer fehlenden Sprachkenntnisse konnte sie jedoch kaum Aufgaben übernehmen und war nicht recht glücklich dort. In ihrer Mittagspause saß sie regelmäßig in dem im selben Haus befindlichen Eiscafé. Von dort aus hatte sie direkten Blick auf einen Friseursalon und das geschäftige Vorgehen darin und träumte von einer Tätigkeit dort. Angespornt durch eine Schulfreundin, die in diesem Salon hospitierte, bewarb sie sich und wechselte den Praktikumsplatz. So entdeckte Nihal ihre Leidenschaft für den Friseurberuf und auch ihr Talent für diesen Beruf blieb nicht unentdeckt: Am letzten Tag ihres Praktikums gab ihr der Meister einen Zettel mit. Diesen konnten allerdings weder Nihal noch ihr Vater aufgrund der noch mangelnden Deutschkenntnisse lesen. Wieder in der Schule zeigte Nihal das Schreiben ihrer Lehrerin, die ihr daraufhin mit den Worten „Was haben Sie gemacht? Dies ist ein Ausbildungsvertag.“ in die Arme fiel.

Unterstützung von allen Seiten

Im Rückblick ist sich Nihal sicher, dass sie die Ausbildung nur gemeistert hat, weil sie von allen Seiten immer unterstützt wurde. Da ihr Vater Nihal nicht beim Erlernen der deutschen Sprache helfen konnte, organsierte er ihr Nachhilfe. Je besser ihr Deutsch wurde, desto besser wurden auch ihre Schulnoten. Die Lehrer staunten über das Mädchen, dass so unbedingt diesen Beruf lernen wollte: „Meine Lehrer sagten immer ‚Nihal konnte nichts, hat aber alles auswendig gelernt. Sogar die Seitenzahlen konnte sie benennen‘.“ Nihal profitierte von den „immer guten Menschen“ um sie herum: „Der liebe Gott hat es mir so einfach gemacht: Die Türen standen mir immer offen, sodass ich nicht einmal anklopfen musste.“

Die eigenen positiven Erfahrungen an andere weitergeben

Geprägt durch ihre Erfahrungen, stets von anderen unterstützt zu werden, will Nihal diese auch anderen ermöglichen. So ist sie seit ihrer Saloneröffnung selbst Ausbilderin. Gerne bildet Nihal zwei Azubis zeitgleich aus, denn so können diese einander helfen und im besten Fall gegenseitig anspornen. Nihal ist es wichtig, auch denen die Chance auf einen Ausbildungsplatz bei sich im Betrieb zu geben, die es bei der Suche schwieriger haben. Deshalb pflegt sie einen engen Kontakt zu den Hauptschulen in Frechen und auch zum CJD Berufsbildungswerk Frechen, das für sozial, körperlich oder geistig benachteiligte Menschen Angebote und Förderprogramme anbietet. Die Ausbildung von Jugendlichen „bei denen der Knoten erst später platzt“ geht Nihal ganz pragmatisch an: „Dann sag ich manche Dinge eben nicht nur zehn sondern zwanzig Mal“. Ihre Erfahrung zeigt, dass es wichtig ist als Ausbilder „mit Herz und Seele“ dabei zu sein, „dann erzielt man das beste Ergebnis.“ Ihr Tipp an andere Betriebe lautet deshalb wie folgt: „Die Azubis müssen gern kommen, dafür braucht es oft Geduld und vor allem den Willen seitens des Ausbilders, etwas weiterzugeben.“

Eine Erfolgsgeschichte mit zwei Seiten

Dieses Jahr feierte Nihal das 25-jährige Jubiläum ihres kleinen Betriebes. Ihr Team ist international: eine Griechin, eine Russin und eine Deutsche arbeiten zusammen. Gern wird Nihals Werdegang als Beispiel gelungener Integration herangezogen. Nihal ist seit einiger Zeit stellvertretende Lehrlingswartin der Innung und arbeitet selbstverständlich auch tatkräftig im Prüfungsausschuss der Friseur-Innung mit. Bei dieser Arbeit trifft sie gelegentlich auf ihre ehemaligen Lehrer. Zum Thema Integration fällt ihr lachend eine Geschichte ein: Bei einem Zusammentreffen mit einem ihrer ehemaligen Lehrer kommentierte dieser scherzhaft ihre redselige Art: „Nihal, hättest du mal besser nicht so gut Deutsch gelernt, dann würdest du jetzt nicht so viel reden.“ „So“ sagt Nihal augenzwinkernd „hat die Integration immer zwei Seiten…“.

Vom Praktikum in die Ausbildung

Die neueste Auszubildende in Nihals Friseursalon ist Olga. Sie ist 17 Jahre alt, stammt aus Griechenland und lebt erst seit 2014 in Deutschland. Nach Beendigung der 9. Klasse besuchte sie eine sogenannte BUS-Klasse. Die Schüler dieser Klassen absolvieren neben dem schulischen Unterricht an zwei Tagen pro Woche Praktika, um Erfahrungen im Betrieb zu sammeln und ihnen so den Übergang in eine Ausbildung zu erleichtern. Tatsächlich trat bei Olga der sogenannte Klebeeffekt ein: nach einem Jahr Praktikum wurde sie im August 2016 als Auszubildende in Nihals Friseursalon übernommen.

Olga sagt von sich, dass sie schon immer gern handwerklich gearbeitet hat. Ihre liebsten Tätigkeiten sind das Haare färben und das Augenbrauen zupfen. Besonders freut es sie, wenn eine der Kundinnen ihrer Ausbilderin Nihal sich von ihr die Augenbrauen zupfen lassen. Denn sie weiß, diese kommen auf Empfehlung ihrer Ausbilderin – das größte Kompliment. An ihrem Beruf schätzt Olga die Arbeit im Team „Alle haben das gleiche Ziel: zufriedene Kundinnen.“

Warum Auszubildende die DNA der dualen Ausbildung sind

Nicht viele hätten Olga angesichts der anfänglich doch recht großen Sprachschwierigkeiten eine Ausbildung zugetraut. Doch die Arbeit im Salon motiviert sie. Der Kontakt mit Menschen macht ihr Spaß, denn „jeder Kunde ist anders und das macht es interessant“. Auf die Frage nach ihren Zukunftswünschen hat Olga gleich drei: „Den Gesellenbrief, weiterhin die Unterstützung meiner Kolleginnen und einmal selbst einen Friseursalon eröffnen!“. Ob sie denn dann auch ausbilden möchte? „Natürlich. Damit auch andere Jugendliche so wie ich eine Chance auf einen Ausbildungsplatz haben.“

Ich bin überzeugt, da wird etwas Gutes weitervererbt…



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