Europäische Flagge

Corona droht den Klima-Schwerpunkt zu verdrängen

Lange Zeit galten Maßnahmen gegen den Klimawandel als Priorität für die sechsmonatige deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die im Juli beginnt. Wird Deutschland wirklich den Kampf gegen den Klimawandel vorantreiben, während die europäischen Länder mit den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie kämpfen?

von Jess Smee

Das Jahr 2020 war eigentlich überladen mit Erwartungen für den Klimaschutz. Das Pariser Klimaschutzabkommen sieht vor, dass sich Deutschland und die anderen Unterzeichnerstaaten noch in diesem Jahr auf neue, höher gesteckte Klimaziele verpflichten müssen. Der „Green Deal“ der EU, ein Maßnahmenpaket zur Stärkung des Klimaschutzes, liegt in der Schublade bereit. Vor diesem Hintergrund bestand die Hoffnung, dass aus der deutschen Ratspräsidentschaft eine „Klima-Präsidentschaft“ werden würde.

Die nationalen und internationalen Prioritäten wurden jedoch durch die Corona-Pandemie über den Haufen geworfen, die unausweichlich das Gesundheitswesen und das Anliegen in den Vordergrund rückte, die Volkswirtschaften vor einer scharfen Rezession zu schützen. Die Stimmung hat sich merklich gewandelt. Bereits Ende April sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem wöchentlichen Video-Podcast, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft einen Schwerpunkt auf den sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus und  auf Umweltfragen haben werde, räumte aber ein: „Sie wird von der Frage der Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen ganz klar geprägt sein“.

Der einstmals hervorragende Ruf Deutschlands beim Klimaschutz hatte zu diesem Zeitpunkt bereits empfindlich gelitten. Die Bertelsmann Stiftung bezeichnete Deutschland im Sustainable Governance Indicators (SGI) 2019 als „treibende Kraft in der internationalen Klimapolitik“, warnte aber: „Der Ruf Deutschlands als weltweit führendes Land in der Umweltpolitik hat jedoch leicht Schaden genommen, da die deutsche Regierung eingestehen musste, dass sie ihre Emissionsminderungsziele für 2020 nicht erreichen wird“.

Diese längst aufgegebenen Ziele werden nun allerdings wahrscheinlich erreicht, da die Pandemie zu einem plötzlichen und unvorhergesehenen globalen Rückgang der Emissionen geführt hat, der deutlicher ausfällt als in allen vorherigen Wirtschaftskrisen oder Kriegszeiten. Allerdings dürfte es sich dabei um einen einmaligen Einbruch handeln, wenn es keine verstärkten politischen Maßnahmen zur Förderung des Klimaschutzes gibt.

Selbst auf nationaler Ebene ist es Deutschland – Europas größtem CO2-Verursacher – nicht gelungen, in Klimafragen Fortschritte zu erzielen. So hat es seinen nationalen Klimaplan, der bereits Ende 2019 fällig gewesen wäre, mit sechs Monaten Verspätung vorgelegt, was einen Rückschlag für die Fortschritte der Europäischen Gemeinschaft im Klimabereich bedeutete.

Grüne Konjunkturpakete

Vor dem Hintergrund von COVID-19 findet die Idee, wirtschaftliche Anreize mit dem Klimaschutz zu verknüpfen, bei deutschen Politikern, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen zunehmend Unterstützung. Ende Mai schlug die Europäische Kommission ein 750 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket vor und unterstrich damit ihr Festhalten am „Green Deal“. Nach diesem Vorschlag soll ein Viertel aller Mittel in klimafreundliche Sektoren wie erneuerbare Energien, Elektromobilität und Gebäudesanierung fließen. In der Zwischenzeit würde für den gesamten EU-Haushalt das „do no harm“-Prinzip gelten, der Grundsatz der Schadensvermeidung, während für fossile Brennstoffe und Kernkraft keine Mittel zur Verfügung gestellt würden.

Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wird es nun möglich sein, den Erfolg solcher Maßnahmen abzuschätzen. Kritiker haben bereits Zweifel geäußert und argumentiert, dass die Umweltauswirkungen ohne einen detaillierten Ausgabenplan davon abhängen werden, wie die Mitgliedstaaten reagieren. Schließlich müssen die Regierungen der Mitgliedsstaaten Mittel beim „Recovery Fund“ der EU beantragen, und ihre Anträge werden von Brüssel und den anderen 26 EU-Mitgliedsstaaten geprüft.

In den vergangenen Wochen hat Deutschland das schwindende Vertrauen in seinen Einsatz für den Umweltschutz teilweise wiederherstellen können und dafür auch Beifall von Umweltaktivisten erhalten. Anfang dieses Monats wurde eine Nationale Wasserstoffstrategie vorgestellt – und damit der Anspruch auf eine globale Führungsrolle Deutschlands in einem Sektor untermauert, auf dem die Hoffnungen für die Reduzierung der hartnäckigen industriebedingten CO2-Emissionen ruhen. Indem sich die Regierung für den umstrittenen Schwerpunkt auf Wasserstoff aus erneuerbaren Energien entschied, stärkte sie ihren Prozess der Energiewende zusätzlich.

