Europaschule Nordhorn, gedeckte Mittagstische

Ganztags-Rechtsanspruch kostet 5,3 Milliarden Euro pro Jahr ab 2025

Ab 2025 soll ein Ganztags-Rechtsanspruch für Grundschulkinder gelten. Um den Bedarf zu decken, müssen 1,1 Millionen Ganztagsplätze zusätzlich geschaffen werden, was jährlich 4,5 Milliarden Euro an Personal kostet. Unsere aktuelle Studie zeigt, dass für bereits bestehende Ganztagsschulen weitere Kosten von 0,8 Milliarden Euro jährlich anfallen, um die Öffnungszeiten, vor allem in den Ferien, zu erweitern.

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Aktuell verhandeln Bund und Länder über die im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellte Beteiligung des Bundes an den Personalkosten, die durch zusätzlich einzurichtende Ganztagsplätze zur Verwirklichung des Rechtsanspruchs anfallen. Grundlage dieser Verhandlungen ist eine Kostenschätzung des Deutschen Jugendinstituts aus dem Oktober diesen Jahres. Für das Jahr 2025, dem geplanten Jahr des Inkrafttretens des Rechtsanspruchs, taxiert die Studie die laufenden Kosten auf 4,5 Milliarden  Euro. Explizit ausgeklammert wurden dabei mögliche Anpassungskosten für die 1,2 Millionen bestehenden Ganztagsplätze in Grundschulen an die Vorgaben des Rechtsanspruchs. Dieser sieht nach den aktuellen Planungen eine Öffnungszeit an den fünf Schultagen von je acht Zeitstunden vor, sowie eine Ferienöffnung in mindestens zehn Ferienwochen.

In unserem Auftrag haben Klaus Klemm, Markus Sauerwein und Dirk Zorn nun beziffert, wie groß dieser Anpassungsbedarf deutschlandweit ausfällt. Dazu analysierten die Forscher repräsentative Daten der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG). Der Befund: 22,4 Prozent aller offenen und 25,6 Prozent aller gebundenen Ganztagsgrundschulen haben demnach in den Unterrichtswochen weniger als acht Zeitstunden an fünf Tagen geöffnet. Im Mittel beträgt der Fehlbetrag zur Soll-Öffnungszeit 3,65 Zeitstunden. Noch größer fällt die Lücke aus, was die Ferienzeiten betrifft: 35,9 Prozent aller offenen und immerhin 30 Prozent aller gebundenen Ganztagsgrundschulen sind in den Ferien bislang komplett geschlossen.

Um die Lücke zu den Rechtsanspruchs-Vorgaben zu schließen, wären nach den Berechnungen der Forscher 11.200 Erzieherinnen und Erzieher und 237 Lehrkräfte in Vollzeit zusätzlich nötig. Dies entspricht Kosten von 815 Millionen Euro im Jahr 2025.  Die laufenden Kosten erhöhen sich damit gegenüber den Berechnungen des DJI um knapp ein Fünftel auf jährlich 5,3 Milliarden Euro.

Dirk Zorn, Bildungsexperte der Bertelsmann Stiftung, ordnet die Zahlen ein: 

„Zur Erfüllung des Rechtsanspruchs müssen nicht nur zusätzliche Ganztagsplätze geschaffen werden. Benötigt werden darüber hinaus 815 Millionen Euro pro Jahr, um die bereits bestehenden Ganztagsschulplätze auf das angestrebte Niveau zu heben.“

Dirk Zorn, Bildungsexperte der Bertelsmann Stiftung

Zorn fordert deshalb einen finanziellen Kraftakt im Schulterschluss von Bund und Ländern, um die Kommunen, in deren Verantwortung die Gewährleistung des Rechtsanspruchs liegt, nicht mit den zusätzlichen Kosten alleine zu lassen: „Von guten Ganztagsangeboten profitieren alle Kinder und ihre Familien.“

Zusatzinformationen

Zusatzinformationen

Im Koalitionsvertrag von 2018 hat die Große Koalition sich darauf verständigt, „ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote für alle Schülerinnen und Schüler im Grundschulalter [zu] ermöglichen. Wir werden deshalb einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für alle Kinder im Grundschulalter schaffen. Dafür werden wir gemeinsam mit den Ländern die Angebote so ausbauen, dass der Rechtsanspruch im Jahre 2025 erfüllt werden kann.“

 Mitte November 2019 hat das Bundeskabinett mit seinem Beschluss zur Einrichtung eines Sondervermögens in Höhe von zwei Mrd. Euro eine erste Hürde zur Einführung des Rechtsanspruchs genommen. Diese Mittel sind als Investitionshilfe zum Ausbau von Ganztagsräumlichkeiten vorgesehen. Über eine Bundesbeteiligung an den laufenden Kosten wird derzeit verhandelt.

Die Studie des Deutschen Jugendinstituts vom Oktober 2019 ermittelte in einem sog. Gesamtbedarfs-Szenario Investitions- und laufenden Kosten für die zusätzlichen Ganztagsplätze, die für den Rechtsanspruch geschaffen werden müssten. Unter Berücksichtigung steigender Schülerzahlen und einer wachsenden Beteiligungsquote (auf 79 Prozent aller Grundschulkinder im Ganztag im Jahr 2025) wären demnach 1,1 Millionen Ganztagsplätze zusätzlich erforderlich. Der Investitionsbedarf dafür wurde vom DJI auf (einmalig) 7,5 Mrd. Euro taxiert, die laufenden Kosten ab 2025 auf 4,5 Mrd. Euro jährlich.

Unsere Studie komplettiert die Kostenschätzung des Deutschen Jugendinstituts, indem sie die Kosten dafür beziffert, bereits bestehende Ganztagsschulplätze auf das Niveau des Rechtsanspruchs anzuheben. Es geht dabei um zusätzliche Personalkosten zur Ausweitung der Öffnungszeiten in den Unterrichts- und Ferienwochen.

Ihre Berechnung stützen die Autoren Klaus Klemm, Markus Sauerwein und Dirk Zorn auf zwei zentrale Quellen. Eine von ihnen vorgenommene Sonderauswertung der StEG-Schulleitungsbefragung aus dem Jahr 2018 dient zur Ermittlung des Umfangs, in dem bestehende Ganztagsgrundschulen die Vorgaben des Rechtsanspruchs aktuell noch nicht erfüllen. Die auf Basis der repräsentativen StEG-Stichprobe ermittelten Werte sind auf die Gesamtpopulation aller Ganztagsgrundschulkinder in Deutschland (Basis: Schuljahr 2017/2018 gemäß der Ganztagsschulstatistik der Kultusministerkonferenz) hochgerechnet.

Zur Abschätzung der mit dem zeitlichen Lückenschluss verbundenen Kosten orientieren die Autoren sich bei allen zugrundeliegenden Annahmen und Parametern an der Berechnung des DJI. Dadurch können die Personalkostenwerte beider Studien addiert werden.