Drei Mädchen stehen vor einer Backsteinwand. Das Mädchens links im Bild steht abseits mit verschränkten Armen und traurigem gesenktem Blick, während die anderen Mädchen sich fröhlich unterhalten.

Freie Grundschulwahl verschärft die soziale Trennung von Schülern

Kinder unterschiedlicher sozialer und nationaler Herkunft lernen gemeinsam und bereichern sich gegenseitig – so das Ideal. Die Realität sieht in Nordrhein-Westfalen oft anders aus. Unsere Studie zeigt: Die freie Grundschulwahl der Eltern verschärft die bereits vorhandene soziale und ethnische Trennung der Schüler weiter.

Der Anteil an Kindern, die eine andere als die ehemals zuständige Grundschule besuchen, stieg seit Aufhebung der Grundschulbezirksbindung in Nordrhein-Westfalen im Schuljahr 2008/09 deutlich. Der Grund: Ein sozial stark selektives Wahlverhalten der Eltern. Mittlerweile suchen rund 25 Prozent von ihnen für ihre Kinder eine andere als die eigentlich zugeordnete Grundschule aus – ein Anstieg um 15 Prozent. Die Folgen: Die Kinder der einzelnen sozialen Schichten bleiben bereits während der Grundschulzeit zunehmend unter sich und in manchen benachteiligten Wohnquartieren kommt es zu einer starken Schülerabwanderung. Das sind die zentralen Ergebnisse einer Studie des Zentrums für interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR) an der Ruhr-Universität Bochum und der Stadt Mülheim an der Ruhr im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.

Welche Schule ein Kind besucht hängt oft vom Sozial- und Bildungsstatus der Eltern ab

Die Wahlentscheidung der Eltern ist abhängig von ihrem sozialen Hintergrund und von der sozialen Situation in der zuständigen Grundschule. Liegt diese in einem sozial benachteiligten Quartier, suchen Eltern für ihre Kinder häufiger eine andere Einrichtung aus. Mit zunehmendem Sozial- und Bildungsstatus steigt die Bereitschaft der Eltern, zwischen unterschiedlichen Schulen zu wählen, stark an.

"Die soziale und ethnische Schulsegregation war bereits zu Zeiten der Grundschulbezirksbindung über die sozialräumliche Segregation der Wohnquartiere stark ausgeprägt. Durch die Einführung der freien Grundschulwahl nimmt sie weiter zu."

Brigitte Mohn, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung

Liegt die für das eigene Kind zuständige Grundschule in einem sozial benachteiligten Gebiet, nehmen Eltern die freie Grundschulwahl besonders häufig in Anspruch und schicken ihren Sprössling oft lieber auf eine andere Schule.

Mittelschicht nutzt die freie Grundschulwahl am intensivsten

Eltern mit niedrigem Bildungsstatus und solche mit Migrationshintergrund wählen für ihre Kinder meistens die nahegelegene Grundschule. Weniger als 19 Prozent von ihnen suchen eine andere als die zuständige Schule aus. Sie sind in der Regel nur eingeschränkt mobil und bewegen sich überwiegend im eigenen Wohnbezirk. Auch Eltern mit hohem Sozialstatus machen von der freien Schulwahl eher seltener Gebrauch, da sie meist in sozial homogenen Einzugsbereichen wohnen.

Es sind vor allem Eltern aus der Mittelschicht, die die freie Grundschulwahl nutzen. Ist die zuständige Grundschule der Kinder sozial benachteiligt, wird diese von Eltern mit hoher oder mittlerer Bildung gemieden. Lediglich jede dritte Familie mit hoher oder mittlerer Bildung schickt ihr Kind auf eine sozial benachteiligte Schule.

Bessere Ausstattung von Schulen in sozialen Brennpunkten ist dringend notwendig

Für die kommunale und landesweite Gestaltung der nordrhein-westfälischen Schullandschaft ist es wichtig, mehr über das elterliche Wahlverhalten zu wissen. Dieses Verhalten hat die Schulentwicklungsplanung erschwert. Behörden können nicht mehr mit jährlich verlässlichen Schülerzahlen kalkulieren.

Die Studie rät, die soziale Struktur der Schulen landesweit transparent zu machen. Damit könnten die Weichen gestellt werden, um eine unterschiedliche Ressourcenverteilung zu begründen. Über einen Sozialindex könnten benachteiligte Schulen besser mit überzeugenden pädagogischen Konzepten, Ressourcen und guten Lehrern ausgestatten werden, um mit dieser gewonnenen Qualität auch bildungsaffine Eltern zu überzeugen.

Brigitte Mohn, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung, stellt klar: Schulen in sozialen Brennpunkten brauchen mehr Lehrkräfte, einen verbindlichen Ausbau des Ganztags und die interdisziplinäre fachliche Unterstützung bei den Herausforderungen der Inklusion und Migration. Nur dann könnten sie ihren Bildungsauftrag mit den definierten Anforderungen zufriedenstellend im Sinne der Bildungsziele wahrnehmen, so Mohn.

"Es mangelt an Bereitschaft und Geld für dringend notwendige Investitionen in Gebäude, Ausstattung und Personal der Grundschulen. Dabei sind insbesondere unterprivilegierte Schüler an benachteiligten Schulen auf ein qualitativ gut ausgestattetes Umfeld angewiesen. Sonst verlieren sie den Anschluss."

Brigitte Mohn, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung

Die Studie in Form von zwei Publikationen finden Sie in der rechten Spalte.

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