Das Europäische Parlament in Straßburg während einer Abstimmung im April 2019. Zu sehen ist der gesamte Plenarsaal mit den voll besetzten Abgeordnetenreihen. Einige Abgeordnete geben ihre Stimme ab, indem sie ihre rechten Hände erheben.

"Ein Fest der Demokratie für mehr Europa"

Egal, ob das politische Herz links oder rechts schlägt, das neue Parlament wird klar von Pro-Europäern bestimmt, die nicht immer einer Meinung sind, aber sich klar für ein vereintes und starkes Europa einsetzen.

Über 400 Millionen Wahlberechtigte in 28 Ländern haben vier Tage lang gewählt. Wie sind die wichtigsten Ergebnisse?

Christian Kastrop: Die wichtigste Nachricht des gestrigen Abends ist: Das europäische Herz pocht laut und leidenschaftlich – und zwar nicht nur in Brüssel, sondern in allen Mitgliedsstaaten von Belgien bis Zypern. In Deutschland ist die Wahlbeteiligung von rund 48 auf über 60 Prozent gestiegen. Europaweit hat, mit voraussichtlich rund 50 Prozent Wahlbeteiligung, immerhin fast jeder Zweite gewählt.

Die zweite Nachricht des Abends: Die Mehrheit wählt pro-europäisch. Egal, ob das politische Herz links oder rechts schlägt, das neue Parlament wird klar von Pro-Europäern bestimmt, die nicht immer einer Meinung sind, aber sich klar für ein vereintes und starkes Europa einsetzen.

Die Wahl zum neunten Europäischen Parlament war daher ein Fest für eine pro-europäische Demokratie. Ich hoffe daher, dass Europas Stimme in den nächsten fünf Jahren noch lauter und klarer in der Welt wahrgenommen wird. Damit das besser klappt als bisher, muss sich Europa auf die wichtigen Punkte konzentrieren. Europa muss nicht immer mehr regeln, aber dort, wo Kompetenzen sinnvoll sind, diese effizienter einsetzen.

Mit Blick auf Großbritannien oder Frankreich zeigt sich aber auch, dass die EU-Gegner noch lange nicht abgewählt sind. Wie passt das zusammen?

Erfreulicherweise konnten wir diesmal eine europäische Debatte beobachten, die sich erstmals nicht so stark um nationales Politik-Gezanke, sondern wirklich europäische Themen gedreht hat: Klimaschutz, Digitalisierung, ein inklusiver Binnenmarkt, europäische Grenzpolitik – alles EU-Themen.

Dennoch wurden in Großbritannien, aber auch Frankreich mehrheitlich Anti-Europäer gestärkt, allerdings in Wahlkämpfen, die stark national geprägt waren. Der Frust um die Brexit-Abstimmungen im Unterhaus und die sogenannten Gelbwesten waren hier ausschlaggebende Themen, die auch Protestwähler mobilisiert haben. Doch die Sitzverteilung im neuen Parlament zeigt klar: Die Parteien, die an einer konstruktiven Weiterentwicklung der EU arbeiten, sind deutlich in der Mehrheit.

Die Europäer haben gewählt. Übernehmen jetzt wieder die Nationalstaaten im Hinterzimmer den Staffelstab? Wer wird jetzt neuer Kommissionspräsident, und wer könnte das Parlament als Präsident anführen?

Das Europäische Parlament ist aktuell mit so vielen Kompetenzen wie noch nie ausgestattet. Das zeigt sich allein daran, dass es einen, inoffiziellen, europäischen Spitzenkandidaten gibt, obwohl gar keine europäischen Parteilisten existieren.

Klar ist: Gegen den Willen des Parlaments kann kein Regierungschef eine neue Kommission einsetzen. Allerdings sollten wir bei aller Kritik an demokratischen Defiziten in Brüssel auch nicht vergessen, wie in Berlin häufig Ministerposten verteilt werden. Niemand fragt den Bundestag extra um Erlaubnis, sondern die Parteichefs bestimmen untereinander die Personalien.

Wenn sich das Prinzip Spitzenkandidat in Europa langfristig verankern soll, bräuchten wir zum Beispiel auch transnationale Parteilisten, sodass alle Europäer direkt abstimmen können, ob sie zum Beispiel einen Manfred Weber oder einen Frans Timmermans wählen möchten oder nicht.

Ich bin sicher, dass dieses Wahlergebnis eine Ermutigung ist, dass sich Parlament und Regierungschefs auf eine gute und konstruktive Besetzung der Spitzenposten in Brüssel einigen können. Es kommt jetzt darauf an, das pro-europäische Ergebnis umzusetzen und Europa bei den Bürgern noch stärker als wichtigen Akteur zu verankern.

Die Fragen stellte Benjamin Stappenbeck.