Mehrere Menschen überqueren auf einer Brücke einen Fluss und laufen auf eine Reihe von Hochhäusern mit Glasfassade zu.

Britische und deutsche Unternehmen empfinden Brexit als Bedrohung

Seit Monaten trommeln Europaskeptiker in Großbritannien für den Brexit und verkaufen einen EU-Austritt ihres Landes als Fortschritt und Gewinn. Doch für britische und deutsche Unternehmensführer liegt die Zukunft des Vereinigten Königreiches eindeutig in der Europäischen Union, wie unsere neue Umfrage zeigt.

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Dr. Thieß Petersen
Senior Advisor

Vier von fünf Führungskräften von Unternehmen in Großbritannien und Deutschland sprechen sich klar gegen den derzeit heiß debattierten EU-Austritt des Vereinigten Königreiches aus. Für sie hätte er negative Auswirkungen auf die jeweiligen nationalen Arbeitsmärkte sowie auf die Umsätze und Investitionen der eigenen Branchen und Unternehmen. Dies ist das Ergebnis einer aktuellen repräsentativen Unternehmensbefragung durch die britische Economist Intelligence Unit im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.

Danach wünschen sich rund 80 Prozent aller befragten Unternehmer, Geschäftsführer und leitenden Angestellten einen EU-Verbleib Großbritanniens. In Deutschland liegt der Anteil sogar etwas höher als im Vereinigten Königreich (83 zu 76 Prozent). Mit über 80 Prozent plädieren in Großbritannien die Vertreter des verarbeitenden Gewerbes, von IT- und Technologiefirmen, des Einzelhandels und der Konsumgüterbranchen am stärksten für einen Verbleib ihres Landes in der EU. Dieses eindeutige Ergebnis überrascht, da für die Befragung bei einem Brexit von einem "Best Case Scenario" für die Briten ausgegangen wurde. Danach würden sie die EU nur als politische Einheit verlassen, wären jedoch weiterhin Mitglied des Binnenmarktes. Großbritannien könnte somit einen Status ähnlich dem der Schweiz oder Norwegens genießen.

Doch auch bei einem Teilausstieg aus der EU befürchten die befragten Unternehmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals erhebliche Nachteile. So erwarten 42 Prozent negative bis sehr negative Auswirkungen für den jeweiligen nationalen Arbeitsmarkt. In Großbritannien sind diese Befürchtungen sogar etwas stärker ausgeprägt als in Deutschland (44 zu 39 Prozent).

Brexit als Jobkiller? Rund 42 Prozent der 782 befragten britischen und deutschen Unternehmen befürchten bei einem EU-Austritt Großbritanniens negative Folgen für den nationalen Arbeitsmarkt.

Brexit wird als Bedrohung für die eigene Branche und das eigene Unternehmen empfunden

Einen Brexit sehen britische und deutsche Unternehmenslenker auch als eine Gefahr für die eigene Wirtschaftsbranche: 38 Prozent der Befragten befürchten negative Auswirkungen auf die Umsätze und jeweils rund ein Drittel auf Investitionen und die Beschäftigten. Dabei zeigen sich die Briten nochmals pessimistischer als die Deutschen.

Für die Befragten stellt der Brexit aber auch eine reale Bedrohung für das eigene Unternehmen dar: Spätestens drei Jahre nach einem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU erwartet rund ein Drittel Umsatzeinbrüche und jeweils um die 30 Prozent sehen Investitionsrückgänge und negative Folgen für die Anzahl der eigenen Beschäftigten kommen.

Am schwerwiegendsten würde sich ein Brexit auf unternehmerische Entscheidungen auswirken: So will fast jedes Dritte aller befragten Unternehmen im Falle eines britischen EU-Austritts seine Kapazitäten in Großbritannien verringern oder diese von der Insel weg verlagern. Mit 41 Prozent sind solche Ansichten am stärksten im IT-Sektor ausgeprägt, aber auch ein Drittel der befragten Finanzunternehmen würde ähnlich handeln.

Europas Regierungschefs müssen Kompromisse finden

Für Aart De Geus, den Vorstandsvorsitzenden der Bertelsmann Stiftung, ist die Umfrage ein klares Votum für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. Am Vorabend der Verhandlungen mit London würden die britischen und deutschen Wirtschaftsführer deutlich machen, dass im Falle eines Brexit alle viel zu verlieren hätten, so De Geus. Die Befürchtungen für Arbeitsplatz- und Wohlstandsverluste seien reale Bedrohungen.

"Die europäischen Regierungschefs haben eine enorme Verpflichtung, jetzt Kompromisse zu finden. Eine gegenseitige Blockade mit dem Verweis auf eherne Grundsätze bringt niemanden weiter."

Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung

Der gemeinsame Binnen- und Arbeitsmarkt schafft bei britischen und deutschen Unternehmen Identifikation mit der EU.

Bereits im vergangenen Jahr verdeutlichte eine Studie der Bertelsmann Stiftung, welche Folgen ein Brexit für Großbritannien hätte: So würde - je nach Ausmaß der handelspolitischen Abschottung des Landes - das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner im Jahr 2030 zwischen 0,6 und 3 Prozent geringer ausfallen als bei einem Verbleib in der EU.

Die komplette Umfrage finden Sie in der rechten Spalte.