Viele Eltern haben Probleme, einen Betreuungsplatz für ihr Kind zu finden. In einigen Gemeinden wird eine Software eingesetzt, um die Plätze effizienter und gerechter zu vergeben. Unser Impulspapier skizziert Potenziale und Erfolgsfaktoren für einen solch gemeinwohlorientierten Algorithmeneinsatz. 

31 Kitas sind in dem kleinen grünen Heftchen eingetragen, das die Eltern von Emilia angelegt hatten, um bei der Betreuungsplatzsuche in Berlin nicht komplett die Übersicht zu verlieren. Denn jede Kita hatte einen anderen Rückmeldeprozess, um auf der Warteliste zu bleiben: Bei manchen sollte man sich alle vier Wochen zurückmelden, bei manchen alle zwei Monate, bei manchen per Mail, bei manchen telefonisch. Große Hoffnungen machte ihnen niemand: Bei den Besichtigungen standen lange Eltern-Schlangen an und alle sagten ihnen, dass es viel zu spät wäre, erst eineinhalb Jahre vor Betreuungsbeginn mit der Suche anzufangen. Emilias Eltern sind bei weitem kein Einzelfall. 

Algorithmen können Probleme bei der Platzvergabe lösen 

Mehr als die Hälfte aller Eltern mit Kindern unter sechs Jahren sehen Probleme bei der Kitaplatzvergabe, lautet das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Bertelsmann Stiftung von November 2020. Auch für Kitaleitungen ist die Situation oft unbefriedigend, denn sie müssen viel Zeit investieren, um die Anmeldungen zu verwalten. Diese Probleme haben einen naheliegenden Grund: In Deutschland gibt es nicht genug Kitas. Zwischen 300.000 und 380.000 zusätzliche Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren müssten bis 2025 geschaffen werden. Während die Ausbildung von weiterem Personal und der Bau neuer Gebäude oft mehrere Jahre dauert, könnte ein algorithmenbasiertes Vergabesystem auch kurzfristiger zu Verbesserungen führen.  

Im Kreis Steinfurt, Nordrhein-Westfalen wird seit wenigen Jahren die Software KitaMatch eingesetzt, um die Vergabe von Kitaplätzen durchzuführen. Auch andere Städte und Gemeinden setzen diese Software ein, die von einer Forschungsgruppe am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mann-heim 2017 entwickelt wurde und als Open-Source-Angebot zur Verfügung steht. Die Software ermöglicht es, die Wünsche der Eltern mit den Auswahlkriterien der Kitas bestmöglich überein zu bringen. Dafür wird zuallererst ein einheitlicher Katalog erstellt, nach welchen Kriterien Plätze vergeben werden sollen und dann die Wünsche der Eltern abgefragt. Auf Basis dieser Informationen erleichtert die Software es den Kitas sich dazu abzustimmen, welche Kita welchen Eltern eine Platzzusage machen sollte. Kita-Leitungen können dann noch „aus besonderen Gründen“ Änderungen an der Reihenfolge vornehmen. An einem sogenannten „Matching-Day“ werden innerhalb von wenigen Stunden alle freien Betreuungsplätze vergeben und danach den Eltern das Ergebnis mitgeteilt. Für das Impulspapier „Per Algorithmus zum Kitaplatz?“ wurde dieser Algorithmeneinsatz mit Fachexpert:innen diskutiert und auf Basis der Erkenntnisse, Potenziale und Faktoren für einen erfolgreichen Einsatz ausgeleuchtet.  

Potenziale für persönlichen Zeitgewinn sowie effizientere und fairere Vergaben 

Es zeigen sich durch den Algorithmeneinsatz drei zentrale Potenziale, die Probleme und Bedarfe bei der Kitaplatzvergabe adressieren: 

  1. Der Algorithmeneinsatz ermöglicht eine effizientere Verteilung der knappen Betreuungsplätze: Das bedeutet zum einen, dass es für Eltern weniger Anreize gibt, sich „strategisch“ zu verhalten und sie stattdessen ihre tatsächlichen Wunsch-Kitas angeben. Zum anderen gibt es eine „stabile Verteilung“, wenn Eltern keine Gründe mehr haben, ein erhaltenes Platzangebot abzulehnen, da die Software ihnen bereits den bestmöglichen Kitaplatz anbietet. 
  2. Durch den Softwareeinsatz entsteht ein persönlicher Zeitgewinn für die Beteiligten, denn sie können sich viele Stunden sparen, das richtige „Match“ zu finden. Dadurch, dass langwierige Nachrückrunden überflüssig werden, haben Eltern eine größere Planungssicherheit und die Kitas einen deutlich geringeren Verwaltungsaufwand. 
  3. Außerdem kann die algorithmenbasierte Kitaplatzvergabe zu mehr Fairness/Gerechtigkeit führen. Dafür braucht es einen einheitlichen Kriterienkatalog, der Transparenz über die Vergabeentscheidungen schafft. Wenn für alle beteiligten Kitas die gleichen Kriterien gelten, können Entscheidungen besser überprüft werden. Persönliche Bevorzugungen oder Benachteiligungen einzelner Kinder und diskriminierende Vergabeentscheidungen sollen so verhindert werden.   

