Hochschulen, Theater und Arbeitgeberverband diskutierten die Kernergebnisse der Arbeitsmarktstudie „Opernsänger mit Zukunft!“ in Berlin.

Opernnachwuchs in Deutschland: professionell ausgebildet und ohne Job

Deutschlands Musikhochschulen bilden immer mehr Opernsänger aus während deren Aussichten auf eine nachhaltige künstlerische Berufslaufbahn schwinden. Fehlanreize der Hochschul-Politik und die strukturellen Veränderungen am Arbeitsmarkt verschärfen das Problem weiter. Die Entscheidungsträger in Politik, Ausbildung und Kultur müssen weiter an Lösungsansätzen und Verbesserungen der Ausbildung arbeiten, so das Fazit unserer neuen Studie.

Deutsche Musikhochschulen bilden zu viele Opernsängerinnen und -sänger für den immer kleiner werdenden deutschen Arbeitsmarkt aus. Die Ausbildung für zukünftige Studierende muss verändert werden, damit Absolventen eine realistische Chance in unterschiedlichen künstlerischen Berufsfeldern haben. Das ist das Ergebnis einer qualitativen Überblicksstudie, die das Berliner Institut für Kultur- und Medienwirtschaft in unserem Auftrag durchgeführt hat.

Mittels Analysen von Sekundärquellen, Fokusgruppengesprächen sowie qualitativen und quantitativen Befragungen mit mehr als 150 Akteuren der Opernbranche untersuchten die Autoren Prof. Dr. Klaus Siebenhaar und Achim Müller die Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation des Opernnachwuchses in Deutschland. Der Fokus lag dabei u.a. auch auf der Gesangsausbildung an deutschen Musikhochschulen. Ebenso wurde den veränderten kulturpolitischen und ästhetisch-künstlerischen Rahmenbedingungen besondere Aufmerksamkeit gewidmet.

Ernüchternde Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen im Vergleich der letzten rund 20 Jahre in weiten Teilen eine Verschärfung der Lage: die Defizite in der Ausbildung liegen weniger in der künstlerischen Qualität als in mangelndem Feedback zum künstlerischen Leistungsstand sowie einer unzureichenden Vorbereitung auf die Realitäten des Arbeitsmarktes.

Sängerkarrieren werden kürzer und verlaufen bei zunehmender freiberuflicher Tätigkeit häufig als Patchwork-Laufbahnen. Eine wesentliche Konsequenz daraus sind prekäre Lebensverhältnisse und die Gefahr der Altersarmut. Neue, erweiterte Berufsfelder rücken so verstärkt in die Diskussion um die Zukunft der Opernsängerinnen und Opernsänger, wobei vor allem immer wieder auf die relativ günstige Nachfragesituation bei den Opernchören hingewiesen wird. Zum Schluss der Studie werden kulturelle Alternativszenarien zwischen freier Opernprojektarbeit und musisch-kultureller Bildung entworfen. 

"Der Kulturbetrieb erfährt durch die Globalisierung in den letzten Jahren eine neue Konkurrenzsituation für den internationalen Gesangsnachwuchs. Damit ändern sich die Anforderungen an die Gesangsausbildung. Die jungen Menschen brauchen bereits während ihrer Ausbildung regelmäßig eine ehrliche Rückmeldung zu ihren Karrierechancen auf den Bühnen dieser Welt", so Liz Mohn, stellvertretende Vorsitzende der Bertelsmann Stiftung und Präsidentin der NEUEN STIMMEN.

Wir sollten die vielversprechendsten Rohdiamanten konsequent fördern und fordern und den Sängerinnen und Sängern mit alternativem Karriere-Potenzial früh andere Berufswege auf dem künstlerischen Arbeitsmarkt aufzeigen.

Liz Mohn, stellvertretende Vorsitzende der Bertelsmann Stiftung und Präsidentin der NEUEN STIMMEN

Finanzierungsmodelle verschärfen den Trend

Die Finanzierungsmodelle in der Hochschul-Politik der Wissenschaftsministerien verschärfen das Problem weiter. Die Autoren schreiben: "Die gezielte Förderung von Hochbegabungen wird (…) nicht durch finanzielle Anreize unterstützt (…) In so gut wie allen Bundesländern sichert nur die volle Auslastung der bewusst hoch angesetzten Studiengangskapazitäten die volle Finanzierung. Das gilt für den gesamten staatlichen Hochschulbereich – die künstlerischen Hochschulen sind davon nicht ausgenommen."

Insgesamt sind die Zukunftsperspektiven für Opernsängerinnen und –sänger nicht sehr gut: "Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung bestätigen den Eindruck vieler Branchenkenner: deutsche Musikhochschulen bilden viele Nachwuchssänger aus, die keine realistische Chance auf eine kontinuierliche Opernkarriere haben können. Künstlerisch ausgebildete Menschen sind wichtig für unsere Gesellschaft. Die Entscheider aus Politik, Theater und Hochschulen müssen jetzt im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft gemeinsam Lösungen finden", so Dorothea Gregor, unsere Expertin für Musikalische Förderung.

Am 6. Mai veröffentlichten wir die Studie in Berlin und diskutierten die Kernthesen und zentralen Fragestellungen gemeinsam mit Experten und Entscheidern der Branche:

Kernthesen und zentrale Fragestellungen
  • Operngesangsstudierende brauchen Orientierungs- und Zusammenhangswissen um die eigene Situation sowie Optionen und Alternativen erkennen zu können. Wie kann das vermittelt werden?

