Grünen-Bundesvorsitzender Robert Habeck und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sitzen sich in einem Studio des Rundfunks Berlin-Brandenburg beim "Polittalk aus der Hauptstadt" an weit auseinanderstehenden Einzeltischen gegenüber. Jens Spahn hält ein Mikrofon in der Hand und spricht, während Robert Habeck zuhört.

Spahn: "Es geht darum, uns und die Gesellschaft zu schützen"

Kurz nach dem Beschluss von Bund und Ländern, Deutschland erneut in einen "harten Lockdown" zu schicken, diskutierten Grünen-Chef Robert Habeck und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) darüber, ob das Corona-Virus die Gesellschaft spaltet. Beim zweiten "Polittalk aus der Hauptstadt" wurde schnell klar, dass die beiden Politiker sich in vielen Punkten einig sind.

Der Staat hat am vergangenen Wochenende beschlossen, die Grundrechte der Bürger:innen aus Infektionsschutzgründen noch einmal massiv einzuschränken. Harter Lockdown in Deutschland. Weihnachten und Silvester werden in diesem Jahr anders sein als die Jahre zuvor. Denn: Die Infektionszahlen steigen, das Gesundheitssystem und die Menschen, die in Kliniken und Pflegeeinrichtungen arbeiten, sind am Anschlag.

Einen Tag nach dem Beschluss von Bund und Ländern, Deutschland in einen zweiten "harten Lockdown" zu schicken, diskutierten an diesem Montag (14.12.2020) der Co-Parteivorsitzende der Grünen Robert Habeck und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beim zweiten "Polittalk aus der Hauptstadt" die Frage: Spaltet Corona die Gesellschaft? Wie kann sich die Demokratie in der Krise bewähren?

Bei der 60-minütigen Diskussionsveranstaltung, die wir gemeinsam mit dem Inforadio des rbb und der Süddeutschen Zeitung veranstaltet haben, wurde schnell klar, dass die beiden Politiker sich in vielen Punkten einig sind.

Dürfen Politiker in Krisenzeiten Fehler zugeben?

Spahn stellte eingangs fest, dass er kein Problem damit habe, sich in dieser dynamischen Lage immer wieder selbst korrigieren zu müssen. Dies hatte die Politik mit der Entscheidung zum "harten Lockdown" am Wochenende getan. Habeck pflichtete bei, dass Fehler zuzugeben, seiner Meinung nach Vertrauen in der Bevölkerung schaffe. Aber: "Es sind Fehler erkennbar gemacht worden, sonst wären wir nicht in dieser Situation. Das ist aber keine Frage von Schuld. Denn das würde voraussetzen, dass wider besseres Wissen gehandelt wurde. Das würde ich nicht unterstellen. Aber rückblickend hätten wir an anderen Stellen anders entscheiden können", so Habeck.

Spahn konterte: "Wir hätten im Oktober oder November zu Entscheidungen kommen müssen, die mehr Kontakte reduzieren. Ja. Gleichwohl müssen diese Entscheidungen auch mehrheitsfähig sein. Nicht nur in der Bundesregierung, sondern auch in 16 Landesregierungen", so Spahn weiter. Seiner Ansicht nach sei viel entscheidender, dass die aktuellen Entwicklungen vor allem den Frisören und dem Einzelhandel wehtun. "Für viele Menschen und Unternehmen werden das sehr harte 25 Tage. Wir haben es alle selbst in der Hand. Die Regierung muss dafür sorgen, dass die Kontakte runtergehen. Ich hätte es lieber anders, aber die dynamische Lage macht es erforderlich, schwierige Entscheidungen zu treffen."

Spahn wies dann noch auf das aktuelle Dilemma hin, mit dem die Verantwortlichen in der Politik umgehen müssen: "Egal, was wir entscheiden oder nicht entscheiden, es entsteht Schaden. Wenn wir nichts entscheiden, entsteht ein sehr großer gesundheitlicher Schaden. Es entsteht wirtschaftlicher Schaden, der auch gesundheitliche Folgen haben kann. Es geht immer darum – und das ist das Mandat von Politik – den Schaden abzuwägen. Wir haben uns für eine sehr starke Gewichtung von Gesundheitsschutz entschieden. Und wir schauen, wie wir den Schaden erträglicher machen, zum Beispiel durch Wirtschaftshilfen", erläutert Spahn. "In so einer Schicksalssituation alle schadensfrei zu halten, das kann nicht gelingen."

Wie gut sind die Corona-Regeln?

