Meist unbemerkt beeinflussen sie unseren Alltag, wenn nicht vollständig, so doch in deutlichem Ausmaß: Algorithmen. In Sachen „Sex und Partnerschaft“ prägen sie über Dating-Apps bis hin zu Entwicklungen von Sexrobotern unsere Vorstellungen von Liebe. Doch die wenigsten Menschen sind sich der immensen Bandbreite potenzieller und tatsächlicher Nutzungsmöglichkeiten und -wirklichkeiten des Einsatzes von Algorithmen bewusst. Denn diese wirken scheinbar unsichtbar und körperlos im Hintergrund. Exemplarisch diskutiert an den Beispielen der „körperlosen“ Dating-Apps und verkörperten Algorithmen in der Sexrobotik, zeigen sich die Unterschiede zwischen Algorithmenethik und Roboterethik jedoch sehr deutlich.

Algorithmen können nicht gesehen, gerochen oder ertastet werden. Abseits der zuweilen sehr spürbaren Folgen können sie für uns lediglich in einer physischen Verkörperung Gestalt annehmen. Dabei bedürfen sie grundsätzlich irgendeiner materiellen Basis (etwa durch einen Computer oder ein Smartphone), aber mit echter Verkörperung meinen wir für gewöhnlich etwas anderes. Deshalb auch denken viele Menschen wohl an Roboter als die durch Algorithmen gesteuerten Maschinen, die in einer erhofften oder gefürchteten Sci-Fi-Zukunft die menschliche Daseinsweise gravierend verändert haben werden.

Algorithmenethik und Roboterethik – Ein oder zwei Paar Schuhe?

In der Tat erlaubt bereits ein erster flüchtiger Blick auf diese Thematik den Schluss, dass Algorithmen und Roboter einiges gemein haben – zumindest insofern, als Roboter ohne das Zusammenspiel eines Sets von Algorithmen nicht wirklich denkbar wären. Umgekehrt aber gilt dies nicht. Denn in vielen Bereichen des menschlichen Lebens agieren Algorithmen eben gerade nicht verkörpert. Ein Roboter ist eine elektro-mechanische Maschine, die a) über einen eigenständigen Körper und b) über mindestens einen Prozessor verfügt, c) Sensoren hat, die Informationen über die Welt sammeln, sowie d) über Effektoren oder Aktoren verfügt, die Signale in mechanische Abläufe übersetzen. Das Verhalten eines Roboters e) ist oder erscheint zumindest autonom und er kann f) in seine Umgebung hineinwirken bzw. physisch auf diese Einfluss nehmen. Nach der hier vorgeschlagenen Definition handelt es sich also um keinen Roboter im eigentlichen Sinne, wenn eine der genannten Bedingungen nicht vorliegt: So erfüllen Computer und Smartphones nicht die Bedingung, physisch Einfluss zu nehmen, obwohl sie natürlich von Algorithmen gesteuert werden. Ein Computer ist im übertragenen Sinn eher das „Gehirn“ eines Roboters, so wie Algorithmen metaphorisch gesprochen etwa deren „mentale Verhaltensmuster“ und „gelernte Abläufe“ darstellen, nicht aber den eigentlichen Roboter selbst. Die Verkörperung scheint somit den oder zumindest einen wesentlichen Unterschied zwischen Algorithmen und Robotern und den mit ihnen einhergehenden ethischen Herausforderungen darzustellen.

Alle elf Sekunden ein standardisierter Match?

