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Auslandsfirmen in Deutschland können Bankenkrisen importieren

Mit Dependancen in ganz Europa sind Unternehmen in der EU über Landesgrenzen hinweg tätig – das fördert den Wettbewerb. Doch wie wirken sich die starken Verflechtungen europäischer Firmen auf die Stabilität der Eurozone aus? Eine Studie der Bertelsmann Stiftung hat untersucht, wie sich Bankenkrisen in Europa von Mutterunternehmen auf ihre Niederlassungen in der EU übertragen können – und was dies an Kosten für die deutsche Realwirtschaft bedeuten könnte.

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Bankenkrisen können die Staatsschulden massiv erhöhen und so auch für den Euro gefährlich werden. Dabei können Krisen im Ausland über in Deutschland ansässige Niederlassungen auch die hiesige Wirtschaft erreichen: Eine Bankenkrise in den USA könnte allein durch amerikanische Niederlassungen in Deutschland den Umsatz der deutschen Wirtschaft um rund 21 Milliarden Euro jährlich drücken. Werden die Banken im Vereinigten Königreich von einer Krise getroffen (etwa durch den Brexit), so könnten die damit einhergehenden finanziellen Engpässe britischer Töchter die deutsche Wirtschaft jährlich rund 13 Milliarden Euro kosten. Das sind die Ergebnisse einer Analyse der Bertelsmann Stiftung, für die die Autoren Kilian Huber (University of Chicago) und Dominic Ponattu (Bertelsmann Stiftung) Daten zu internationalen Firmenverbindungen in Europa ausgewertet und die Wirkung von Bankenkrisen geschätzt haben. Dabei werden Umsatzerlöse aus dem Jahr 2016 zugrunde gelegt. Die Analyse umfasst Umsätze aller Branchen bis auf den Finanzsektor.

Große Volkswirtschaft, großes Risiko – von „Krisenländern“ geht geringere Gefahr aus

Insgesamt wäre das Vereinigte Königreich mit seinem besonders hohen Anteil ausländischer Unternehmen am stärksten betroffen: So würde beispielsweise eine Bankenkrise in den USA die britischen Töchter amerikanischer Unternehmen so stark unter Druck setzen, dass Umsatzverluste in der britischen Realwirtschaft von über 30 Milliarden Euro pro Jahr die Folge wären – dies entspräche rund 0,8 Prozent der Gesamtumsätze der britischen Realwirtschaft. Aber auch eine Bankenkrise in Deutschland hätte mit über 10 Milliarden Euro an Umsatzverlusten erhebliche Folgen für die Briten. Auch Bankenkrisen in Frankreich (7 Milliarden Euro), den Niederlanden (3,5 Milliarden Euro) und Spanien (3 Milliarden Euro) würden die britische Wirtschaft vergleichsweise stark treffen.

In Deutschland wären die Verluste niedriger, aber noch immer enorm: Eine Bankenkrise in den USA würde die deutsche Realwirtschaft mit Umsatzverlusten von rund 21 Milliarden Euro treffen (0,35 Prozent der Gesamtumsätze); eine Bankenkrise im Vereinigten Königreich mit mehr als 13 Milliarden Euro pro Jahr (rund 0,2 Prozent der Gesamtumsätze). Während eine Bankenkrise in Frankreich die deutsche Wirtschaft über französische Tochterunternehmen noch rund 7,5 Milliarden Euro jährlich kosten könnte, fallen in den von der Wirtschafts- und Finanzkrise am stärksten betroffenen Länder die Umsatzverluste durch Firmenverbindungen geringer aus: So lägen die Umsatzverluste in Deutschland im Falle einer Bankenkrise in Italien bei zwei Milliarden Euro, bei Krisen in Spanien (1,5 Milliarden Euro) und Irland (1,3 Milliarden Euro) wären die Verluste noch geringer. Im Falle einer Krise in Griechenland lägen die Verluste gar bei einem niedrigen Millionenbetrag.

