Home Office

Home-Office und Unternehmenskultur

Es hat sich gezeigt, dass sich Arbeitnehmer:innen gut an die Bedingungen des mobilen Arbeitens angepasst haben - die Flexibilität bringt viele Vorteile. Allerdings drohen Haarrisse in der Unternehmenskultur. 

Foto Jörg Habich
Jörg Habich
Foto Martin Spilker
Martin Spilker

Inhalt

Unsere aktuelle Studie in Zusammenarbeit mit Ipsos bestätigt nach einem Jahr in der Pandemie, dass Arbeitnehmer:innen sich insgesamt gut an die geänderten Arbeitsbedingungen im Home-Office angepasst haben und die gewonnene Flexibilität viele Vorteile bringt. Die Studie zeigt aber auch: Nicht alle profitieren von der Auflösung bisheriger Arbeits- und Organisationsstrukturen. Insbesondere Berufseinsteiger:innen scheinen belastet zu sein und auch für Frauen deuten sich strukturelle Nachteile an. Eine weitere "Leittragende" könnte die Unternehmenskultur selbst sein. Für Unternehmen bietet sich jetzt die Chance, Weichen für die Zukunft zu stellen, aber nur knapp die Hälfte der Unternehmen scheint bereits ein klares Konzept für die Zeit danach zu haben. Hier ist mehr Gestaltungswille gefordert, um Haarrisse in den Unternehmenskulturen und eine Verschärfung struktureller Benachteiligung zu verringern.

In Zusammenarbeit mit Ipsos wollten wir von rund 1.000 Arbeiternehmer:innen wissen, welche Effekte sich auf die Wahrnehmung der Unternehmenskultur nach etwa einem Jahr Pandemie und der Etablierung von Home-Office in vielen Betrieben zeigen. Mit gut acht von zehn Befragten, die Home-Office "positiv" oder "sehr positiv" wahrnehmen, bestätigt die vorliegende Studie die grundsätzlich gute Bewertung der zum Teil neuen Arbeitserfahrung. Im Kontrast zu der positiven Bewertung des Home-Office ist die allgemeine Stimmung aber eher schlecht: Die überwiegende Mehrheit beschreibt sich als besorgt (42 Prozent), deprimiert (12 Prozent) oder sogar wütend (7 Prozent). Dafür sind jedoch nicht Verschlechterungen im Unternehmenskontext verantwortlich: Rund 60 bis 80 Prozent haben das Gefühl, dass sich seit Ausbruch der Pandemie Aspekte wie Unternehmenskultur, Beziehungen zu Kolleg:innen, Wohlbefinden und so weiter nicht verändert haben. Im Home-Office erleben viele sogar Verbesserungen zum Beispiel hinsichtlich Work-Life Balance oder Produktivität.

Erste Haarrisse der Unternehmenskultur

Die vorliegende Studie zeigt aber erste Haarrisse der Unternehmenskultur auf. So geben 50 Prozent im Home-Office an, dass soziale Kontakte schlechter aufrechterhalten werden können und fast die Hälfte der Befragten (41 Prozent) fällt bereits jetzt der Kontakt zu anderen Teams schwerer. Es darf sicherlich angenommen werden, dass sich dieser Trend mit jedem weiteren Tag Home-Office verstärken wird. Jörg Habich, unser Experte für Führung und Unternehmenskultur, warnt daher: "Hier kann sich die Hoffnung von Home-Office als neue Wunderwaffe für schnelles und agiles Arbeiten oder Quelle für Kosten- und Zeitersparnis als Nachteil für die Kultur von Unternehmen entwickeln, wenn das soziale Miteinander in der Kaffeeküche oder das Lernen voneinander am Arbeitsplatz fehlen. Die Menschen sind das "Old Normal", das heißt, das Arbeiten vor Ort und den damit verbundenen Austausch gewöhnt."

Jeder dritte bis vierte Beschäftigte vor Ort erlebt hinsichtlich Aspekte wie Work-Life Balance, Wohlbefinden und Motivation sogar Verschlechterungen. Ingrid Feinstein von Ipsos betont: "Wenn die Kultur eines Unternehmens dieses nicht auffangen kann, droht eine zunehmende Entfremdung und mögliche Verstärkung von Silos oder sogar Verhärtung von Fronten innerhalb der Belegschaft, a) weil sich die Menschen in den unterschiedlichen Funktionen seltener begegnen und b) sozialer Neid aufkommen kann."

Hier schlummern mittelfristig soziale Schwierigkeiten in den Organisationen – vor allem, wenn der wirtschaftliche Druck auf einige Unternehmen weiter zunehmen wird. Nur 56 Prozent der Befragten schauen jedenfalls optimistisch in die Zukunft ihrer Unternehmen. Es scheint eine Frage der Zeit, wann sich diese Unsicherheit auch in der Unternehmenskultur vor Ort niederschlägt.

