Blick auf Paris mit Eifelturm. Die Stadt liegt im Licht der aufgehenden Sonne.

Frankreich vor der Wahl: Wie geht's weiter in unserem Nachbarland?

Wer zieht in den Élysée-Palast ein? Am 7. Mai wählen die Franzosen in einer Stichwahl ihren nächsten Präsidenten. Die Wahl in einem der bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich wichtigsten Länder Europas hat Signalwirkung für den ganzen Kontinent. Wir blicken auf Wirtschaft, soziale Lage und globale Verflechtung unserer Nachbarn.

Die Republik Frankreich grenzt als eines von neun europäischen Ländern an Deutschland. Mit rund 67 Millionen Einwohnern ist sie nach der Bundesrepublik der bevölkerungsreichste Staat Europas und eine der wichtigsten Wirtschaftsnationen des Kontinents. Der französische Präsident ist das Staatsoberhaupt. Seit Mai 2012 bekleidet François Hollande von der sozialdemokratischen Parti Socialiste den Posten, kandidiert aber nicht für eine Wiederwahl. Somit ist der Weg frei für einen Nachfolger.

Um das höchste Amt im Staat bewarben sich elf Politiker. Traditionell wird in zwei Wahlgängen gewählt. Nach dem ersten Wahlgang am 23. April ist klar: Emmanuel Macron und Marine Le Pen gehen in die Stichwahl am 7. Mai. Macron, bis August 2016 französischer Wirtschaftsminister, tritt für die von ihm erst im letzten Jahr gegründete sozialliberale Partei En Marche! an. Le Pen kandidiert für den teils offen rechtsextrem agierenden Front National.

Wie auch immer die Wahl ausgeht - eines steht schon jetzt fest: Das traditionelle System, in dem sich Sozialdemokraten und Konservative an der Macht abwechselten, ist aufgebrochen. Die konservative Partei, die in der Vergangenheit mehrfach den Präsidenten stellte, schaffte es mit ihrem Kandidaten François Fillon ebenso wenig in die Stichwahl wie die regierenden Sozialdemokraten mit Benoît Hamon.

Im Lichte des ersten Wahlgangs präsentiert sich Frankreich als zerrissenes und zweifelndes Land. Auch wenn Macron in der Stichwahl die besseren Chancen eingeräumt werden, ist noch alles offen, kommentiert unser Europa-Experte Joachim Fritz-Vannahme.

Doch wie steht es kurz vor der endgültigen Wahl des neuen Präsidenten um Frankreichs Wirtschaft und Gesellschaft? Wir blicken auf die Fakten.

Hohe Jugendarbeitslosigkeit wird zum Dauerproblem

Frankreich ist eine der größten und wichtigsten Wirtschaftsnationen Europas. Erst vor kurzem übernahm der französische Autobauer Groupe PSA medienwirksam den deutschen Kfz-Hersteller Opel. Doch insgesamt gesehen lahmt die französische Wirtschaft seit langem – mit negativen Auswirkungen, wie unser Social Justice Index und unsere Sustainable Governance Indicators zeigen. Sie nahmen alle 28 EU-Staaten unter die Lupe und werteten aktuell verfügbare Daten von 2014 und 2015 aus. 

So hat sich Frankreich noch immer nicht von den Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 erholt und rangierte 2015 mit einer Beschäftigungsquote von rund 64 Prozent nur auf Rang 17 von 28 EU-Staaten. Außerdem wies das Land mit 10,4 Prozent eine der höchsten Arbeitslosenquoten in der Europäischen Union auf (2008: rund 7 Prozent). Nur sieben europäische Staaten hatten eine noch höhere Quote. In Sachen Langzeitarbeitslosigkeit lag Frankreich mit 4,6 Prozent europaweit im Mittelfeld.  

Für eine große Wirtschaftsnation wie Frankreich ist die Jugendarbeitslosigkeit eklatant hoch. 24,7 Prozent der jungen Franzosen hatten 2015 keinen Job (2008: rund 18 Prozent). Hier schnitten ebenfalls nur sieben EU-Staaten noch schlechter ab. Zum Vergleich: In Deutschland und den Niederlanden, wo ebenfalls in diesem Jahr gewählt wurde oder wird, lag die Jugendarbeitslosenquote bei 7,2 und 11,3 Prozent.

