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Wie können besonders belastete Eltern in der Corona-Krise erreicht werden?

Geburtsvorbereitungskurs, Kindergymnastik, Seminar zur Elternkompetenz – all die Dinge, die Familien unterstützen und entlasten sollen, finden in Zeiten von Corona gar nicht oder nur sehr eingeschränkt statt. Manche Angebote lassen sich ins Internet verlegen – aber Geburtsvorbereitung per Zoom ist irgendwie doch nicht das Gleiche. Zudem verfügen nicht alle Familien über einen Netzzugang und entsprechende Endgeräte. Das betrifft vor allem von Armut betroffene Familien, die derzeit noch zusätzlich belastet sind.

 

Präventive Angebote erreichen belastete Familien auch in normalen Zeiten nur begrenzt

Schon zu „normalen“ Zeiten ist es für Veranstalter präventiver Angebote oft nicht leicht, belastete Familien zu erreichen – das sogenannte „Präventionsdilemma“: Viele Familien in schwierigen Lebenssituationen, die einen hohen Präventionsbedarf haben, nehmen nie oder sehr selten stärkende und fördernde Angebote wahr. Im Werkstattbericht „In Typen denken – Muster der Inanspruchnahme präventiver Angebote“ des Projekts „Kein Kind zurücklassen!“ haben der Autor und die Autorin sich gefragt, warum das so ist, und unterschiedliche Arten von Angeboten darauf untersucht, wie sozial selektiv sie sind.

 

Angebote sind unterschiedlich gut zugänglich

Was ist eigentlich ein präventives Angebot? In der Untersuchung werden darunter Angebote zusammengefasst, die grundsätzlich allen Familien offenstehen und die freiwillig besucht werden. Am meisten nutzen Familien medizinische und informierende Angebote während der Schwangerschaft und mit Kleinkindern – diese kommen nahezu bei allen Familien an. Anders sieht es bei Kurs- und Gruppenangeboten aus, wie z. B. Eltern-Kind-Kursen. Diese sind teils kostenpflichtig sowie mit verbindlicher Anmeldung und erreichen Familien mit Belastungen oder Risiken deutlich schlechter.

Beratende und begleitende Angebote – wie etwa die Erziehungsberatung, die kostenlose Unterstützung bei familienbezogenen Problemen bietet – werden zwar insgesamt von weniger Menschen in Anspruch genommen, erreichen aber junge Familien mit vielfältigen Sorgen und Problemen doppelt so gut wie den Durchschnitt der Familien (14 % im Vergleich zu 7 % der Familien mit dreijährigen Kindern). Und es gibt dabei noch ein weiteres wichtiges Merkmal: Die Teilnahme hängt nicht nur von den familiären Ressourcen ab, sondern auch davon, wie Familien ihre Problemlage wahrnehmen und ihre Lebenssituation einschätzen.

 

Was hilft: Familiäre Ressourcen stärken und vom Typ her planen

Bei der Planung von Angeboten ist es daher wichtig, die familiären Ressourcen zu berücksichtigen. Dass die Angebote gut erreichbar sind – etwa mit öffentlichen Verkehrsmitteln – und vermittelt werden durch Vertrauenspersonen (z. B. die Gynäkologin oder den Kinderarzt), sind nur zwei Ansatzpunkte, um ohnehin belastete Familien zu erreichen. Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben in dem Projekt „Kein Kind zurücklassen!“ gute Lösungen dafür entwickelt und ausgebaut.

Weniger im Fokus steht bislang die Sicht von Familien auf ihre eigene Lebenssituation. Familien, die oft über lange Zeit Mehrfachbelastungen ausgesetzt sind, erleben ihre objektiv belastete Situation als „normal“ und unabänderlich. Sie nehmen Angebote nicht nur aufgrund fehlender Ressourcen nicht wahr, sondern auch, weil ihnen die Überzeugung fehlt, an ihrer Situation etwas positiv verändern zu können. Dagegen steht ein Familientyp mit ausgeprägtem Problembewusstsein, der auch bei objektiv geringer Belastung auf familiäre Ressourcen zurückgreift und präventive Angebote aktiv annimmt.

In der Typologie des Werkstattberichts wird der zuerst genannte Familientyp als problemtolerant beschrieben – ich fände „die Ohnmächtigen“ treffender. Dagegen steht der problemsensible Familientyp, der auch als „die Besorgten“ bezeichnet werden könnte. Ein weiterer Typ sind „die Problembewussten“, denen es vor allem an Ressourcen fehlt, um Angebote im gewünschten Umfang wahrzunehmen.

 

„In Typen denken“ –die Sicht der Familien mit berücksichtigen

Diese Unterscheidung kann bei der kommunalen Angebotsplanung – gerade auch in Zeiten von Corona – nützlich sein. In dieser außergewöhnlichen Zeit haben sich Tagesstrukturen und Abläufe von Familien ohnehin grundlegend verändert. Vielleicht eine gute Zeit, um insbesondere „die Problembewussten“ und „die Ohnmächtigen“ gezielt anzusprechen.

Für die „Problembewussten“ muss der Zugang möglichst ressourcenschonend (z. B. kostenfrei) sein und über Gelegenheitsstrukturen vermittelt werden. D.h. die Ansprache kann über  soziale Netzwerke, Kinderärzt*innen, Lehrkräfte, Erzieher*innen, ggf. auch in der Notbetreuung erfolgen etc.

Die „Ohnmächtigen“ lassen sich nur über eine niedrigschwellige, persönliche Ansprache erreichen – sie entwickeln wenig Eigenaktivität. In der Konsequenz bedeutet das: Diese Familien und/oder ihre Kinder müssen jetzt aktiv persönlich kontaktiert und beispielsweise zu Sommerferienangeboten eingeladen und ggf. auch abgeholt werden.

Für diese beiden Familientypen braucht es also ganz unterschiedliche Konzepte und Ideen – die in Zeiten von Corona wichtiger denn je sind!

 

Beschreibung der Elterntypen

 

 

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