Unter anderem ist es Deutschland in jüngster Zeit gelungen, einige Hemmnisse im Bereich der erneuerbaren Energien zu beseitigen: Die Beschränkungen beim Ausbau der Solarenergie wurde aufgehoben und der langwierige Streit über den Mindestabstand zwischen Windkraftanlagen und Wohngebieten wurde beendet. Deutschland hat außerdem ein Konjunkturpaket im Wert von 130 Milliarden Euro verabschiedet, das eine Reihe von Maßnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen enthält. Einige Experten äußerten sich kritisch, darunter die Umweltorganisation Greenpeace, die es als „bestenfalls blassgrün“ bezeichnete. Es erhielt zugleich jedoch auch Beifall dafür, die national einflussreiche Autolobby brüskiert zu haben, indem es Elektromobilität zur Priorität machte und nicht den Forderungen der Branche nach neuen Subventionen für herkömmliche Autos nachgab.

Trotz dieser Hoffnungsschimmer gibt es bislang allerdings wenige Hinweise darauf, was die bevorstehende deutsche Ratspräsidentschaft im Einzelnen tatsächlich bringen wird. Klimainteressierte Beobachter beklagten beim diesjährigen Petersberger Klimadialog, einem jährlichen Treffen von rund 30 Umweltministern aus aller Welt, den Mangel an konkreten Maßnahmen. In diesem Jahr wurde der Dialog besonders aufmerksam verfolgt, da die UN-Klimakonferenz in Glasgow Ende des Jahres aufgrund der Corona-Pandemie auf nächstes Jahr verschoben wurde. Beim Petersberger Klimadialog erwähnte Merkel die Präsidentschaft bemerkenswerterweise mit keinem Wort und sprach stattdessen allgemein über den „Green Deal“, befürwortete aber auch das Vorhaben der EU-Kommission, die CO2-Emmissionen bis 2030 um 50 bis 55 Prozent statt um 40 zu reduzieren.

Kai Niebert, Umweltwissenschaftler und Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), eines Dachverbands der Natur-und Umweltschutzverbände, nannte Merkels Unterstützung für das übergeordnete Ziel einen „wichtigen Schritt in die richtige Richtung in diesen schwierigen Zeiten“, fügte aber hinzu: „Deutschland muss jetzt seine Worte in die Tat umsetzen und seine bevorstehende EU-Präsidentschaft wirklich dafür nutzen, die Umsetzung des Europäischen Green Deals aktiv voranzutreiben.“

Von einer Krise in die nächste?

Im europäischen Vergleich schneidet Deutschland mit 7,2 von 10 möglichen Punkten im SGI-Ranking 2019 in der Umweltpolitik weiterhin recht gut ab, gemessen am europäischen Durchschnittswert von 6,4. Dieser leichte Vorsprung könnte jedoch im Jahr 2020 in Gefahr geraten, da die klimapolitischen Ambitionen Deutschlands durch den Ausbruch einer Pandemie gedämpft werden.

Der internationale Notstand hat zwar die nationale und europäische Entscheidungsfindung behindert, lehrt uns aber auch eine wertvolle Lektion, so DNR-Präsident Kai Niebert. „Die Corona-Pandemie zeigt, wie unvorbereitet wir auf einen solchen globalen Schock sind“, sagte er. „Die einzig logische Antwort auf die aktuelle Gesundheits- und Wirtschaftskrise kann daher nur mehr Klimaschutz sein, nicht weniger, damit wir nicht von einer Krise in die nächste schlittern“.

Während der Countdown bis zur deutschen Ratspräsidentschaft läuft, machen einige Mitgliedsstaaten bereits deutlich, dass sie keine Anhänger einer klimafreundlichen Politik sind. In der akuten Notlage, auf die Pandemie reagieren zu müssen, hat sich ein polnischer Regierungsbeamter für die Abschaffung des Emissionshandelssystems der EU ausgesprochen, während der tschechische Premierminister Andrej Babiš darauf drängte, den Green Deal auf Eis zu legen. Es deutet also alles darauf hin, dass Deutschlands Zeit an der Spitze von einer doppelten Herausforderung geprägt sein wird, auch jenseits des alles allumfassenden Themas COVID-19. Deutschland muss nicht nur die eigenen Versprechen für den Umweltschutz in die Tat umsetzen, sondern wird auch auf entschiedenen Widerstand gegen Klimaschutzmaßnahmen stoßen.

Jess Smee lebt und arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie schreibt unter anderem für The Guardian und ist Redakteurin von SGI News und dem BTI-Blog der Bertelsmann Stiftung.

Übersetzung ins Deutsche: Cornelius Reiber