Einig waren sich beide Politiker in der Frage, dass es in der aktuellen Lage auf das Verhalten der Bevölkerung ankomme. Das Eindämmen des Virus funktioniere nur, wenn die Regeln, die von der Politik beschlossen werden, auch von den Menschen im Land eingehalten werden. Habeck: "Wenn die Menschen sich nicht an die Regeln halten, dann sind die Regeln nichts wert. Und die Frage ist, wie bekommt man die Menschen dazu, sich an die Regeln zu halten", so Habeck. Gleichzeitig kritisierte der Oppositionspolitiker das Regierungsmitglied Jens Spahn: "Aber: Die Regeln waren nicht übersichtlich. Das hat eine Ernsthaftigkeit herausgenommen und das schafft Unsicherheit in der Bevölkerung."

Die Demokratie in Deutschland hat Corona-Bewährung "gut bestanden"

Mit in der Runde saß unser Demokratieexperte Robert Vehrkamp. "Die Pandemie ist für die Demokratie eine Bewährungsprobe, die sie bislang sehr gut bestanden hat", fasst Vehrkamp die Ergebnisse aus unserem Demokratiemonitor zusammen, deren Ergebnisse beim "Polittalk aus der Hauptstadt" vorgestellt und diskutiert wurden. Für die Veranstaltung haben wir eine repräsentative Umfrage zur Bewertung der bisherigen Corona-Maßnahmen durchgeführt. Die Erhebung entstand vor dem von Bund und Ländern am Sonntag beschlossenen harten Lockdown, der ab Mittwoch gilt.

Das Ergebnis: Fast neun von zehn Deutschen (86 Prozent) halten auch und gerade in der Pandemie die Demokratie für das beste politische System, und fast zwei Drittel (63 Prozent) sind darüber hinaus mit dem Funktionieren der Demokratie sehr oder eher zufrieden. Gleichzeitig halten nur zwei von zehn Befragten (21 Prozent) das politische System, und nur drei von zehn (31 Prozent) die Qualität der Regierung derzeit für eine Schwäche Deutschlands. "Das sind insgesamt höhere Zustimmungswerte für die Demokratie und die Qualität der Regierung, als vor Beginn der Flüchtlingskrise im Jahr 2015", ordnete Vehrkamp die Ergebnisse ein.

Ein ähnliches Bild zeigte sich bei den Akzeptanzwerten der Corona-Maßnahmen: Sechs von zehn (58 Prozent) Deutschen empfanden die bisherigen Corona-Maßnahmen der Regierung als "zu lasch", und zusätzlich etwa jeder Vierte (23 Prozent) hat sie als "gerade richtig" empfunden. "Die Politik scheint die Akzeptanz und Folgebereitschaft der Menschen in Deutschland bisher eher unterschätzt zu haben", kommentierte Vehrkamp. "Die Macht selektiver Bilder von Anti-Corona-Demonstrationen darf den Blick auf die insgesamt enorm hohen und stabilen Zustimmungswerte im Land nicht verstellen", warnt Vehrkamp.

Jüngere Bevölkerung bei Corona-Politik kritischer eingestellt

Allerdings zeigt sich ein deutlicher Alterseffekt: Die Jüngeren sind deutlich kritischer gegenüber der Corona-Politik der Regierung eingestellt als die Älteren. Während nur jeder Fünfte aus der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen den Umgang der Regierung mit der Corona-Pandemie als "gut" für die Demokratie bewerte, liegt der Wert bei den über 65-Jährigen mehr als dreimal so hoch (62 Prozent). Gleichzeitig bewerten die Jüngeren die Einschränkungen des öffentlichen Lebens deutlich negativer.

"Die Jüngeren empfinden sich zunehmend als die Verlierer der Pandemie-Krise", erklärt Vehrkamp. "Sie leiden subjektiv stärker unter den Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Gleichzeitig zeigen sich viele der Jüngeren sensibler für die demokratischen Zumutungen der Pandemie, und beklagen sehr viel stärker als die Älteren die pandemiebedingten Einschränkungen der Grundrechte, des Demonstrationsrechts und der Versammlungsfreiheit. Aus dem Pandemie-Frust der Jüngeren darf kein Demokratie-Frust werden", so Vehrkamp.

Der "Polittalk aus der Hauptstadt" wurde moderiert von Angela Ulrich (rbb) und Stefan Braun (Süddeutsche Zeitung). Sie fand im Studio 14 des rbb in Berlin unter Berücksichtigung der aktuellen Corona-Regeln statt und wurde live im Internet übertragen. Die Veranstaltung können sie in der Aufzeichnung unter diesem Link noch einmal komplett sehen.