Migration – Eine Chance für weltweite Entwicklung

Wie kann Migration gerecht gestaltet werden? Diese Frage stand beim Reinhard Mohn Symposium am 6. Mai in Berlin im Zentrum. Weltweit führende Experten, hochrangige Regierungsmitglieder und Unternehmer, Vertreter der Zivilgesellschaft und von internationalen Organisationen kamen zur Diskussion zusammen.

Getreu dem Motto Reinhard Mohns "Von der Welt lernen" diskutierten ranghohe Teilnehmer aus dem In- und Ausland die Ergebnisse der weltweiten Recherche des 2015er Reinhard Mohn Preis-Teams. Dabei erörterten sie Perspektiven von Einwanderungsländern wie auch von Herkunftsländern und überlegten, wie diese im Sinne eines wechselseitigen Nutzens zusammengeführt werden können. Die Teilnehmer der Veranstaltung, an der auch der gesamte Vorstand der Bertelsmann Stiftung sowie einige Mitglieder des Kuratoriums teilnahmen, waren sich einig: Es brauche einen Perspektivwechsel auf allen politischen Handlungsebenen, der den Blick von den Interessen der Einwanderungsländer auf die Interessen der Migranten und der Auswanderungsländer weitet. Das erfordere vor allem eine verstärkte internationale Kooperation bei der Entwicklung von Talenten.

Die Menschen, die zu uns kommen oder in den vergangenen Jahrzehnten zugewandert sind, sind als Fachkräfte auch der Schlüssel für unsere eigene Zukunft.

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales

Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, machte in ihrer Rede klar, dass Arbeit und Beschäftigung bereits "die halbe Integration" seien. Nahles sprach sich auch für die Aufstockung der Mittel aus dem Bundeshaushalt für die Integration von Flüchtlingen aus. Für die Abfederung der Folgen des demographischen Wandels brauche Deutschland Zuwanderer. Zudem befürwortete die Ministerin ein Einwanderungsgesetz. Dieses könne helfen, die auch von ihr persönlich als viel zu kompliziert empfundenen Zuwanderungsregeln zu vereinfachen.

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Reiner Hoffmann, und der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, speisten die Perspektiven der Sozialpartner ein. Hoffmann machte deutlich: Auch bei den Gewerkschaften sei die Einsicht unstrittig, dass man in Deutschland und Europa in Zukunft mehr Zuwanderung brauche. Dabei  sei aber wichtig, dass faire Mobilität stets "dem Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" folge. So könne auch der Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung entgegen gewirkt werden.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Aydan Özoğuz, zeigte auf, dass es noch weitere Anstrengungen von Seiten der Politik bedürfe, Deutschland attraktiver aufzustellen: "Wir haben in der Vergangenheit viel zu sehr auf Abwehr gesetzt. Ich glaube nicht, dass es reichen wird, sich auf die ökonomischen Schwierigkeiten anderer Staaten zu verlassen." Der innenpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Volker Beck, plädierte dafür, dass eine Willkommenskultur in Deutschland möglichst konkret ausgestaltet wird: "Das darf keine Phrase sein." Dies bedeute auch die deutsche Staatsangehörigkeit bei Geburt und die doppelte Staatsangehörigkeit. Sonst werde man eines Tages bemerken, dass die Wertschöpfung zu den Menschen gehe und nicht die Menschen zur Wertschöpfung.

Wir brauchen Mechanismen, die den Menschen als Migranten in den Mittelpunkt stellen und nicht die Kategorisierung.

Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung

Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, resümierte, dass der Steuerbarkeit von Migration weltweit Grenzen gesetzt seien. Es gebe aber viele nationale und internationale Gestaltungsmöglichkeiten, wie die Impulse und Denkanstöße des Symposiums gezeigt hätten.  Selbstbestimmte Mobilität ist bei fairen Rahmenbedingungen eine Chance für persönliche, nationale und globale Entwicklung. Deutschland könne diese Chance nutzen, um den nationalen Wohlstand langfristig zu sichern: durch eine aktive Gestaltung der Migrations- und Integrationspolitik im Sinne einer "sozialen Marktwirtschaft für Migration". Deutschland könne vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen mit sozialer Marktwirtschaft international ein Vorreiter dafür werden, eine multilaterale Ordnung mit handlungsfähigen Regeln und Institutionen zur fairen Gestaltung von Migration zu befördern. Soziale Marktwirtschaft zielt nach Vorstellung derjenigen, die sie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg begründet haben, auf "Wohlstand für alle". So leistet eine an diesem Modell orientierte globale Governance für faire Migration einen Beitrag zur weltweiten Entwicklung. Allerdings werde die Aufteilung der Einwanderung in verschiedene Typen, wie Arbeitsmigranten und Flüchtlinge, zunehmend obsolet. Dem pflichtete auch die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth bei, die im Juni mit dem Reinhard Mohn Preis 2015 ausgezeichnet wird.

Auch Flüchtlinge sind Menschen mit Potenzial und wollen arbeiten.

Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D., Reinhard Mohn Preisträgerin 2015

Süssmuth betonte in ihrer ergreifenden Schlussrede, dass es trotz guter Ansätze noch ein weiter Weg zu einer entwicklungsorientierten Migrationspolitik sein. Diese werde nur möglich sein, wenn alle Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft national und international an einem Strang ziehen. Der Paradigmenwechsel hin zu einer fairen Steuerung von Migration im Sinne aller beteiligten Parteien ist nicht nur eine nationale Angelegenheit, sondern eine der zentralen Zukunftsaufgaben internationaler Politik. Sie stellte fest: „Wir brauchen uns wechselseitig.“ Und genau darin liegt die Chance für ein globales Plus an Beschäftigung, Bildung und Wohlstand durch faire Migration.

Der Film zum Reinhard Mohn Symposium 2015