Eine tunesische Flagge weht im Wind.

Ein neues Kapitel in der Geschichte der Demokratie

Zum Auftakt der 2. Europäischen Nachbarschaftskonferenz der Bertelsmann Stiftung, die vom 28. bis 30. April in Tunis stattfindet, lobte Bundespräsident Joachim Gauck das Gastland Tunesien als gelungenes "Vorbild für die freiheitsliebenden Menschen der ganzen Region." 

Bundespräsident Joachim Gauck würdigte zu Beginn der 2. Europäischen Nachbarschaftskonferenz in Tunis den diesjährigen Gastgeber Tunesien als vorbildhaft für die Region Nordafrika. Seine bewegende Rede vor über dreihundert Zuhörern zog immer wieder die Parallele zwischen der Befreiung der Ostdeutschen 1989 und dem Wandel Tunesiens hin zu einer modernen Demokratie - "dieses Mal in einem Land mit arabisch und islamisch geprägter Kultur."

Der Bundespräsident sah auch Unterschiede zwischen der zusammenbrechenden DDR und dem Sturz der Diktatur in Tunesien. Wenn er die friedliche Revolution im Ostteil Deutschlands 1989 mit der Situation in dem nordafrikanischen Land vergleiche, werde ihm deutlich, wie viel schwieriger die Lage hier doch gewesen sei und noch immer sei, so Gauck. Diese nie geahnte Entwicklung habe ihm einmal mehr bestätigt, dass Freiheit ein Grundbedürfnis des Menschen sei.

„Freiheit wird immer ein Sehnsuchtsziel des Menschen bleiben. Wer dieser Sehnsucht vertraut, wird seine Angst verlieren.“

Bundespräsident Joachim Gauck

Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, dankte dem Bundespräsidenten: "Sie haben mit Ihren Worten mein Herz, ja, unser aller Herzen bewegt!" Vor Gaucks Rede hatte Liz Mohn als stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung dem Gastland Mut zugesprochen und Unterstützung versprochen. Tunesien habe seit der Revolution 2011 viele wichtige politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformationsprozesse angestoßen. Mit ihrem Projekt "Europa stärken und verbinden" wolle die Bertelsmann Stiftung einen Beitrag zu Dialog und Verständigung im Mittelmeerraum leisten.

„Tunesien kommt eine zentrale Rolle im Brückenbau mit Europa und Deutschland zu.“

Liz Mohn, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung

Teilnehmer der Konferenz sind neben Bundespräsident Joachim Gauck, der seinen ersten offiziellen Besuch in Tunesien abhält, unter anderem der tunesische Ministerpräsident Habib Essid und drei Minister seines Kabinetts. Außerdem nehmen der EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik Johannes Hahn und Wolfgang Schüssel, Kuratoriumsmitglied der Bertelsmann Stiftung und ehemaliger Bundeskanzler Österreichs, teil. Kooperationspartner der Veranstaltung sind die Deutsch-Tunesische Industrie- und Handelskammer, das Gulf Research Center und das Centre of Mediterranean and International Studies.

Rund 60 Experten aus Europa und Nordafrika diskutieren noch bis zum Donnerstag in der tunesischen Hauptstadt, wie eine reformierte Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) die politischen und sozio-ökonomischen Transformationsprozesse in den südlichen Nachbarstaaten der EU unterstützen kann. Dabei geht es um das Vorantreiben des Demokratisierungsprozesses in der Region, die Förderung von wirtschaftlicher Entwicklung und von Auslandsinvestitionen sowie um die Reform der lokalen Arbeitsmärkte und Ausbildungssysteme.

In den ersten Diskussionsrunden des öffentlichen Forums am Dienstag lag der Schwerpunkt auf den wechselseitigen Erwartungen der Europäischen Union und des demokratischen Tunesiens. Ministerpräsident Habib Essid betonte in seiner Rede vor allem die Rolle und den Anteil der Jugend am demokratischen Umbruch: "Die Jugendlichen sind der Ursprung des tunesischen Frühlings. Der Arbeitsplan meiner Regierung hat jetzt die Aufgabe, diese Jugend zufrieden zu stellen."

Die EU wolle bei dieser Aufgabe gerne helfen, sie habe seit 2011 ihre Mittel verdoppelt: Wo diese Hilfe allerdings hinfließen soll, das müsse der demokratische Gesetzgeber entscheiden. So gesehen sei auch die EU auf eine erfolgreiche Reformpolitik Tunesiens angewiesen, fügte der hohe EU-Fachmann und Kenner der arabischen Welt Michael Köhler in der Eröffnungsrunde hinzu. Dafür stünden die Chancen doch gut, lautete die Replik seines Diskussionspartners, des Staatssekretärs im Außenministerium M'Hamed Ezzine Chélaifa, denn Tunesien habe jetzt dieselben Werte wie die Europäische Union.

Impressionen von der Konferenz