Junger Mann schaut durch eine 3D-Brille

Produktivitätslücken in Deutschland: Wachstum droht sich bis 2035 zu halbieren

Die Baby-Boomer gehen in Rente, die Erwerbsquote sinkt. Das bedeutet, dass künftig weniger Arbeitnehmer immer mehr erwirtschaften müssten, um den heutigen Wohlstand zu erhalten. 

Gelingt dies nicht, droht das Wirtschaftswachstum (Potenzialwachstum des realen BIP) sich bis 2035 auf 0,6 Prozent in etwa zu halbieren. Besorgniserregend sind dabei die regionalen Unterschiede: Im Saarland und in Sachsen-Anhalt droht sogar eine schrumpfende Wirtschaft im Jahr 2035. Dieses sogenannte negative Wirtschaftswachstum könnte die Wohlstandsschere zwischen strukturschwachen und -starken Regionen verschärfen, anstatt sie zu verkleinern. Das gilt auch für die Angleichung der Lebensstandards zwischen Ost- und Westdeutschland: Angesichts der zu erwartenden Trends bei Demografie und der gegebenen Wirtschaftsstruktur werde der Osten laut Studie kaum aufholen können. Haupttreiber dieser Entwicklungen sind neben der geringeren Erwerbsquote auch eine Innovationsschwäche einzelner Bundesländer, die den Wegfall von Arbeitnehmern durch eine höhere Produktivität nicht auffangen können.

Das sind die Ergebnisse unserer Studie "Wachstum und Produktivität 2035", die gemeinsam mit dem ifo Institut konzipiert und erstellt wurde. Die Studie simuliert anhand aktueller Trends der Demografie- und Produktivitätsentwicklung das zu erwartende Wirtschaftswachstum bis ins Jahr 2035.

Ein wesentlicher Schlüssel für den Erhalt von Wachstum und Wohlstand ist die Produktivität. Diese muss künftig stärker steigen, um den demografiebedingten Rückgang der Erwerbstätigen aufzufangen. Das gilt vor allem für strukturschwache ostdeutsche Länder, aber auch etwa für das Saarland oder Rheinland-Pfalz.

Dominic Ponattu, Wirtschaftsexperte der Bertelsmann Stiftung

Die Bundesländer stehen laut Studie vor erheblichen Anstrengungen, sofern sie keine Wohlstandseinbußen erleiden möchten. Um den Rückgang der Erwerbsbevölkerung auszugleichen, müssen diese Länder bei den aktuellen Demografie- und Wachstumstrends ihre Arbeitsproduktivität um 0,4 bis 0,8 Prozentpunkte pro Jahr steigern – bei einem derzeitigen Wachstum der Arbeitsproduktivität von rund einem Prozent im Mittel kommt dies einer enormen Anstrengung gleich. Die Studie ermittelt als Teil der Produktivitätsentwicklung auch den technischen Fortschritt, welcher den Zuwachs der Innovationskraft widerspiegelt. Um das derzeitige Wachstum aufrechtzuerhalten, müsste sich die Innovationskraft bei rückläufigen Erwerbsquoten in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und im Saarland bis ins Jahr 2035 mehr als verdoppeln.

Angleichung der Lebensverhältnisse bleibt in weiter Ferne

Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung kann von einer "Angleichung der Lebensverhältnisse" keine Rede sein. Der Lebensstandard der ostdeutschen Flächenländer lag auch im Jahr 2017 immer noch um rund 29 Prozent unter dem gesamtdeutschen Niveau. Anders im Süden der Republik: Hier liegen Bayern und Baden-Württemberg um mehr als 15 Prozent über dem gesamtdeutschen Durchschnitt. Doch eine Angleichung der Lebensverhältnisse der ostdeutschen Bundesländer zu den strukturschwachen westdeutschen Bundesländern bleibt in weiter Ferne. Hierzu müsste die Wirtschaft in Ostdeutschland teils doppelt so stark wachsen wie bisher, so unsere Studie. In Sachsen müsste die Wirtschaft (BIP je Einwohner) bis 2035 um jährlich knapp 1 Prozentpunkt stärker wachsen als dies zuletzt der Fall war. In Mecklenburg-Vorpommern müsste das BIP je Einwohner sogar um durchschnittlich rund 2 Prozent zusätzlich zulegen.

Um Wohlstandszuwächse langfristig zu sichern, muss die Innovationskraft der einzelnen Bundesländer deutlich gestärkt werden. Von zentraler Bedeutung ist ein Ausbau der Infrastruktur. Darüber hinaus muss vermehrt in Aus- und Weiterbildung investiert werden, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Dadurch könnte laut Studie durch die bessere Kapitalausstattung auch die Arbeitsproduktivität stärker steigen. Darüber hinaus kann eine bessere Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft, gerade auch in strukturschwächeren Ländern, die Innovationsfähigkeit verbessern und die Ansiedlung zukunftsfähiger Industrien sowie den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte fördern.