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Qualifizierung

Transfergesellschaft: Sprungbrett oder Verwahranstalt?

Transfergesellschaften haben einen schlechten Ruf. Doch sie könn(t)en mehr als man ihnen zutraut. Nicht zuletzt mit dem §111a SGB III haben sich die Bedingungen für Qualifizierung im Transfer deutlich verbessert.

Illustration Transfergesellschaft
Transfergesellschaften: Nicht zuletzt auf die Rahmenbedingungen kommt es an. | © HBS

Transfergesellschaften stehen für die geordnete Abwicklung von Betriebsstilllegungen, Insolvenzen und Massenentlassungen. Sie haben viele Vorteile für die betroffenen Beschäftigten, kranken aber an einem schlechten Ruf und gelegentlich auch an tatsächlich ungeeigneten Rahmenbedingungen. Sie markieren i.d.R. den Endpunkt einer unglücklichen wirtschaftlichen Entwicklung, sind allzu häufig mit „heißer“ Nadel gestrickt und versuchen z.T. offensichtlich widersprüchliche und auch weniger offensichtliche Interessenlagen bei knappen Budgets zu vermitteln. Die dahinterstehenden Transfersozialpläne verteilen die freigegebenen Mittel z.B. gerne direkt über Abfindungen oder sogenannte „Sprinter-Prämien“. Dies und auch die übrigen Rahmenbedingungen erschweren den beruflichen Wiedereinstieg vor allem bei jenen Arbeitnehmergruppen, die keine oder veraltete Qualifikationen besitzen, ein höheres Lebensalter oder Behinderungen aufweisen. „Heiße Nadeln“, unklare Finanzierungsmöglichkeiten (insbesondere bei verschiedenen Beteiligten wie aktuell im Fall Air Berlin) und unzureichende Informationen über die Optionen führen zu Transferkonstruktionen, die den tatsächlichen arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen nicht gerecht werden. Und dann ist es auch kein Wunder, dass das Ganze „schlechte Presse“ mit sich bringt.

§111a SGB III verbessert die Förderbedingungen für Qualifizierungen

Eine neue, bei der Hans Böckler Stiftung veröffentlichte Studie zeigt, welche Qualifizierungsmöglichkeiten im Rahmen von Transfergesellschaften bestehen. Sie soll dazu beitragen, zukünftig bessere Transfersozialpläne abzuschließen. Der Zeitpunkt ist günstig, denn die Qualifizierungsmöglichkeiten im Transfer haben sich aus unserer Sicht mit einer Veränderung im Sozialgesetzbuch III deutlich verbessert. Eine wesentliche Restriktion der vergangenen Jahrzehnte war es, dass abschlussbezogene Qualifizierung, z.B. in Form von beruflicher Nachqualifizierung von An- und Ungelernten, u.a. aufgrund der kurzen Laufzeit von maximal einem Jahr nicht möglich war. Das ist mit der Einführung des § 111a SGB III im Sommer 2016 anders geworden. Die von Gernot Mühge (Helex Institut/ Bochum) verfasste Studie untersucht Ansatzpunkte, Grenzen und geeignete Zielgruppen von Ausbildungsmodulen im Rahmen von Transfergesellschaften. 

Cover Study Transfergesellschaft

G. Mühge (2017) Qualifizierung und Teilqualifizierung in Transfergesellschaften

Reihe: Study der Hans-Böckler-Stiftung, Bd. 371. 
Düsseldorf:  2017, ISBN: 978-3-86593-281-5
52 Seiten

Ansprechpartner: Jan Giertz

Transfergesellschaften sind historisch eng mit der mitbestimmten Personalarbeit verbunden. Die Anfänge dieses arbeitsmarktpolitischen Instruments liegen u.a. in der saarländischen Stahlindustrie. Einer der größten Dienstleister in diesem Bereich ist im Zuge des Strukturwandels im Ruhrgebiet entstanden. In diesem Kontext hatte man zunächst auch die Bezeichnung Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft verwendet. Nicht zu Unrecht, denn es ging vor allem darum, Menschen mental und qualifikatorisch auf (für sie) neue Anforderungen des Arbeitsmarktes vorzubereiten. Die Hürde war hoch für die freigesetzten Beschäftigten aus der Stahlindustrie und dem Bergbau, weil ihre Qualifikationen häufig außerhalb dieser Branchen nicht benötigt wurden.

Ohne eine enge Begleitung und Qualifizierung droht ein Abstieg

Heute gilt ähnliches für die Gesamtwirtschaft. Trotz sogenanntem „Fachkräftemangel“ führt erzwungener Beschäftigungswechsel zu einer realen Entwertung der Qualifikation. Gerade in Zeiten des disruptiven Wandels der Arbeitswelt gilt, ähnlich wie in Zeiten des Transfers großer Beschäftigtengruppen aus dem Montanbereich in andere Wirtschaftssektoren und Branchen, dass die betroffenen Menschen ohne passende Qualifizierungsmaßnahmen berufliche Abstiege erleben. Mit anderen Worten: Transfer (um jeden Preis) führt arbeitsmarktpolitisch in die Sackgasse und ist häufig mit prekärer Beschäftigung (z.B. in der Zeitarbeit), Abstiegen sowie weiterer Dequalifizierung verbunden. Menschen, die heute ihr Beschäftigungsverhältnis verlieren, brauchen eine enge Begleitung und Qualifizierung – am besten unmittelbar nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes. Transfergesellschaften bieten sich hier aus verschiedenen Gründen an. Sie bieten gezielte Unterstützung bei der beruflichen Neuorientierung, Stellensuche und Bewerbung in einem geschützten und konfliktarmen Umfeld. Notwendige Qualifizierung kann viel enger an den Bedürfnissen des (Noch-)Beschäftigten ausgerichtet werden als z.B. im Kontext der Arbeitsagentur. Zudem müssen Transfergesellschaften seit Inkrafttreten des Beschäftigungschancengesetzes am 1.1.2010 einen Betreuungsschlüssel von maximal 1:50 sicherstellen. 

Ob die neue Regelung im § 111a SGB III in der Transferpraxis angenommen wird, muss sich allerdings noch zeigen. Transferträger berichten von aufwendigen Antragsverfahren, insbesondere da die Wohnortarbeitsämter der betroffenen Beschäftigten zuständig sind. Transferträger haben es also mit mehreren und unterschiedlich gut informierten Ansprechpartnern zu tun. Die zugewiesenen Mittel liegen im Ermessenspielraum der Agenturen und unterschieden sich z.T. stark. Kein Wunder, dass in Nordrhein-Westfalen seit Sommer 2016 monatlich nie mehr als 16 Anträge für Qualifizierungsmaßnahmen nach §111a SGB III gestellt worden sind. Bei der formalen Abwicklung gibt es also „Luft nach oben“. Die aktuelle Böckler-Study leistet ihren Beitrag zur Optimierung des an sich erfolgversprechenden und zukunftsträchtigen Instrumentes Transfergesellschaft. 

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