Die Skyline von Frankfurt am Main bei Nacht: Der Main, eine der Mainbrücken und dahinter die Wolkenkratzer in der Frankfurter Innenstadt.

Deutschland ist gut gerüstet für die Zukunft, aber wie lange noch?

Vor allem dank seinem robusten Arbeitsmarkt und seiner Vorbildrolle im Umweltschutz liegt Deutschland in puncto Zukunftsfähigkeit auf einem Spitzenplatz. Doch zunehmende Verteilungskonflikte und Schwächen bei der politischen Steuerungsfähigkeit trüben die Aussichten. Dies ergeben die Sustainable Governance Indicators (SGI), die die Regierungsführung in den OECD- und EU-Staaten bewerten.

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Kaum ein anderer Industriestaat hat sich mit Blick auf die eigene Zukunftsfähigkeit in den vergangenen zehn Jahren so positiv entwickelt wie Deutschland. Dies lässt sich auch am aktuellen SGI-Index ablesen: Die internationale Vergleichsstudie der Bertelsmann Stiftung bewertet anhand von 136 Indikatoren Regierungshandeln und Reformen aller 41 OECD- und EU-Staaten.

In der Gesamtwertung belegt Deutschland wie im letzten Jahr den 6. Platz und hat sich damit hinter den skandinavischen Ländern und der Schweiz als festes Mitglied der Führungsgruppe etabliert. Vergleichbare Industriestaaten hat Deutschland sogar klar überholt: Großbritannien (Platz 9), Frankreich (18), Japan (23) und sogar die größte Volkswirtschaft der Welt, die USA (26), folgen mit deutlichem Abstand.

Treiber für das gute Abschneiden Deutschlands in der Studie sind überzeugende Ergebnisse in den Bereichen Arbeitsmarkt und Umweltpolitik. Nachholbedarf gibt es dagegen in der Rentenpolitik, der wachsenden Ungleichheit und der strategischen Planungsfähigkeit der Regierung.

"Deutschland genießt mittlerweile eine Vorbildfunktion, vor allem dank eines starken Arbeitsmarktes. An aktuellen Problemfeldern wie der Rente und dem wachsenden Armutsrisiko wird sich zeigen, ob Deutschland auch zukünftig zum Vorbild taugt."

Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung

Spitzenwerte für den Arbeitsmarkt

Während viele OECD- und EU-Staaten noch immer mit den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise kämpfen, eilt der deutsche Arbeitsmarkt von einer Rekordmarke zur nächsten: 74 Prozent der Erwerbsbevölkerung in Deutschland haben einen Job. Dies ist der höchste Wert in der Nachkriegszeit. In Frankreich und Belgien dagegen liegen die Beschäftigungsquoten mit rund 64 und 62 Prozent deutlich niedriger. Zudem kann Deutschland mit der zweitniedrigsten Jugendarbeitslosenquote aller untersuchten Länder (hinter Japan) punkten. Eine Voraussetzung für den starken deutschen Arbeitsmarkt sind auch die guten Ergebnisse im Bereich Forschung und Entwicklung: mit der sechsthöchsten Zahl angemeldeter Patente verbucht das Land einen weiteren Erfolg für sich.

Auch im Bereich Umweltpolitik (5. Platz) lobt die Studie Deutschland als treibende Kraft. Im Vergleich zu anderen Industriestaaten ist Deutschland an besonders vielen internationalen und regionalen Umwelt- und Klimaschutzabkommen beteiligt. Zudem erreicht die Bundesrepublik nach Südkorea die zweithöchste Recyclingquote. Allerdings kritisiert die Studie Unsicherheiten bei der Gestaltung der Energiewende. So sei etwa zweifelhaft, ob die Klimaziele zur Reduktion der CO2-Emissionen tatsächlich erreichbar sind, da seit dem Atomausstieg wieder mehr Strom durch Braunkohlekraftwerke produziert wird.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie bezüglich Deutschland auf einen Blick. Sie finden diese Grafik rechts (beziehungsweise in mobiler Ansicht: unten) zum Download.

Aufholbedarf bei Rente, Armutsrisiko und politischer Steuerung

Deutliche Rückschritte gegenüber früheren Erhebungsrunden sieht die Studie insbesondere in der Rentenpolitik. Bei diesem Indikator verschlechtert sich Deutschland im Vergleich zu 2014 um zehn Plätze auf Rang 30. Grund sind laut den Studienautoren die Rentenreformen der Großen Koalition. Die Rente mit 63 weiche die Strukturreformen der letzten Jahre auf und sei ein falsches Signal, auch weil sie zu Lasten jüngerer Generationen gehe.

Überraschend mäßig schneidet Deutschland bei der Vermeidung von Armut und sozialer Ausgrenzung ab (21. Platz) – der guten Wirtschafts- und Beschäftigungslage zum Trotz. Das Armutsrisiko hat sich sogar wieder leicht erhöht. Insbesondere Alleinerziehende sind überproportional von Armut betroffen. Eine besondere sozialpolitische Herausforderung sieht die Studie zudem in der Integration von Flüchtlingen. Hier steigt das Risiko einer verstärkten Polarisierung in Politik und Gesellschaft, auch weil einzelne gesellschaftliche Gruppen die Flüchtlingsintegration immer stärker für Verteilungskämpfe instrumentalisieren.

Die Flüchtlingssituation hat laut Studienautoren eine weitere überraschende Schwachstelle des politischen Systems in Deutschland offengelegt. Deutschland belegt zwar ingesamt einen soliden zehnten Platz bei der Beurteilung seiner Reform- und Regierungsfähigkeit. Bei Planung und Organisation haperte es zuletzt jedoch: Erst nach mehreren Monaten Flüchtlingskrise, die von einem Kompetenz-Durcheinander zwischen Kanzleramt und Fachressorts geprägt waren, wurde im Kanzleramt eine zentrale Koordinierungsstelle eingerichtet. Obwohl im Koalitionsvertrag angekündigt, seien konkrete Ansätze zur Verbesserung der strategischen Steuerungskapazitäten der Regierung noch nicht in Sicht, so die Autoren der Studie. Dies könne sich langfristig negativ auf Deutschlands Zukunftsfähigkeit auswirken.