Algorithmen filtern und beschränken unsere Suche nach einer* geeigneten Gefährt*in über Dating-Apps wie Tinder und OK Cupid nach unternehmensspezifischen Kriterien. So lässt Tinder eine Suche entweder rein nach Frauen, rein nach Männern oder beiden Geschlechtern zu. OK Cupid hingegen ermöglicht 22 Genderoptionen (darunter Frau, Mann, Androgyn, Transgender, Genderqueer, Genderfluid etc.) sowie 13 spezifische sexuelle Orientierungsoptionen und diverse Beziehungsformen. Wer sich mithilfe der Tinder-Dating-App umschaut, bewegt sich also innerhalb des vertrauten binären Geschlechterparadigmas. OK Cupid geht differenzierter vor – wenn natürlich auch dort (wie bei jeder anderen Dating-App) die Kriterien letztlich endlich sind.
Wir sehen auf den ersten Blick, dass diese und andere Dating-Apps bzw. die in ihnen wirksamen Algorithmen zwar nicht selbst verkörpert sind, allerdings unser Nachdenken über Repräsentanz und Körperlichkeit ganz massiv beeinflussen – was im Übrigen nicht nur für den Bereich „Sex und Partnerschaft“, sondern generell für alle Algorithmen gilt. So spielt bspw. auch zuletzt bei Vergabe von Krediten, wenn auch nicht immer unmittelbar, das Geschlecht eine Rolle. Letztlich muss sich, wer eine Dating-App nutzt, in ihrer* persönlichen geschlechtlichen Identität und sexuellen Vorlieben sehr viel mehr „mit gemeint“ fühlen. Vergleichbar mit den Menschen, die sich als Frauen verstehen und im deutschen Sprachraum, in dem leider immer noch das generische Maskulinum zur Tagesordnung gehört, mit gemeint fühlen müssen, wenn beispielsweise von Verkäufern, Ärzten oder Professoren die Rede ist. Carolin Emcke fasst dieses Problem des „Mit-gemeint-Seins“ in ihrem Buch Wie wir begehren (2013: 21) schön zusammen: „Normen als Normen fallen uns nur auf, wenn wir ihnen nicht entsprechen, wenn wir nicht hineinpassen, ob wir es wollen oder nicht. Wer eine weiße Hautfarbe hat, hält die Kategorie Hautfarbe für irrelevant, weil im Leben eines Weißen in der westlichen Welt Hautfarbe irrelevant ist. Wer heterosexuell ist, hält die Kategorie sexuelle Orientierung für irrelevant, weil die eigene sexuelle Orientierung im Leben eines Heterosexuellen irrelevant sein kann. Wer einen Körper besitzt, in dem er oder sie sich wiedererkennt, dem erscheint die Kategorie Geschlecht selbstverständlich, weil dieser Körper niemals in Frage gestellt wird.“

Entsprechend fällt Cis-Frauen und -Männern, die entweder hetero-, homo- oder bisexuell sind, bei Tinder gar nicht auf, dass die implizit durch das Unternehmen vorgenommene Stereotypisierung von Geschlechtlichkeit, Körperlichkeit und sexueller Orientierung die Sichtbarkeit und Anerkennung jener, die nicht in die genannten Kategorien fallen, schlicht ausblendet bzw. unmöglich wird. Ganz einfach dadurch, dass das Unternehmen anhand seiner Suchkriterien einen bestimmten Standard vorgibt, der als Commonsense in der Gesellschaft durch die Nutzung besagter Dating-App perpetuiert und normalisiert wird.
Es trügt also der Eindruck, dass „körperlose“ Algorithmen, Fragen von Repräsentanz und gesellschaftlicher Verkörperung gar nicht erst stellen. Denn durch die moralischen, politischen und ökonomischen Werte derjenigen, die sie programmieren, gelangen Vorstellungen beispielsweise über Geschlecht, vermeintliche Standards und deren Abweichungen in den algorithmischen Code hinein und werden über diese an die Nutzer*innen weitergetragen.

Gibt es Grenzen für den Einsatz von Sexrobotern?

Gegenwärtig existieren bereits einige große internationale Unternehmen, die Sexroboter (und damit sogenannte verkörperte Algorithmen) serienmäßig herstellen. Der Roboter Roxxxy etwa kann laut Homepage „zuhören bzw. verstehen was du sagst, sprechen, deine Berührung spüren, ihren Körper bewegen, beweglich sein sowie Gefühle und eine Persönlichkeit haben“. Sollte Roxxxys Nutzer*innen jedoch nicht daran gelegen sein, durch Interaktion mit dem Roboter für diesen eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, kann auch aus den fünf vorprogrammierten Persönlichkeiten eine nach Belieben ausgewählt werden, nämlich (Wild Wendy, S&M Susan, Mature Martha, Frigid Farah oder Young Yoko). Abgesehen von einer eigenen Persönlichkeit sind auch äußere Personalisierungen möglich wie etwa in der Wahl von Frisur und Haarfarbe. Ähnlich wie Roxxxy wird auch der Roboter Harmony auf der Homepage die „perfekte Gefährtin“ für Menschen genannt. Auch Harmony soll „gewandt in Gesprächsthemen und dazu gemacht [sein], Gespräche zu führen. Auch lernt sie mit der Zeit“ (Realbotix 2019). Und genauso wie bei Roxxxy erlaubt auch die Personalisierung von Harmony die Wahl eines von (in Harmonys Fall) zehn vorprogrammierten Charakteren. Darüber hinaus soll es auch männliche sowie Transgender-Versionen von Harmony geben. Der Sexroboter Samantha wurde, so heißt es zumindest, aufgrund der Tatsache, dass er „Nein“ sagen kann, mit einem „Moralkodex“ ausgestattet.

