Nahaufnahme zweier lachender Frauen. Die rechte trägt ein Kopftuch.

Deutsche sind dem Islam gegenüber zwiegespalten

Wie steht's um religiöse Vielfalt und Teilhabe im Einwanderungsland Deutschland? Für das Jahresgutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) wurde die Bevölkerung befragt. Ein Ergebnis: Die Mehrheit der Deutschen befürwortet es, den Islam institutionell mit anderen Religionen gleichzustellen, meint allerdings, dass er nicht Teil des Landes sei.

Die religiöse Vielfalt in Deutschland wächst: Mit dem Islam hat sich neben Christentum und Judentum eine dritte Weltreligion etabliert. Derzeit leben 4 Millionen Muslime in der Bundesrepublik. Diese Entwicklung wird dadurch verstärkt, dass derzeit viele Flüchtlinge insbesondere aus muslimisch geprägten Ländern zuwandern. Deutschland erlebt damit zwei gegenläufige Tendenzen: Der Trend zur gesellschaftlichen Säkularisierung und zurückgehende religiöse Bindungen stehen der Zunahme und Ausdifferenzierung von religiösen Angeboten gegenüber. Vor diesem Hintergrund hat das Jahresgutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) untersucht, wie Deutschland mit der durch Einwanderung verstärkten Zunahme religiöser Vielfalt umgeht und welche politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen das mit sich bringt. Ein Schwerpunktthema ist die institutionelle Gleichstellung islamischer Religionsgemeinschaften und die Wahrnehmung des Islam in der Bevölkerung.

Der SVR geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Neben diesen Stiftungen gehören ihm die Freudenberg Stiftung, die Robert Bosch Stiftung, der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, die Vodafone Stiftung Deutschland und die Bertelsmann Stiftung an.

Mehrheit verneint, dass der Islam zu Deutschland gehöre

Das Integrationsbarometer 2016, das Teil des SVR-Jahresgutachtens ist, untersuchte die Akzeptanz des Islam in Deutschland. Hier zeigt sich ein ambivalentes Bild, das bereits der Religionsmonitor 2015 der Bertelsmann Stiftung ergab. Die institutionelle Gleichstellung des Islam wird mehrheitlich unterstützt: 65 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund befürworten islamischen Religionsunterricht an Schulen. Auch ein Moscheebau in der Nachbarschaft wird überwiegend akzeptiert. Eine Mehrheit der Befragten ohne Migrationshintergrund von rund 53 Prozent verneint jedoch die Aussage, der Islam sei Teil Deutschlands, mit "gar nicht" oder "eher nicht". Rund 47 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund sehen das anders und  stimmen der Aussage mit "voll und ganz" oder "eher" zu.

Der Islam hat in Teilen der deutschen Bevölkerung noch immer mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen.

Im Integrationsbarometer wird überdies deutlich: Das Integrationsklima in Deutschland wird von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund weiterhin als "weitgehend freundlich" angesehen. Das Ergebnis entspricht der Schulnote "gut". Außerdem wurde gefragt, welche Aspekte für die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft als entscheidend eingeschätzt werden. Das Ergebnis ist überraschend: Die Zugehörigkeit zur Gesellschaft wird weit weniger an exklusive Kriterien wie die Geburt in der Bundesrepublik, deutsche Vorfahren oder die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche geknüpft, sondern vielmehr an die deutsche Staatsangehörigkeit. Das wichtigste Kriterium ist jedoch ein fester Arbeitsplatz. Integration durch Leistung gilt offensichtlich auch für die zugewanderte Bevölkerung.

Deutschland bei institutioneller Gleichstellung des Islam auf gutem Weg – doch viele Fragen sind weiter offen

Die institutionelle Gleichstellung des Islam ist in den letzten Jahren weit vorangeschritten. Dies gilt sowohl für die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen als auch für die Etablierung der islamischen Theologie an Hochschulen. Zu nennen sind auch die Vereinbarungen der Länder Hamburg und Bremen mit den islamischen Verbänden, in denen Aspekte der praktischen Religionsausübung wie beispielsweise religiöse Feiertage, Religionsunterricht, Bau von Gebetsstätten, Bestattungswesen, aber auch Fragen gemeinsamer Wertegrundlagen geregelt sind.

"Die rechtlich-institutionelle Integration des Islam ist viel weitreichender und erfolgreicher verlaufen als oft angenommen wird."

Prof. Christine Langenfeld, Vorsitzende des SVR

Andererseits fehlen nach wie vor die institutionellen Voraussetzungen, die für die Bildung einer Religionsgemeinschaft erforderlich sind. Nachdem von staatlicher Seite in den letzten Jahren einige Schritte unternommen wurden, sind aus Sicht des SVR nun die Akteure der islamischen Religionsgemeinschaften gefordert, einen Beitrag zur weiteren Institutionalisierung des Islam in Deutschland zu leisten.

Die im Jahresgutachten dargestellten Organisations- und Repräsentationsdefizite der islamischen Religionsgemeinschaften offenbart auch der Auf- und Ausbau islamischer Theologie an deutschen Hochschulen – ein zentrales Erfolgsprojekt der deutschen Islampolitik der letzten Jahre. Der SVR teilt die unter anderem von islamischen Hochschullehrern geäußerte Kritik an der Haltung der Verbände zu inhaltlich-theologischen und personellen Fragen bei der Besetzung von Lehrstühlen und an einem zu großen Verbandseinfluss.

Flüchtlinge in Deutschland

Rolle der Religion bei der Integration wird überschätzt

Das SVR-Jahresgutachten macht deutlich: Der Zusammenhang von Religion und Integration wird in der öffentlichen Debatte doppelt überschätzt. Dass individuelle Religiosität grundsätzlich die Teilhabe an Bildung und am Arbeitsmarkt erschwert, lässt sich nicht wissenschaftlich belegen. Zudem zeigt die empirische Forschung: Unterschiede beim Integrationserfolg verschiedener religiöser Gruppen sind nicht in erster Linie auf die Religionszugehörigkeit zurückzuführen. Der zentrale Faktor für Erfolg oder Misserfolg im Bildungssystem und am Arbeitsmarkt ist und bleibt der soziale Hintergrund.

Lesen Sie hier die vollständige Pressemitteilung des SVR.

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