Und auch wer in Frankreich Arbeit findet, steht oft vor einer unsicheren Zukunft, denn aktuell hat ein Großteil der Menschen, die neu eingestellt werden, einen befristeten Arbeitsvertrag. Vor allem viele junge Franzosen hangeln sich von einem befristeten Arbeitsverhältnis zum nächsten.

Wer also auch immer Präsident wird: Es wartet die Mammutaufgabe, die Wirtschaft wieder ins Rollen zu bringen und die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken. Wie wollen die Präsidentschaftskandidaten dies anstellen? Das haben wir jüngst in einer Analyse untersucht.

Ein alarmierender Wert: Bei der Jugendarbeitslosigkeit belegt Frankreich unter allen 28 EU-Staaten nur Rang 21.

Französischer Wohlfahrtsstaat beugt Armut noch vergleichsweise gut vor

Unsere Nachbarn verfügen über einen gut entwickelten Wohlfahrtstaat. So sorgen beispielsweise umfangreiche Kinderbetreuungsangebote und Elternzeitregelungen dafür, dass Frankreich im Bereich der Familienpolitik europaweit einen Spitzenplatz einnimmt. Und auch wenn es darum geht, Armut vorzubeugen und zu bekämpfen, wirken die bestehenden Strukturen.

So ist in Frankreich eine Reihe von Menschen arm oder von Armut bedroht. Doch es gelingt dem französischen Staat vergleichsweise gut, Armut entgegenzuwirken. 2015 waren 17,7 Prozent der Franzosen armutsgefährdet – der fünftniedrigste Wert in der Europäischen Union. Außerdem hatte Frankreich mit 9,3 Prozent die EU-weit drittniedrigste Altersarmutsquote – deutlich geringer als hierzulande (etwa 17 Prozent). Daneben wies es mit 21 Prozent die achtniedrigste Kinder- und Jugendarmutsquote auf.

Das ist dennoch ein hoher Wert und generell sind jüngere Franzosen derzeit stärker armutsgefährdet als ältere – was zusammen mit der hohen Arbeitslosigkeit die Armutsquote künftig in die Höhe schießen lassen könnte. Ebenfalls einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Bürger mit Migrationshintergrund. Außerdem ist keinesfalls sicher, ob es unseren Nachbarn auch künftig gelingt, Armut so gezielt entgegenzuwirken wie bisher, denn das französische Wohlfahrtsmodell ist sehr kostenintensiv.

In kaum einem anderen EU-Staat hängt der Zugang zu Bildung so sehr von der sozialen und ethnischen Herkunft ab

Ob junge Franzosen eine gute Schulbildung bekommen und eine Universität besuchen können, hängt noch immer viel zu stark von ihrer sozialen und ethnischen Herkunft ab. Insbesondere Kinder aus der Arbeiterschicht und aus Einwandererfamilien sind oft benachteiligt. Das ist zwar auch in vielen anderen Ländern der Europäischen Union ein großes Problem. Im Vergleich schneidet Frankreich aber besonders schlecht ab. Vor allem der Zugang zu Unis und den grande écoles, den Elitehochschulen, ist in kaum einem EU-Staat so rigide geregelt wie in Frankreich. Kinder aus unteren Einkommensschichten und aus Migrantenfamilien schauen hier meist in die Röhre.

Integration steckt in der Sackgasse

Frankreich ist traditionell ein Einwanderungsland. Aktuell haben rund 30 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Die Vorfahren dieser Franzosen stammen vor allem aus den ehemaligen Kolonien in Afrika, Asien und Südamerika sowie aus den Nachbarstaaten Portugal und Spanien. Doch das französische Modell der Égalité, nach dem alle Bürger unabhängig von Herkunft und Religion gleich zu behandeln sind, hat seine Bindekraft verloren. Unterm Strich gelingt es oft nicht, die zweite und dritte Einwanderergeneration gut in die Gesellschaft zu integrieren. Das starre Bildungssystem lässt zu viele junge Franzosen mit Migrationshintergrund zurück. Was folgt ist immer wieder ein Teufelskreislauf: Mangels entsprechender Bildung gibt es keine Arbeit und so fehlt eine gute Lebensperspektive.

Mittlerweile leben mehrere Einwanderergenerationen in Frankreich - nicht zuletzt aus den französischen Überseegebieten stammend.

