Corona Virus

Wie Populisten wertvolle Zeit in der Corona-Krise verlieren

Leugnen, Herunterspielen, Schuldige suchen – das bekannte Muster populistischer Politik macht vor der Corona-Krise nicht halt. Doch das Virus lässt sich damit nicht aufhalten und trifft mit seiner Wucht auf lange vernachlässigte Gesundheitssysteme.

von Karola Klatt

Eine Pandemie, das haben wir in diesen letzten Tagen und Wochen der Corona-Krise gelernt, fordert von der Politik entschlossenes Handeln und das Verhängen von unpopulären Maßnahmen: angefangen bei Veranstaltungsverboten über Schließungen von Bildungseinrichtungen bis hin zu Grenzkontrollen und Ausgangssperren. Das öffentliche und wirtschaftliche Leben wird zum Erliegen gebracht und tief in die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern eingegriffen – und niemand weiß für wie lange. Was es bedeutet, in der Corona-Krise zu regieren, brachte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder kürzlich in einem Fernsehinterview auf den Punkt: „Wir handeln immer nach der Empfehlung der Virologen (…). Ich möchte, dass wir keinen Tag zögern, wenn wir die Empfehlung bekommen, jetzt zu handeln.“ Nur so, hoffen die gehetzten Politiker, lässt sich verhindern, dass sich das Virus weiter ungebremst ausbreitet und schon bald die Gesundheitssysteme überlastet.

Für die Bundespolitik Deutschland lobte Christian Drosten, Chef-Virologe der Berliner Charité in seinem täglichen Corona-Podcast: „Ich muss wirklich sagen, dass unser Gesundheitsminister sich informieren lässt und aktiv Experten anspricht.“ Viele Politiker in Europa und anderen Industrieländern verhalten sich ebenso und folgen in ihrem Handeln in dieser weltweiten Gesundheitskrise den Einschätzungen und dem Rat der akademischen Fachleute. Die meisten – aber längst nicht alle.

Donald Trumps „alternative” Corona-Fakten

Die Ländervergleichsstudie Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung untersucht unter anderem die Frage, inwieweit die Regierungen der EU- und OECD-Länder bei ihrer Entscheidungsfindung den Rat von regierungsunabhängigen Sachverständigen berücksichtigen. Wenig erstaunlich ist, dass besonders populistische Regierungen in diesem Ranking eher schlecht abschneiden.

Donald Trumps Team, das gerne „alternative Fakten“ präsentiert, erhält hier 2019 nur noch 4 von 10 möglichen Punkten, das sind drei Punkte weniger als die Vorgängerregierung unter Obama. Die Autoren des SGI-Länderberichts USA schreiben dazu: „In gleichem Maße wie strategische und andere Expertise innerhalb der Regierung drastisch an Bedeutung verloren hat, wird eine unabhängige akademische oder forschungsbasierte Beratung von der Trump-Administration und dem republikanisch kontrollierten Kongress als nebensächlich erachtet oder gänzlich ignoriert.“

Noch bei seinem Staatsbesuch in Indien Ende Februar tönte der US-Präsident, der Corona-Ausbruch in seinem Land sei unter Kontrolle, das Problem werde verschwinden. Da gab es schon 50 nachgewiesene Corona-Infektionen von US-Bürgern und Nancy Messonnier, die Leiterin der zuständigen US-Behörde, des National Center for Immunization and Respiratory Diseases, mahnte, es sei keine Frage mehr, ob der Ausbruch passiere, sondern wann er passiere und wie viele Menschen schwer erkranken würden. Nicht mal drei Wochen später wissen wir, dass Trumps prahlerisches Ignorieren der wissenschaftlichen Prognosen ebenso wenig geholfen haben, das Virus aufzuhalten, wie seine Schuldzuweisungen gegen Europäer und Chinesen, als er das Problem nicht mehr leugnen konnte und sichtlich nervös wurde. Und selbst die America-First-Strategie scheint angesichts der weltweiten Herausforderung nicht zu funktionieren: Einiges deutet darauf hin, dass die Offerte des Weißen Hauses, sich die Exklusivrechte an einem Impfstoff zu sichern, gescheitert ist.

Ungarische Regierung schafft unabhängige Forschung ab

Auch Viktor Orbán hält nicht viel vom Austausch mit Wissenschaftlern. Im SGI-Ranking zum Einfluss von unabhängiger Expertise auf das Regierungshandeln landet Ungarn mit nur 2 von 10 möglichen Punkten auf dem letzten Platz. Die Länderexperten des SGI stellen fest: „Die Regierungen unter Orbán haben keinerlei Interesse an unabhängiger wissensbasierter Beratung gezeigt und viele führende Experten, die anfangs politisch mit ihnen sympathisierten, vor den Kopf gestoßen.“ In ihrer Ablehnung von unabhängiger Forschung geht die rechtsnationale Regierung noch weiter, als Experten nur zu ignorieren. In einem regelrechten Kulturkampf ist es ihr gelungen, kritische Wissenschaftler zum Schweigen zu bringen und selbst die Kontrolle über wissenschaftliche Forschungseinrichtungen zu übernehmen.

Zwar setzte Orbán in der Corona-Krise früh auf Einreise- und Veranstaltungsverbote, gab sich dann jedoch vor allem der Suche nach ausländischen Sündenböcken hin, statt die Zeit zu nutzen, um das Gesundheitssystem des Landes für den Corona-Ausbruch zu rüsten. Tastsächlich könnte die Corona-Pandemie für Orban zur politischen Zerreißprobe werden, denn das ungarische Gesundheitssystem ist längst zum Sorgenkind der EU geworden. Der Mangel an medizinischem Personal ist hoch, sowohl bei Allgemeinärzten als auch bei Krankenschwestern, insbesondere in ärmeren Gegenden. Die Autoren des SGI-Länderberichts Ungarn 2019 der Bertelsmann Stiftung stellen fest: „Einer der am stärksten von Konflikten geprägten Politikbereiche in Ungarn ist das Gesundheitswesen. Durch eine anhaltende Serie von Skandalen wurde diese Domäne zur großen Schwachstelle der Fidesz-Politik und führte zu massiven öffentlichen Protesten.“

Laut der Studie leidet das ungarische Gesundheitswesen darunter, dass kein Ministerium sich mit Fragen der Gesundheitsversorgung befasst. Mit nur rund 50 Prozent der durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit hat Ungarn außerdem eines der niedrigsten Gesundheitsbudgets der OECD-Länder. Nicht zuletzt deshalb ist eine große Anzahl von Ärzten und Krankenschwestern in den Westen ausgewandert, wo sie wesentlich besser verdienen können. In einigen Krankenhäusern mussten wegen des Ärztemangels bereits ganze Abteilungen geschlossen werden.

Es bleibt nur zu hoffen, dass die Pandemie Ungarn nicht so stark treffen wird, wie andere europäische Länder, denn sonst könnten die Auswirkungen hier für die im Gesundheitswesen tätigen und die Bevölkerung noch viel verheerender werden als in Italien oder Großbritannien. Ein überfordertes Europa, in dem jede Nation hinter dichtgemachten Grenzen versucht, seinen eigenen Weg aus der Corona-Krise zu finden, wird da kaum helfend einspringen können.

Karola Klatt ist Wissenschaftsjournalistin und Redakteurin der SGI News und des BTI Blogs der Bertelsmann Stiftung.