Viele Menschen laufen über ein graues Innenstadtpflaster, auf dem Umrisse Europas zu sehen sind.. Das Foto wurde von oben aus der Vogelperspektive aufgenommen.

EU arbeitet sich aus der Krise

Die Talfahrt an Europas Arbeitsmärkten ist gestoppt. Fast zehn Jahre nach Ausbruch der Wirtschaftskrise geht es endlich wieder leicht bergauf in Sachen sozialer Gerechtigkeit. Probleme bleiben trotzdem: In Südeuropa sind noch immer viele junge Menschen arbeitslos. In Deutschland brummt der Arbeitsmarkt, doch die Wohlstandsgewinne kommen nicht überall an.

In der EU geht es nach Jahren der Abwärtsbewegung wieder etwas sozial gerechter zu: Weil sich die Arbeitsmärkte erholen, sind weniger Menschen in Europa ohne Job, von Armut bedroht und sozial ausgegrenzt – das zeigt unser Social Justice Index 2017, der in 28 EU-Staaten verschiedene Dimensionen sozialer Gerechtigkeit untersucht. Nachdem im Jahr 2013, dem Höhepunkt der sozialen Krise, noch 11 Prozent der Europäer arbeitslos waren, sind es 2016 nur noch 8,7 Prozent.

Doch die Länder erholen sich in Sachen sozialer Gerechtigkeit unterschiedlich schnell: Die Kluft zwischen Nord- und Südeuropa ist weiterhin groß. Gerade in Südeuropa sind Kinder und Jugendliche noch besonders stark von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Deutschland gehört dagegen zwar wirtschaftlich gesehen zu den absoluten Spitzenreitern. Doch auch hier ist das Risiko, von Armut betroffen zu sein, immer noch zu hoch und auch der Zugang zu Bildung bleibt ungerecht verteilt.

Arbeitsmarkt erholt sich und sorgt für mehr soziale Gerechtigkeit

Am besten stehen laut unserem Social Justice Index die skandinavischen Länder Dänemark, Schweden und Finnland da. Griechenland bleibt trotz leichter Verbesserungen das Schlusslicht. Dass sich seit der Krise erstmals ein positiver Trend einstellt, ist vor allem dem Arbeitsmarkt zu verdanken. Mehr als zwei Drittel der erwerbsfähigen EU-Bürger haben mittlerweile einen Job.

Der Social Justice Index zeigt an, wie gerecht es in Europa zugeht. Je höher die Index-Zahl, desto besser steht das Land da.

Erfreulich ist zudem, dass auch die Krisenländer leicht vom Aufwärtstrend profitieren. Jedoch sind die Zahlen insgesamt dort immer noch besorgniserregend: In Griechenland ist die Arbeitslosigkeit von 27,7 (2013) auf immer noch hohe 23,7 Prozent (2016) zurückgegangen – in Spanien zeigt sich ein ähnliches Bild (von 26,2 auf 19,7 Prozent). Auch die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa ist zwar leicht gesunken. Dennoch ist in Griechenland, dem Schlusslicht in dieser Kategorie, noch fast die Hälfe aller erwerbsfähigen Jugendlichen arbeitslos. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 7,1 Prozent. 

"EU-weit ist nun politische Führung gefragt. Sie muss einen verlässlichen Rahmen schaffen, sodass alle vom Aufwärtstrend profitieren können. Vor allem die Jugendlichen dürfen nicht alleine gelassen werden."

Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung

Armutsrisiko sinkt leicht, Nord-Süd-Gefälle bleibt

Weil mehr Menschen in der EU einen Job haben, sind weniger von ihnen von Armut bedroht und sozial ausgegrenzt. Die Zahl ist allerdings nur leicht um rund einen Prozentpunkt gesunken, sodass immer noch rund 117,5 Millionen Menschen von dieser misslichen Lage betroffen sind. Zudem treten einige der südlichen Krisenstaaten weiterhin auf der Stelle: In Griechenland drohen noch immer mehr als einem Drittel der Bevölkerung Armut oder soziale Ausgrenzung, in Spanien und Italien sind es etwas weniger als ein Drittel.