  • Externe Korrektive in der Anfangsphase des Studiums sind notwendig, Neu-Alternativ-Orientierungen sind dabei anzubieten, alternative Berufsfelder müssen gestärkt werden (Opernchöre, freier Musiktheaterbetrieb, kulturelle Bildung) 

  • Wie kann eine individualisierte und kritische Feedback-Kultur an den Hochschulen institutionalisiert werden und die Balance zwischen Exzellenzförderung und „konstruktiver Desillusionierung“ gehalten werden?

  • Die "Wirklichkeit" in Gestalt realer Arbeitsbedingungen muss konsequent Einzug in die Musikhochschulen halten, (Best-practice-Beispiel: zweistufiges Modell Musikhochschule München/ Theaterakademie August Everding) welche Modelle sind realistisch?

  • Opernstudios sind unter bestimmten Bedingungen wichtige Bindeglieder zwischen Studium und Arbeitsmarkt, modellhafte Erprobung neuer Konzepte im Hinblick auf den sich verändernden Markt sind erforderlich. Welche Rolle können die Theater selbst bei der Nachwuchsförderung einnehmen? Ist ein Kulturwandel innerhalb dieser Institutionen notwendig?

  • Deutliche strukturelle Veränderungen am Musiktheatermarkt sind absehbar, Rückgang der Besucher- und Vorstellungszahlen, Abbau von Ensemblestellen – dabei gleichzeitiger Anstieg der Absolventen
Handlungsempfehlungen
  • Lehrplanüberarbeitung Hochschulen: Es braucht neue Lehrpläne, die ein breiteres Berufsverständnis unterstützen. Die Hochschulen müssen früher realistisches Feedback geben und 'auslesen'.

  • Kulturwandel Theaterbetrieb: Es braucht eine Weiterentwicklung des Nachwuchsaufbaus, um gerade an kleineren Theatern eine Qualitätssicherung zu ermöglichen. Große Repertoirepartien können nur mit Sängern sinnvoll besetzt werden, die Zeit und Raum für ihre künstlerische und stimmliche Entwicklung haben.

  • Gezieltere Finanzpolitik: Hochschulen sollten dafür belohnt werden, herausragende Talente zu fördern und dem Opernnachwuchs alternative, künstlerische Berufsfelder aufzuzeigen, anstatt aufgrund ineffektiver Finanzierungslogiken Studiengänge 'aufzufüllen'.
Beteiligte Experten und Entscheider der Branche
  • Prof. Dr. Klaus Siebenhaar, geschäftsführender Gesellschafter, Institut für Kultur und Medienwirtschaft, Berlin

  • Achim Müller, Direktor Forschung und Projektmanagement, Institut für Kultur und Medienwirtschaft, Berlin

  • Prof. Robert Ehrlich, Rektor der Hochschule für Musik 'Hanns Eisler', Berlin

  • Marc Grandmontagne, Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins

  • Prof. Lioba Braun, Mezzosopranistin und Professorin für Gesang an der HfMT Köln

  • Matthias Schulz, Intendant der Staatsoper Unter den Linden, Berlin

  • Prof. Andrea Tober, Professorin für Musikmanagement und Musikvermittlung, Hochschule für Musik 'Hanns Eisler', Berlin

  • Prof. Martina Kurth, Leiterin Career Center, Hochschule für Musik und Theater Hamburg

Einen Mitschnitt der von Carola Malter moderierten Veranstaltung sendet Deutschlandfunk Kultur in den kommenden Wochen.

Zusatzinformationen

Seit der Jahrtausendwende ist die Anzahl von Ensemblestellen an Theatern in Deutschland um 18 Prozent zurückgegangen, das zeigen Zahlen des Deutschen Musikinformationszentrum (MIZ, 2018). Außerdem sind seit Mitte der neunziger Jahre die Vorstellungszahlen kontinuierlich zurückgegangen: im Opernbereich um fast 20 Prozent, die Operette hat 60 Prozent ihrer Vorstellungen eingebüßt (Deutscher Bühnenverein, 1996-2018). Während die Chancen auf Ensembleverträge für Sängerinnen und Sänger an traditionellen Opernhäusern also beständig rückläufig sind, hat sich die Zahl der Studierenden im Fach Operngesang/Musiktheater laut dem MIZ im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelt (63 Prozent von 2000-2016).

Obwohl an den Musikhochschulen das Bewusstsein für diese Entwicklungen steigt und vermehrt versucht wird, die Studierenden mit speziellen Lehrangeboten zu befähigen, wird also dauerhaft ein Überangebot an ausgebildeten Opernsängern erzeugt. Das spiegelt sich auch in der wirtschaftlichen Situation der einzelnen Künstler auf dem freien wie festen Arbeitsmarkt wider: Laut Künstlersozialkasse stieg die Zahl freiberuflichen Sängerinnen und Sänger innerhalb von 16 Jahren um 129 Prozent, dabei lag das durchschnittliche Jahresbruttoeinkommen von Berufsanfängern bei 9.666 Euro (KSK, 2018). Die Angst vor (Alters-)armut ist demzufolge groß: 80 Prozent der Berufsanfängerinnen und- fänger befürchten sie, 49 Prozent sehen sich als "stark gefährdet" (Musikforscher M. Norz, 2016).