Nur die Hälfte der junge Kolleg:innen empfindet Home-Office positiv

In der Gruppe der jüngeren Arbeitnehmer:innen (jünger als 25 Jahre) zeigen sich Auffälligkeiten, die den Eindruck einer problematischen Entwicklung verschärfen. So erlebt nur jede:r zweite (53 Prozent) in dieser Gruppe das Home-Office positiv. In dieser Alterskohorte verschlechtert sich vor allem die Wahrnehmung der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten. Jede:r Vierte (26 Prozent) sieht die persönlichen Perspektiven kritischer und erlebt weniger Handlungsspielräume.

Auch in der Gruppe der Frauen deutet sich eine Verschärfung struktureller Probleme an. Zwar profitieren auch hier viele von der Flexibilität des Home-Office (18 Prozent nehmen eine Verbesserung wahr), noch mehr erleben eine Verschlechterung – auch mehr im Vergleich zu Männern (26 Prozent unter den Frauen im Vergleich zu 16 Prozent Männern). Etwas mehr Frauen im Vergleich zu Männern erleben auch eine Verschlechterung ihrer beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten (20 Prozent Frauen im Vergleich zu 16 Prozent Männern).

Weichen für das "neue Normal" jetzt stellen

Insgesamt besteht die Gefahr, dass Unternehmen aufgrund der oberflächlich positiven Bewertung des "New Normal" den Handlungsbedarf in der weiteren Ausgestaltung jenseits kommunikationstechnischer und rechtlicher Fragen rund um Home-Office übersehen. Aktuell haben Unternehmen die Chance, die Weichen für die Zukunft der Zusammenarbeit zu stellen und ihre Unternehmenskultur (Werte, Verhaltensweisen und Praktiken) auf die zwangsläufig geforderte und erhöhte Flexibilität, wo und wann Arbeit erledigt wird, auszurichten. Dieser Prozess muss proaktiv gestaltet werden und insbesondere Personalabteilungen sind gefordert, sich als strategische Partner an die Spitze der Transformation in den Unternehmen zu stellen und unter konsequenter Einbindung der Beschäftigten das Konzept der zukünftigen Zusammenarbeit auszugestalten.

Die emotionale Entkopplung durch mangelnde soziale Kontakte wie auch die strukturellen Benachteiligungen von weiblichen Erwerbstätigen und der jüngeren Generationen werden perspektivisch bei einer modernen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik zu berücksichtigen sein. Gleichzeitig muss ein neues Führungsverständnis, aber auch Selbstverständnis der Mitarbeiter:innen in Richtung mehr Vertrauen und Selbstverantwortung gefördert werden. "Eine gesunde Unternehmenskultur setzt auf Kommunikation und Kritikfähigkeit und ist für Alternativen offen. Sie denkt Undenkbares, hält Diversität und Verschiedenartigkeit aus und berücksichtigt die Interessen auch derjenigen, die nicht modern und agil arbeiten können", sagt Jörg Habich abschließend.

Unsere Ansprechpartner:

Dr. Ingrid Feinstein, Ipsos, Telefon: +49 69 247470 2783
E-Mail: ingrid.feinstein@ipsos.com

Dr. Jörg Habich, Bertelsmann Stiftung, Telefon: +49 52 41 81 81 277
E-Mail: joerg.habich@bertelsmann-stiftung.de

Martin Spilker, Bertelsmann Stiftung, Telefon: +49 52 41 81 81 277
E-Mail: martin.spilker@bertelsmann-stiftung.de 

Zusatzinformationen zur Studie

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie basieren auf einer Befragung, welche die Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit der Ipsos GmbH im Dezember 2020 durchführte. Die Fragen wurden gemeinsam entwickelt und entstammen teilweise einer Studie, die seitens Ipsos bereits nach dem ersten Lockdown im Mai 2020 realisiert wurde. An der Studie haben insgesamt 1.133 Arbeitnehmer:innen zwischen 18-65 Jahren aus unterschiedlichen Branchen teilgenommen.

43 Prozent der Befragten sind männlich und der Altersdurchschnitt der Stichprobe liegt bei 47 Jahren. 19 Prozent haben angegeben, dass Sie Führungsverantwortung haben. 25 Prozent arbeiten in Teilzeit. 12 Prozent arbeiten weniger als ein Jahr bei ihrem Arbeitgeber, 30 Prozent zwischen einem und fünf Jahren, 18 Prozent zwischen sechs und zehn Jahren und 40 Prozent mehr als zehn Jahre. Die Verteilungen können als repräsentativ für die Unternehmenslandschaft in Deutschland angesehen werden.

52 Prozent haben angegeben, dass Sie regelmäßig im Home-Office arbeiten. Davon geben 36 Prozent an, dass sie auch schon vor der Corona-Krise im Home-Office gearbeitet haben. 23 Prozent haben Kinder, die jünger als 16 Jahre sind.