Vor allem Kinder und Jugendliche leiden unter diesen Umständen: Rund 25 Millionen von ihnen sind in Europa von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. In Ländern wie Griechenland und Spanien, liegt dieser Anteil trotz eines leichten Rückgangs noch immer bei 37,5 beziehungsweise 32,9 Prozent. Es gibt jedoch Grund zur Hoffnung: Die Kluft zwischen Nord- und Südeuropa könnte sich zukünftig verringern, wenn sich der Arbeitsmarkt weiterhin erholt.

In der Mehrheit der Mitgliedstaaten zeigen sich im Vergleich zu den letzten Jahren auch Verbesserungen der Bildungschancen. So ist etwa der Anteil von Schülern, die die Schule vorzeitig verlassen, EU-weit gesunken: von 14,7 Prozent im Jahr 2008 auf 10,7 Prozent 2016.

Die EU entwickelt sich in zwei Geschwindigkeiten: Südeuropa leidet noch stark unter der Wirtschaftskrise, während der Norden gut dasteht.

Licht und Schatten in Deutschland

Deutschland gehört, wie auch in den vergangenen Jahren, zur erweiterten Spitzengruppe und kommt im Gerechtigkeitsindex auf Rang sieben. Zu Deutschlands Stärken zählt insbesondere der Arbeitsmarkt: Die Bundesrepublik hat EU-weit die geringste Jugendarbeitslosigkeit (7,1 Prozent) und kommt auch bei der Gesamtbeschäftigungsquote (74,7 Prozent), der allgemeinen Arbeitslosenquote (4,2 Prozent) oder der Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer (68,6 Prozent) immer unter die Top Vier in der EU. Doch nicht alles sieht hier so rosig aus: Rund 41 Prozent aller Arbeitslosen in Deutschland sind langzeitarbeitslos. Auch haben es Arbeitnehmer mit ausländischem Geburtsort deutlich schwerer, in der Bundesrepublik Arbeit zu finden, als Menschen, die hier geboren sind (Rang 23 im EU-Vergleich).

Ein gemischtes Bild zeigt sich im Bildungsbereich. Hier ging es in den letzten zehn Jahren zwar etwas voran in Sachen Chancengerechtigkeit. So hat sich etwa der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg verringert, ist aber im EU-Vergleich immer noch relativ stark (Rang 17 im Vergleich zu Rang 23 im Jahr 2006). Einiges zu tun gibt es zudem, wenn es darum geht, den Wohlstand gerecht zu verteilen: „Obwohl Deutschlands Wirtschaft brummt und die Arbeitslosigkeit auf einem historischen Tiefststand ist, scheinen die Wohlstandsgewinne nicht bei allen Menschen anzukommen“, so Studienleiter Daniel Schraad-Tischler.

Schwächen und Stärken - Während Deutschland auf dem Arbeitsmarkt Spitzenplätze besetzt, sind weiterhin viele Menschen von Armut bedroht.

Die Altersarmut steigt in der Bundesrepublik

Das Armutsrisiko hat sich in den letzten Jahren kaum verringert. Der Anteil der Menschen, die von Einkommensarmut bedroht sind, ist 2016 im Vergleich zum Vorjahr mit 16,5 Prozent nahezu gleich geblieben. Bei den Älteren zeigt sich sogar ein negativer Trend: 17,6 Prozent von ihnen sind von Altersarmut bedroht – im Jahr 2010 waren es dagegen noch 14,1 Prozent. Gerade für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte sowie Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiographien werde das Armutsrisiko im Alter weiter steigen, so die Autoren. „Langfristig orientierte Politikansätze, die sowohl die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest machen als auch die Beschäftigungsfähigkeit der Risikogruppen verbessern, sind derzeit jedoch kaum in Sicht“, betont Schraad-Tischler.

Die komplette Studie mit weiteren Daten zu allen 28 EU-Mitgliedsstaaten finden Sie hier (auf Englisch) und unter www.sgi-network.org.

Eine deutsche Zusammenfassung der Studienergebnisse haben wir hier für Sie zusammengestellt.