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28. August 2020

#Stopptkinderarmut – finanziert die Kommunen!

Viele kommunale Initiativen werden mit Fördermitteln von Bund, Ländern und der EU unterstützt. Gerade Kinder und Jugendliche können in den Bereichen Bildung, Erziehung und Gesundheit davon profitieren. Auch die nordrheinwestfälische Initiative „Kein Kind zurücklassen!“ bzw. „kinderstark“ wird durchgehend gefördert. Zunächst mit Mitteln des europäischen Sozialfonds, jetzt über Haushaltsmittel des Landes NRW.

In der Begleitung der Kommunen im Projekt „Kein Kindzurücklassen!“ konnte ich erleben, wie schwierig es ist, Projekte mit Fördermitteln umzusetzen. Gefühlt dauert es ewig – Antragsstellung, Einstellung des Personals, Projektstrukturen einrichten – bis überhaupt erst mal angefangen werden kann, für und mit Kindern zu arbeiten.

Und dann ist die Förderphase um, alles muss akribisch dokumentiert, ausgerechnet und belegt werden und gleichzeitig geschaut, wie man die angestoßenen Initiativen weiterführen kann. Für Kommunen in der Haushaltssicherung mit knappen Personalressourcen keine leichte Aufgabe.

 

Fördermittel für arme Kommunen?

Das Berlin Institut und die Wüstenrot Stiftung haben eine Studie mit dem Titel „Wer schon viel hat, dem wird noch mehr gegeben?“ veröffentlicht, angelehnt an Mt. 25, 29.

Wer schon viel hat, dem wird noch mehr gegeben?

Meine ganz kurze Zusammenfassung der Studie lautet: Gerade in und nach Corona werden arme Kommunen es noch schwerer haben; der Lastenausgleich über Fördermittel funktioniert nicht. Geld steht ausreichend zur Verfügung, gleichzeitig schieben die Kommunen einen Investitionsstau von rund 138 Mrd. Euro (2018) vor sich her. Die Hürden, um mit dem Geld die notwendigen Investitionen zu tätigen, sind finanziell und administrativ zu hoch, als dass Fördergelder zur Lösung beitragen. Die Abwärtsspirale armer Kommunen setzt sich fort.

Ich selbst ziehe daraus den Schluss: Ohne Not, lediglich durch administrative Komplexität und Fehlsteuerung, steht die kommunale Selbstverwaltung schwer unter Druck. Insbesondere benachteiligte Kinder und Jugendliche leiden unter den Folgen, denn viele der für sie relevanten Bereiche fallen unter die sogenannten pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben. Das bedeutet, hier muss die Kommune etwas tun, aber wie und mit welchem Ressourceneinsatz bleibt ihr überlassen. Die Konsequenzen wirken sich auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus.

Wie ich darauf komme?

 

Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland

Mein Kollege Kai Unzicker fordert in der gerade veröffentlichten Studie „Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland“ gezielte Anstrengungen, die Versorgungs- und Unterstützungsangebote vor Ort auszubauen, um die ​ Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die ein geringeres Maß von Zusammenhalt verspüren und von einer schlechteren Versorgung mit sozialer Infrastruktur in ihrem näheren Umfeld berichten. „Gerade durch die Erfahrungen der aktuellen Krisensituation drohen vor allem Alleinerziehende, Migranten und Personen mit geringerer Bildung aus dem sozialen Gefüge herauszufallen. Sollte sich beispielsweise die Situation bei der Kinderbetreuung oder dem Homeschooling in nächster Zeit nicht deutlich verbessern oder gar wieder verschärfen, so geht dies vor allem zu Lasten dieser Gruppen“.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt in-Deutschland 2020

Wir wissen, dass in der Regel die ärmsten Kommunen die größten sozialen Lasten tragen und nicht investieren können. Gerade Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Lebenslagen erhalten dadurch noch weniger (Bildungs-) Chancen als ihre Altersgenossen. Ohne Unterstützung, ohne Teilhabe, ohne Bildung, wie sollen sie sich entwickeln können? Und wie sollen sie in Zukunft ihre Städte und Dörfer gestalten?

 

Wie diesen Teufelskreis durchbrechen?

