Ein Auszubildender arbeitet am Computer, vor und neben ihm stehen mehrere Bildschirme.

YouTube statt DVD – ansonsten kaum digitaler Fortschritt im Berufsschulalltag

Wenn am 1. August das Ausbildungsjahr beginnt, bleiben viele Stellen unbesetzt. Die Attraktivität und Qualität der Ausbildung könnte durch digitale Lernmedien steigen. Oft scheitert es jedoch an unzureichendem WLAN und an didaktischen Konzepten, wie unsere repräsentative Studie erstmals belegt.

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Verhaltene Modernisierung statt breiter Innovation: Berufsschule und Ausbildung hinken beim Thema Digitalisierung hinterher. Zwar hat das Youtube-Video die DVD abgelöst, zwar werden Unterrichtsmaterialien auch im PDF-Format statt als Fotokopie zur Verfügung gestellt. Doch viele Rektoren der Berufsschulen und Ausbildungsleiter in den Betrieben erkennen im Einsatz digitaler Lernhilfen weniger eine strategische Herausforderung als vielmehr einen Imagefaktor. Nur gut jede dritte Berufsschule hat überhaupt eine gute WLAN-Versorgung. Das geht aus dem "Monitor Digitale Bildung" der Bertelsmann Stiftung hervor, dessen erste Ausgabe digitales Lernen in der Berufsausbildung untersucht.

Die 1,34 Millionen Auszubildenden in Deutschland stehen der digitalen Welt sehr viel offener gegenüber als ihre Lehrer und Ausbilder. Berufsschüler setzen digitale Medien – Wikis, Video-Angebote, Chat-Dienste oder soziale Netzwerke – beim Lernen zu Hause wesentlich häufiger ein als im Unterricht oder im Betrieb. In Berufsschule und Betrieb hingegen werden lediglich Wikipedia und andere Wikis von einem nennenswerten Teil der Schüler angewendet. Einzig digitale Präsentationstools kommen im Unterricht häufiger als zu Hause zum Einsatz.

Viele Auszubildende wünschen sich von ihrer Berufsschule einen stärkeren Einsatz digitaler Medien. 93 Prozent der Berufsschüler sprechen sich für einen sinnvollen Mix aus digitalen und analogen Angeboten aus. 85 Prozent sagen, Lehrer sollten "häufiger etwas Neues mit digitalen Medien ausprobieren".

Innovation vor allem durch erfahrene Lehrkräfte

Demgegenüber setzen zwar 97 Prozent der Berufsschullehrer das Internet zur Recherche im Unterricht ein, doch nur maximal jeder dritte Lehrer oder Ausbilder nutzt Lernmanagementsysteme, Selbstlernprogramme oder digitale Medien zur Entwicklung eigenständiger Inhalte. Da verwundert es kaum, dass nur ein Drittel der Berufsschullehrer digitale Lerntechnologien als Möglichkeit sieht, zu besseren Lernergebnissen zu kommen.

Unter den Befürwortern finden sich vor allem erfahrene Lehrer. Nutzen etwa große Mehrheiten derjenigen mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung Software oder Wikis im Unterricht (77 beziehungsweise 70 Prozent), liegen diese Nutzungsquoten bei Kollegen mit weniger Erfahrung nur bei 56 und 37 Prozent – und das, obwohl sie zu den Digital Natives gezählt werden. Grund dafür: Berufseinsteigern fehlt die Zeit, sich mit digitalem Lernen zu befassen.

So bleiben Chancen gerade für benachteiligte Gruppen ungenutzt. 34 Prozent der Azubis mit Hauptschulabschluss geben an, dass digitales Lernen sie motiviert. Besonders beliebt bei ihnen: die eigenständige Gestaltung von Inhalten mit digitalen Mitteln (29 Prozent). Unter den Azubis mit Abitur sind beide Werte nur halb so hoch. Bislang verpassen Berufsschulen und Betriebe diese Gelegenheit für mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit. 

Imagefaktor oft wichtiger als strategische Schul- und Unterrichtsentwicklung

Die Mehrzahl der Berufsschulrektoren (62 Prozent) misst digitalen Lernformen strategische Bedeutung bei. Unter den Ausbildungsleitern in den Betrieben tun dies nicht einmal 30 Prozent. Erheblich höher ist die Zustimmung bei der Frage, ob der Einsatz digitaler Medien die Attraktivität der Schule und des Ausbildungsgangs steigere (86 und 58 Prozent). Dabei stehen Betriebe und Berufsschulen unter Druck, ihre Attraktivität zu erhöhen: 2015 sank die Zahl der neuen Azubis auf einen Tiefststand von 522.000, 41.000 Ausbildungsstellen blieben unbesetzt.

"Digitales Lernen ist weit mehr als ein Imagefaktor. Berufsschulen und Betriebe brauchen Strategien fürs digitale Zeitalter. Nur so können sie das Potenzial neuer Technologien für chancengerechte Bildung nutzen."

Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung

Innovation in der Berufsausbildung scheitert vor allem an mangelnden Kompetenzen und Ressourcen. Die Studie zeigt, dass viele Berufsschullehrer durchaus in die Weiterentwicklung ihres Unterrichts investieren. 92 Prozent geben an, sich im Selbststudium für den Einsatz digitaler Lernmedien weitergebildet zu haben. Es fehlt aber an Unterstützung: zahlreiche Lehrer und Ausbilder vermissen Orientierungshilfen im Angebot digitaler Lernhilfen, klagen über Zeitmangel und fehlende Anrechnung des Mehraufwands und bemängeln zu hohe Kosten für Lehrinhalte und Geräte.

Nur 38 Prozent aller Berufsschulen verfügen zudem über eine WLAN-Versorgung von guter Qualität; 40 Prozent aller Berufsschulen in Deutschland hingegen haben überhaupt kein WLAN. Dazu Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung: "Digitales Lernen braucht gute Infrastruktur und Qualifizierung. Ohne zuverlässiges WLAN kann pädagogische Innovation nicht funktionieren. Ohne Fortbildungen für Berufsschullehrer und Ausbilder bleibt zu viel Potential der Digitalisierung ungenutzt."