Die Krisenanfälligkeit durch Firmennetzwerke in Deutschland hängt von zwei Faktoren ab: Zum einen davon, ob das Land, in dem die Bankenkrise ausbricht, Unternehmen mit vielen Töchtern in Deutschland besitzt. Zum anderen hängt die Wirkung davon ab, welche Rolle ausländische Dependancen für die Wertschöpfung in Deutschland spielen. „In Deutschland machen die Umsätze ausländischer Firmen mit fünf Billionen Euro etwa ein Viertel der Gesamtumsätze aus“, erklärt Dominic Ponattu, Mitautor der Studie und Wirtschaftsexperte der Bertelsmann Stiftung. Gerade wettbewerbsfähige Unternehmen in den USA und im Vereinigten Königreich hätten vergleichsweise viele Töchter im europäischen Ausland. „Exportschwächere Länder, etwa in Südeuropa, unterhalten deutlich weniger Unternehmen in Deutschland“, so Ponattu.

Umgekehrt gäbe es viele Länder in Osteuropa, in denen westeuropäische und andere internationale Unternehmen Dependancen unterhielten: In der Slowakei und Ungarn geht jeder zweite Euro des Umsatzes auf Töchter ausländischer Unternehmen zurück, in Tschechien sind es 47 Prozent. Einen großen Anteil daran trägt die Einbindung dieser Länder in transnationale Wertschöpfungsketten wie etwa die der Automobilbranche. Den Spitzenwert in der EU erreicht Luxembourg (52 Prozent), eine der offensten Volkswirtschaften Europas und ein Knotenpunkt vieler internationaler Unternehmen.

Wie Krisen sich verbreiten: Mutter- und Tochterunternehmen leihen sich Geld

Wie kommt die Krisenanfälligkeit solcher Firmennetzwerke zustande? Zunächst wirkt sich eine Bankenkrise in einem Land auf die Unternehmen aus, die sich in der gleichen Volkswirtschaft befinden: Firmen erhalten von krisengebeutelten Banken weniger Geld – das sorgt zum einen für Entlassungen in diesen Unternehmen. Zum anderen sinken auch die Produktivität und Innovationskraft derjenigen Unternehmen, deren Finanzen von Krisenbanken abhängen. Das Ergebnis: Bei Bankenkrisen schrumpfen viele Unternehmen, die Umsatzzahlen brechen ein. Da sich Unternehmen und ihre ausländischen Zweigstellen gegenseitig Geld leihen, können sich diese Effekte auf andere Länder übertragen: „Bricht beispielsweise im Vereinigten Königreich eine Bankenkrise aus, so könnten Töchter britischer Unternehmen unter finanziellen Engpässen leiden – entweder, weil sie plötzlich keine Mittel mehr von ihren Mutterfirmen erhalten, oder als Folge der Bankenkrise mehr an die eben jene verleihen müssen“, so Dominic Ponattu.

Reformen der Eurozone können Krisengefahr senken

Ausländische Unternehmen einzuschränken, um die Krisengefahr zu senken, sei allerdings nicht sinnvoll. „Deutschland ist als Exportland und durch den Binnenmarkt in internationale Wertschöpfungsketten eingebunden. Eine Einschränkung wäre daher schädlich und gerade im Falle vieler europäischer Unternehmen auch rechtlich kaum möglich“, so Dominic Ponattu. Wichtiger sei es, das Entstehen von Bankenkrisen durch Reformen in der Eurozone bereits im Keim zu ersticken. Dafür schlägt Ponattu etwa vor, bereits angestoßene europäische Reformen wie die Bankenunion zu vollenden. Die hierfür diskutierten Maßnahmen könnten das Risiko nationaler Bankenkrisen in der Eurozone senken und so Unternehmen vor Engpässen bei Krediten schützen. Bei der Umsetzung solcher Reformen gilt es jedoch, systematische Unterschiede zwischen den europäischen Bankensystemen weiter abzubauen, etwa was den Anteil fauler Kredite je Land betrifft. Außerdem weist Ponattu auf aktuelle gesamtwirtschaftliche Risiken hin, die Bankenkrisen begünstigen können. Dazu gehört etwa der Brexit: Hier gelte es, einen harten Brexit zu verhindern, um eine Bankenkrise in Großbritannien und eine Ansteckung über britische Firmen im EU-Ausland zu vermeiden.