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Soziale Ungleichgewichte in der EU: Wie geht es Dir, Europa?

2019 ist Wahljahr in Europa: Ende Mai wählen die Europäerinnen und Europäer ein neues Europäisches Parlament, im Herbst wird eine neue Europäische Kommission ihre Amtszeit beginnen. Die politische Staffelübergabe in der Europäischen Union erfolgt in einer Zeit, nachdem sich Europas Wirtschaft von der Krise erholen konnte: Das Pro-Kopf-Einkommen in der EU ist in den letzten drei Jahren um rund zwei Prozent pro Jahr gestiegen, und zuletzt verzeichneten alle EU-Staaten wieder positive Wachstumsraten. Auch die Arbeitslosigkeit ist in der EU zum Ende des vergangenen Jahres nochmals gesunken und lag mit durchschnittlich 6,7 Prozent sogar unter den Vorkrisenwerten. Aber spiegeln sich diese Entwicklungen auch im Alltag der Menschen wider? Diese Frage erscheint umso wichtiger vor dem Hintergrund, dass sich der wirtschaftliche Aufschwung zuletzt wieder einzutrüben scheint.

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Viele Menschen erachten soziale Themen als zentrale Herausforderungen der EU

Die sozialen Bedingungen in den einzelnen Ländern und Regionen der EU variieren. Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise, die zwischen 2008 und 2013 zu einer Rezession in Europa führte, hat die Unterschiede in vielen Bereichen zusätzlich verstärkt. Eine Eurobarometer-Umfrage zur Zukunft Europas aus dem Jahr 2017 zeigt, wie sehr die sozialen Unterschiede und Ungleichgewichte in der EU auch die Menschen in Europa beschäftigen: Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit zählen laut den Befragten zu den wichtigsten Herausforderungen der EU –  noch vor Migration, Sicherheit, Staatsverschuldung und geringem Wachstum. Diese Themen beschäftigen nicht nur Menschen in ärmeren Mitgliedstaaten: Laut der Umfrage nannten 50 Prozent der Deutschen und 46 Prozent der SchwedInnen soziale Ungleichheiten als dringende Herausforderungen der EU. Darüber hinaus stimmte nur jede/r zweite EuropäerIn der Aussage zu, dass im eigenen Land jede/r eine Chance hat, im Leben erfolgreich zu sein. Trotz sichtbarer wirtschaftlicher Fortschritte macht sich also eine Mehrheit der EuropäerInnen Sorgen um den sozialen Zusammenhalt und soziale Ungleichgewichte, im eigenen Land und in Europa.

Soziale Ungleichgewichte in der EU – sechs Themen im Fokus

Diese Feststellung ist der Ausgangspunkt unserer neuen Studie „How are you doing, Europe?“. Die Studie hat zum Ziel, durch lebensnahe und facettenreiche Perspektiven auf bekannte soziale Probleme und Herausforderungen zu einem besseren Verständnis der – oft sehr unterschiedlichen – Lebens- und Arbeitsbedingungen in Europa beizutragen. Dafür konzentriert sich die Studie auf sechs soziale Herausforderungen, die sie anhand verschiedener Indikatoren und konkreter Fallbeispiele beleuchtet. All diese Themen sind für eine größere Zahl von EuropäerInnen in verschiedenen Mitgliedstaaten und Regionen relevant und wirken sich direkt auf den Alltag der Menschen aus.

Beschäftigung und Arbeitslosigkeit: Auch wenn sich der Arbeitsmarkt nach der Krise wieder erholt hat, bleibt die Frage, welche nachhaltigen Folgen die Krise auf das Leben und die Karriere der Betroffenen hat. In diesem Dossier beleuchten wir verschiedene Formen der Arbeitslosigkeit in Europa, insbesondere die Situation von Nichterwerbspersonen sowie von Langzeitarbeitslosen.

Prekäre Arbeit: Angemessene Arbeitsbedingungen und ein Arbeitsplatz, der wirtschaftliche Sicherheit bietet, sind entscheidend für das Wohlbefinden. Viele EuropäerInnen arbeiten jedoch unter prekären Bedingungen. Was das bedeutet, untersuchen wir anhand von Beispielen wie der Zunahme von Zeitarbeitsverträgen bei jungen ArbeitnehmerInnen oder der geringen sozialen Absicherung für bestimmte Gruppen von Selbständigen.

Herausforderungen für mobile EU-BürgerInnen: Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ein zentraler Pfeiler der europäischen Integration. Trotzdem stoßen mobile EU-BürgerInnen immer noch auf verschiedene Hindernisse. Wir konzentrieren uns auf die Herausforderungen, die Ihnen bei der Integration in den Arbeitsmarkt begegnen, insbesondere im Hinblick auf die Anerkennung ihrer Qualifikationen.

Geschlechterungleichheiten: Um zu verstehen, wie sich Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in der EU über verschiedene Lebensabschnitte hinweg akkumulieren, begleitet dieses Dossier Frauen durch verschiedene Phasen ihres (Arbeits-)Lebens: von der Studienwahl, ihren Karrieremöglichkeiten über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bis hin zum Ruhestand. Somit werden die langfristigen Ungleichheiten dargestellt, mit denen die Hälfte der europäischen Bevölkerung weiterhin konfrontiert ist.

Armut: Fast ein Viertel der europäischen Bevölkerung ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung gefährdet. Dies hat nicht nur negative Auswirkungen auf den Lebensstandard, sondern auch auf ihre gesellschaftliche Teilhabe. Wir zeigen, mit welchen Herausforderungen materiell benachteiligte EuropäerInnen konfrontiert sind.

Barrieren im Zugang zur Gesundheitsversorgung: Dieses Dossier zeigt mehrere Aspekte auf, die den Zugang zur Gesundheitsversorgung erheblich beeinflussen können, wie zum Beispiel unterschiedliche Einkommensniveaus, ein unzureichender Versicherungsschutz oder regionale Ungleichgewichte in der Versorgung.

Auf die Frage „Wie geht es Dir, Europa?“ gibt es keine einfache Antwort.

Vielmehr hängt das Wohlergehen der Menschen in Europa von einer Großzahl an Faktoren ab. Was sich aber zeigt, ist, dass die in dieser Studie dargestellten sechs sozialen Herausforderungen eine Vielzahl von Menschen in verschiedenen Regionen und Mitgliedstaaten der EU betreffen. Mitnichten beschränken sie sich nur auf ärmere Mitgliedstaaten, sondern finden auch in wohlhabenderen Gesellschaften ihren Ausdruck. Auch wenn die jeweiligen Herausforderungen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich stark ausgeprägt sind und einige eher zyklischer, andere eher struktureller Natur sind, zeigt sich also, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten einer Reihe von sozialen Herausforderungen gemeinsam gegenüberstehen.

Die bevorstehende Wahl zum Europäischen Parlament bietet eine Möglichkeit, in Europa gemeinsam zu diskutieren, welche Lösungsansätze auf europäischer, nationaler oder auch regionaler Ebene am besten dafür geeignet sind, um diese Herausforderungen anzugehen. Nicht zuletzt stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, welche Rolle die europäische Ebene zukünftig in der Sozial- und Beschäftigungspolitik spielen kann.

Diese Studie ist Teil von „Repair and Prepare: Strengthening Europe“, einem gemeinsamen Projekt der Bertelsmann Stiftung und des Jacques Delors Institute Berlin. Mehr Informationen zu dem Projekt finden Sie auf unserer Website