Zwei Frauen stehen auf einer Treppe. Auf dieser kommt ihnen von unten eine dritte Frau entgegen.

EU-Vergleich: Deutscher Arbeitsmarkt gut für die Zukunft gerüstet

Arbeitsmarktpolitik zu gestalten stellt alle europäischen Regierungen vor große Herausforderungen. Dabei stehen sich der Wunsch nach stabilen und sicheren Jobs und die Forderung nach Flexibilität gegenüber. Unsere neue Studie hat die Durchlässigkeit der europäischen Arbeitsmärkte untersucht und verglichen. Deutschland scheint hier gut aufgestellt.

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Dr. Daniel Schraad-Tischler
Director

Lange galt er als starr und unflexibel, doch inzwischen gehört der deutsche Arbeitsmarkt zu den dynamischsten in Europa. Auch deshalb kam die Bundesrepublik vergleichsweise glimpflich durch die letzte Weltwirtschaftskrise und scheint für künftige Strukturwandel gut gerüstet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), das für uns die Durchlässigkeit europäischer Arbeitsmärkte untersucht hat. Beim Thema Durchlässigkeit des Arbeitsmarkts stehen unter anderem der Wechsel zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäftigung, befristete und unbefristete Beschäftigungsverhältnisse sowie die berufliche Mobilität im Fokus.

Eine höhere Dynamik als dem deutschen Arbeitsmarkt attestiert die Studie lediglich den Arbeitsmärkten der skandinavischen und baltischen Länder, während jene Frankreichs, Italiens und vieler südosteuropäischer Staaten als besonders unflexibel eingestuft werden. Vor allem hier wird ein hoher Bedarf an weiteren Arbeitsmarktreformen gesehen. Denn: Nicht nur das gesamtwirtschaftliche Umfeld bestimmt die Entwicklung einer Volkswirtschaft. Wie etwa Kündigungsschutz, Arbeitslosenversicherung und Qualifizierungsmaßnahmen gestaltet sind, hat großen Einfluss auf die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft. Auch die Perspektiven von Arbeitnehmern und Arbeitslosen hängen entscheidend von der Durchlässigkeit des nationalen Arbeitsmarkts ab.

EU: Befristetet Beschäftigten ist der Weg in dauerhafte Beschäftigung oft verbaut

Deutlich wird das im direkten Vergleich der Wirtschaftsnationen Deutschland und Frankreich. Hier genießen Arbeitnehmer einen vergleichsweise hohen Kündigungsschutz. Dies trägt dazu bei, dass die Hälfte aller Job-Einsteiger zunächst nur einen befristeten Arbeitsvertrag erhält. Doch während in Frankreich hoher Mindestlohn und starre Lohnsetzung hinzukommen, begleitet Deutschland den Kündigungsschutz mit flexibilisierenden Maßnahmen – was bei befristet Beschäftigten die Chancen auf eine unbefristete Anstellung erheblich erhöht. Hierzulande bekommen rund 36 Prozent von ihnen innerhalb eines Jahres einen unbefristeten Job. In Frankreich schaffen das nur knapp 11 Prozent – der geringste Wert in der EU.

In Deutschland ist zudem die berufliche Mobilität der Arbeitnehmer deutlich ausgeprägter als in den meisten anderen EU-Staaten. 8,4 Prozent der Beschäftigten wechseln jährlich die Stelle und die Wahrscheinlichkeit eines Berufswechsels liegt bei knapp 4 Prozent. In Frankreich sind die Wechselquoten nicht einmal halb so hoch. Mobiler als in Deutschland sind Arbeitnehmer nur in Estland, Großbritannien und Schweden.

"Die hohe Mobilität seiner Arbeitnehmer ist ein Zeichen dafür, dass Deutschland den Strukturwandel gut bewältigt und Herausforderungen wie der Digitalisierung gewachsen ist."

Aart De Geus, Vorsitzender des Vorstands der Bertelsmann Stiftung

Mix aus Flexibilität und Sicherheit entscheidend für gute Beschäftigungspolitik

Noch durchlässiger als in Deutschland sind die Arbeitsmärkte in Skandinavien und im Baltikum. Die skandinavischen Länder schaffen es im Gegensatz zu den baltischen Staaten allerdings, Durchlässigkeit mit höherer Jobsicherheit und niedrigerer Lohnungleichheit zu verbinden.

"Je flexibler, desto besser ist eine zu einfache Formel. Es kommt auf eine gesunde Balance zwischen Sicherheit und Flexibilität an. Eine gute Beschäftigungspolitik ist immer ein Gesamtkunstwerk."

Aart De Geus, Vorsitzender des Vorstands der Bertelsmann Stiftung

Die Studie zeigt: Auswirkungen einer über lange Zeit verfehlten Arbeitsmarktpolitik sind selten kurzfristig rückgängig zu machen. Spanien und Polen versuchten beispielsweise bis weit ins vergangene Jahrzehnt, ihren Arbeitsmarkt vorwiegend durch den Ausbau befristeter Beschäftigungsverhältnisse zu flexibilisieren. Zugleich blieb jedoch der hohe Kündigungsschutz unangetastet. Die Folge: Beide Länder liegen mit rund 28 und 24 Prozent befristet Beschäftigten nach wie vor weit über dem EU-Durchschnitt (14,6 Prozent im Jahr 2014). Außerdem gelingt dort nur vergleichsweise wenigen befristet Angestellten der Sprung in ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis. Diese Kombination aus hohen Befristungsquoten und geringen Aufstiegschancen erschwert es Ländern besonders, in einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs dauerhaft stabile neue Jobs zu schaffen.

Die komplette Studie finden Sie in der rechten Spalte. Ein neuer Policy Brief vertieft außerdem das Thema "Befristete Beschäftigung und Durchlässigkeit europäischer Arbeitsmärkte".