Massive Staatsverschuldung und hohe Steuern schlagen aufs Gemüt

Neben der hohen Arbeitslosigkeit, dem undurchlässigen Bildungssystem und den großen Integrationsproblemen drückt Frankreich noch in weiteren zentralen Bereichen der Schuh: Der französische Staat ist stark verschuldet – und in den letzten Jahrzehnten wurde das Defizit immer größer. Zugleich werden den Franzosen hohe Steuern abverlangt. Doch die staatlichen Ausgaben deckt das bei weitem nicht. So ist es kaum verwunderlich, dass unsere Nachbarn in den Bereichen Haushalt und Steuerpolitik europaweit zu den Schlusslichtern gehören. Statt Reformen, die das Steuersystem gezielt strategisch neu ausrichten, dominierten zuletzt immer wieder Schnellschüsse und Ansätze, die einzelne Gruppen begünstigten.

Mehrheit der Franzosen fürchtet die Folgen der Globalisierung

Als ehemalige Kolonialmacht in Afrika, Asien sowie Süd- und Nordamerika ist Frankreich seit je her global orientiert und gehört heute zu den weltweit führenden Handelsnationen. In Europa arbeiten die Franzosen seit den 1950er Jahren politisch und wirtschaftlich besonders eng mit Deutschland, Italien, den Niederlanden, Belgien und Luxemburg zusammen. Die Bundesrepublik ist der mit Abstand wichtigste europäische Handelspartner der Franzosen. Von Beginn an waren unsere Nachbarn an allen wichtigen Schritten hin zur heutigen EU beteiligt. So geht beispielsweise die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) im Jahr 1951 auf Pläne des damaligen französischen Außenministers Robert Schuman zurück und Frankreich gehörte zu den Unterzeichnern der "Römischen Verträge", die vor kurzem 60-jähriges Jubiläum feierten.

Doch derzeit fürchtet eine Mehrheit der Franzosen die Folgen der Globalisierung, wie unsere Europa-Umfrage "eupinions" zeigt: Rund 54 Prozent sehen sie als "bedrohlich" an. Damit sind die Franzosen im EU-Vergleich mit am globalisierungsskeptischsten eingestellt.

Unter allen Anhängern und Wählern der französischen Parteien sind Globalisierungsängste beim teils offen rechtsextrem auftretenden Front National (FN) mit Abstand am stärksten ausgeprägt. Rund 76 Prozent der FN-Sympathisanten empfinden die Globalisierung und ihre Folgen als Bedrohung. So passt es ins Bild, dass im Präsidentschaftswahlkampf von Marine Le Pen islamfeindliche Hetze, scharfe Töne gegen alle Einwanderergruppen und anti-europäische Rhetorik bestimmend sind. Raus aus dem Euro und zurück zum Franc, weg von EU, Schengen-Raum und NATO und stattdessen "Frankreich zuerst". Der FN träumt nach dem "Brexit" vom "Frexit".

Für die einen Chance, für die anderen eher bedrohlich: Die Globalisierung und ihre Folgen lösen in der EU gemischte Gefühle aus. Die Franzosen gehören mehrheitlich zu den Globalisierungsskeptikern.

Wachsender Teil der Franzosen steht der EU kritisch gegenüber

Neben der Globalisierung wird auch die EU von Teilen der Franzosen kritisch gesehen. Obwohl Frankreich zu den Gründernationen der heutigen Europäischen Union gehört, sind die Zustimmungswerte zu ihr vergleichsweise niedrig. Seit 2015 sanken sie kontinuierlich von über 70 Prozent auf mittlerweile 63 Prozent - der zweitschlechteste Wert unter den EU-Staaten, wie Daten aus unserer Europa-Umfragereihe "eupinions" zeigen.

Frankreich ist stärker global vernetzt als Deutschland

Unser aktueller Globalisierungsreport untersuchte weltweit, inwiefern sich Staaten im Zeitraum von 1990 bis 2014 global wirtschaftlich und politisch vernetzten. Die Analyse und ein Factsheet zu Frankreich mit Daten aus dem Report zeigen: Unsere Nachbarn sind weltweit verflochten und heute global sogar besser verankert als Deutschland und die USA. Das führte dazu, dass das reale Bruttoinlandsprodukt jährlich pro Einwohner um 650 Euro höher ausfiel als ohne voranschreitende Globalisierung. Durchschnittlich profitierten die französischen Konsumenten also davon, dass sich ihr Land weiter global vernetzte. Bei der anstehenden Wahl sollte das zu denken geben.

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