„Gleichzeitig ist der Algorithmeneinsatz aber auch kein Allheilmittel. Ein komplexes soziales Problem wie eine gerechte Kitplatzvergabe lässt sich nicht allein durch den Einsatz von Technologie lösen“, sagt Julia Gundlach, Co-Leitung des Projekts Ethik der Algorithmen. So ist es unter anderem wichtig, dass die Effekte des Algorithmeneinsatzes auf die soziale Segregation in Kitas wissenschaftlich erforscht werden. Was auch ohne weitere Forschung klar ist: Auch der beste Algorithmus kann keine neuen Betreuungsplätze schaffen. Der Ausbau muss parallel zur Verbesserung des Vergabesystems vorangetrieben werden. 

Technologieeinsatz und -anwendung partizipativ gestalten 

Dort, wo der Algorithmeneinsatz Verbesserungen ermöglichen kann, gilt es die konkrete Ausgestaltung in den Blick zu nehmen. „Denn jeder Kontext, in den ein technisches System integriert wird, hat bestehende Strukturen und soziale Beziehungen“, sagt Julia Gundlach, „und die sind dafür entscheidend, ob der Einsatz von Technologie zu positiven Veränderungen führt.“ Die Erfahrungen mit dem Softwareeinsatz in ersten Städten und Gemeinden und die Erkenntnisse aus der Erarbeitung der „Algo.Rules – 9 Regeln für die Gestaltung algorithmischer Systeme“ deuten auf wichtige Erfolgsfaktoren hin, unter anderem:  

  • Kompetenzaufbau: Anwender:innen im Kitabereich sollten ein Grundverständnis der Technologie haben, aber auch technische Entwickler:innen für den sozialen Anwendungskontext sensibilisiert sein. 
  • Aufklärungsarbeit: Um Akzeptanz für Algorithmeneinsätze in teilhaberelevanten Bereichen zu schaffen, müssen Erklärungen zielgruppengerecht vermittelt und proaktiv kommuniziert werden. 
  • Partizipation: Um die realen Bedürfnisse der Betroffenen von Anfang an einzubinden, sollten sie kontinuierlich beteiligt werden. Dabei gilt es auch jene Personen zu identifizieren, die bisher noch nicht an Kitaplatzvergaben beteiligt waren.

Diese Erfolgsfaktoren brauchen zum einen eine hohe Bereitschaft von Einzelpersonen, sich zu engagieren, zum anderen aber auch begünstigende Strukturen. An strukturellen Stellschrauben sind politische Entscheidungsträger:innen gefragt, den Aufbau von Expertise in der öffentlichen Verwaltung zu fördern und ebenso ausreichend Unterstützung für Lösungsansätze zur Verfügung zu stellen, die konkrete soziale Probleme adressieren. 

Gemeinwohlorientierte Innovation gezielt fördern 

Das Impulspapier zeigt am Beispiel der Kitaplatzvergabe, dass algorithmische Systeme durchaus dazu beitragen können, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Das Papier soll daher zum einen ein Impuls für Personen im Kitabereich sein, den Software-Einsatz zu erproben und zum anderen politischen Entscheidungsträger:innen Ableitungen für gemeinwohlorientierte Innovationsförderung aufzeigen. Denn aktuell mangelt es noch an solch greifbaren Positivbeispielen, da Algorithmeneinsätze hauptsächlich durch ökonomische Motive bestimmt sind. Dadurch entstehen blinde Flecken beim Gemeinwohl und wichtige Herausforderungen werden nicht in dem Maße lösungsorientiert angegangen, wie nötig. Dies kann sich ändern, wenn für gemeinwohlorientierte Innovationsprojekte bessere Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten geschaffen werden.  

Dass es für ein solch offensichtliches Problem, wie die schlecht koordinierte Kitaplatzvergabe, bisher noch keine Lösung gibt, verärgert die Eltern von Emilia noch Monate später. Überall in ihrem Bekanntenkreis gibt es Berichte, wie die Elternzeit von der Kitasuche überschattet wurde. Als die Elternzeit fast vorbei war, fanden sie über persönliche Verbindungen doch noch eine gute Kita für ihre Tochter. Und haben dort, sofort nachdem sich das zweite Kind ankündigte, einen weiteren Betreuungsplatz vorgemerkt.


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