Solange Politik Hilfe verspricht und Programme aufsetzt, die aus administrativen Gründen nicht bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen können, erleben gerade Menschen in Not den Staat nicht als Unterstützung. Die Ankündigungen der Politik werden so zu leeren Versprechen. Konkret werden diese Erfahrungen am Wohnort, in der Kommune gemacht. Also liegt auch hier der Schlüssel, um Vertrauen in den Staat zu stärken, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und Kinderarmut wirkungsvoll zu bekämpfen. Es bedarf einer mutigen und offensiven Veränderung von Verwaltungs- und Förderstrukturen, um den Anliegen der Kommunen finanziell und administrativ Folge zu leisten.

 

Alles hängt mit allem zusammen

Unser Staat ist ein Rechtsstaat, darüber bin ich sehr froh. In dieser Funktion muss er die rechtlich richtigen Wege befolgen, egal, wie umständlich sie sind und wie viel Bürokratie sie schaffen.

Diese Umständlichkeit macht mir Angst, weil ich fürchte, dass sie zumindest ein Grund für die zunehmende Unzufriedenheit und Radikalisierung ist, die wir aktuell erleben. Ich fürchte das große zerstörerische Potenzial, wenn viele Menschen unseren demokratisch verfassten Sozialstaat als willkürliches und gleichzeitig zahnloses Monster mit Blick auf gesellschaftliche Problemlagen erleben.

Aus meiner Sicht hilft da kein Reden. Zumal auch der milieuspezifische Sprachgebrauch unsere Gesellschaft zunehmend spaltet. Anders ausgedrückt: Politiker und Verwaltungsangestellte versteht doch kein Mensch. Gerade benachteiligte Jugendliche und Kinder müssen den Wert erfahren, den unsere Staatsform darstellt. Das wird schwierig, wenn es an Kitas, Lehrenden, digitalen Endgeräten, an Sozialarbeitern und Spielplätzen in armen Stadtteilen mangelt und Jugendamt und Jobcenter als diskriminierend erfahren werden.

 

Auch ein langer Weg beginnt mit dem ersten Schritt

Wie all dem begegnen in seiner Komplexität und Verwobenheit? Ein erster Schritt könnte eine wirklich auskömmliche und entbürokratisierte Finanzierung der Kommunen sein. Sie brauchen Mittel, um in eine gute soziale Infrastruktur zu investieren. Soziales, Gesundheit, (frühkindliche) Bildung und Erziehung im Sinne benachteiligter Familien und Kinder zu organisieren, kann der kommunalen Selbstverwaltung klammer Kommunen wieder Schwung verleihen. Und die Benachteiligten in der heranwachsenden Generation bekommen eine Chance.

 

Was brauchen arme Kommunen besonders dringlich?

Das ist die Kernfrage, wenn es darum geht, wie eine bessere Finanzierung armer Kommunen aussehen könnte. Die oben angeführte Studie „Wer schon viel hat, dem wird noch mehr gegeben?“ hat systematisch die Finanzierung von Kommunen in Deutschland unter die Lupe genommen und vielfältige Alternativen dargestellt. Bei der Abwägung verschiedener Neuerungen wird auch nach Möglichkeiten für arme Kommunen gesucht, Beispiele guter Finanzierung auf Länder- und kommunaler Ebene aufgeführt und die administrativen Hürden mitbedacht.

In NRW gibt es bereits positive Ansätze, die die Empfehlungen der Studie umsetzen: Für die Beantragung der Fördermittel aus „kinderstark“ spielt bspw. die SGB II Quote einer Stadt die Schlüsselrolle bei der Bemessung der Fördermittel. Auch arbeitet der ESF in NRW in der laufenden Förderperiode mit Personalpauschalen, die Gemein- und Reisekosten umfassen und damit die Verwaltung entlasten. Es muss nicht mehr jede Busfahrkarte in Tabellen eingetragen und archiviert werden. Die EU plant, diese Form der pauschalen Abrechnung in die Struktur und Investitionsfonds 2021 bis 2027 zu übernehmen.

Die Studie ist auf große Resonanz in den Medien und der kommunalpolitischen Öffentlichkeit gestoßen. Auch wenn der Studienschwerpunkt im Hauptaugenmerk nicht auf den Förderkulissen sozialer Anliegen liegt, so sind die Stolpersteine und Chancen ähnlich gelagert. Mögen der medialen Aufmerksamkeit für das Anliegen der Untersuchung Taten auf Bund- und Länderebene folgen, damit alle Kinder und Jugendliche in Deutschland eine faire Chance bekommen.

 

Bildnachweis: Christina Wieda

 

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