Sexroboter wie Roxxxy, Harmony, Samantha und andere werfen zahlreiche ethische Fragen auf, die zum Teil auch an ihrer spezifischen Form von Verkörperung hängen. Kathleen Richardson etwa vertritt mit ihrer 2015 gegründeten Campaign Against Sex Robots ein radikal-feministisches Argument, das sich gegen Sexroboter ganz generell stellt. Richardson ist der Ansicht, dass Sexroboter gleich welcher Form und Gestalt „Teil einer größeren Kultur der Ausbeutung und Objektifizierung [sind], wodurch eine Kultur der Vergewaltigung bestärkt und der Handel mit Sex normalisiert werden“ (Murphy 2017). Ihr Argument lässt sich an Robotern wie Roxxxy und Harmony gut nachvollziehen, mit Blick bspw. auf deren unterschiedliche Persönlichkeitsmodi und den jeweils sehr einseitigen Vorstellungen davon, was attraktive Körper sind. Die Geschlechterstereotype, nach denen Roxxxy und Co. entworfen sind, bestätigen letztlich gegebene Machtstrukturen und wirken mit an einer patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen heteronormativen Idealen von Liebe, Lust und Sex zu gehorchen haben und dabei immer Gefahr laufen, instrumentalisiert und diskriminiert zu werden. Samanthas sog. Moralkodex ist natürlich weit davon entfernt, ein echter Moralkodex zu sein. Da Samantha auf ihr „Nein“ keine Taten folgen lassen kann, lädt sie etwaige Nutzer*innen sogar regelrecht dazu ein, ihre Ablehnung nicht ernst zu nehmen, das „Nein“ nicht zu hören oder es sogar als eigentliches „Ja“ zu interpretieren. Auf diese Weise bestätigt Samantha umso mehr eine Haltung, die in sexueller Gewalt, in Vergewaltigung, einen ganz gewöhnlichen und alltäglichen Ausdruck gelebter Sexualität versteht. Anders sieht es Vanessa de Largie. Indem sie die Position vertritt, dass Frauen durch Sexroboter Möglichkeiten des Empowerments und der Selbstbefreiung von patriarchalen und diskriminierenden Machtstrukturen an die Hand gegeben werden, argumentiert sie liberal-feministisch. Ihrer Ansicht nach sei es besser, „wenn eine Person ihre Vergewaltigungsfantasie mit einem Sex-Bot auslebt und nicht mit einem Menschen“ (de Largie 2017). Wenn man diesem Gedankengang zu folgen bereit ist, könnte ganz ähnlich für Sexroboter in Medizin und Therapie argumentiert werden. In der Tat wird über den Einsatz von Sexrobotern z.B. in Kindergestalt für den Umgang mit pädophilen Menschen oder allgemeiner als Therapieassistenzsysteme für die Arbeit mit Patient*innen nachgedacht (ÄrzteZeitung 2018). Über die notwendigen ethischen Grenzen eines solchen Einsatzes wird und muss sicherlich noch intensiv diskutiert werden.

Es zeigt sich, dass gesellschaftliche Bilder durch den Einsatz von körperlosen und verkörperten Algorithmen etabliert werden können. Was also bleibt, ist die Forderung, einen möglichst diversen, heterogenen und kritischen Diskurs über die Programmierung und den Einsatz von Algorithmen zu führen und durch eigenes aktives Mitmachen zu gestalten. Denn mit Blick auf die diskutierten Anwendungsfelder könnten mit frappierender Selbstverständlichkeit ausnehmend fragwürdige Geschlechterstereotype, unreflektierte Vermenschlichungen und intransparente Entscheidungen über Handlungsfähigkeit und Entscheidungsautorität, gesellschaftlich verfestigt und bestätigt werden.

Es braucht eine Welt, in der wir sowohl in der Programmierung von (körperlosen) Algorithmen beispielsweise in Form von Dating-Apps als auch im Design von (verkörperten) Algorithmen wie (Sex-)Robotern eine größtmögliche Diversität gewährleisten, die Sexualität, Freundschaft, Partnerschaft, Liebe und Lust sowohl innerhalb des Horizonts als auch vollkommen abseits von Geschlecht und Gender denkbar und lebbar macht.

Kürzlich erschienen bei suhrkamp Taschenbuch ist das Buch „Roboterethik – Eine Einführung“ von Dr. Janina Loh, das die moralischen Herausforderungen, die beim Bau von Robotern und im Umgang mit ihnen eine Rolle spielen, diskutiert und wichtige Lösungsansätze vorstellt.


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