An einem Ortseingang zeigt ein Schild, dass der Ort eine "Gemeinde Europas" ist, die mit einer französischen Gemeinde verschwistert ist.

Deutsch-französische Städtepartnerschaften bringen Europa zu den Bürgern

Ein internationales Basketballturnier in Reutlingen oder ein Schüleraustausch in Nantes – Städtepartnerschaften sollen Europa abseits der politischen Bühne zum Leben erwecken. Doch eines der zentralen Gründungsmotive, die Aussöhnung nach dem 2. Weltkrieg, spielt für junge Generationen kaum noch eine Rolle. Wie zeitgemäß und wirkungsvoll sind diese Partnerschaften heute noch? Unsere Studie gibt Antworten.

1950 entstand zwischen Ludwigsburg und Montbéliard die erste deutsch-französische Städtepartnerschaft. Dieses Modell hat über die Stadtgrenzen hinaus Schule gemacht: Rund 20.000 Städtepartnerschaften gibt es heute in Europa, rund 2.200 Partnerschaften existieren allein zwischen Deutschland und Frankreich. Dass dieses Modell die europäische Zusammenarbeit auch in Zeiten von Wirtschaftskrisen und Europaskepsis lebendig hält, zeigt eine Studie, die wir gemeinsam mit dem Deutsch-Französischen Institut (dfi) erstellt haben. Für die Studie haben 1.322 Städte und Kommunen in Deutschland und Frankreich an einer Umfrage zu ihrer Städtepartnerschaft teilgenommen.

Knapp zwei Drittel der Teilnehmer geben an, dass ihre Städtepartnerschaften stabil sind oder an Intensität gewonnen haben. Auffallend ist: Die Städtepartnerschaften erreichen durch Freizeitangebote wie Sport oder Kulturprogramme viele Jugendliche und breite Bevölkerungsgruppen, die im Alltag kaum Berührungspunkte mit Europapolitik haben. Dennoch sorgen sich viele Teilnehmer der Studie um den ausbleibenden Nachwuchs für ihre Programme.

Unser Vorstandsvorsitzender Aart De Geus sieht in den Partnerschaften ein wichtiges Fundament der europäischen Einigung, das weiterhin gefördert werden sollte:

"Die Städtepartnerschaften bringen Europa aus den Podiumsrunden der Hauptstädte direkt zu den Menschen."

Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung

Sie schafften damit, so De Geus weiter, woran Politiker zwischen Paris und Berlin oft verzweifelten: "Europäer zusammen zu bringen und die EU im wahrsten Sinne zum Leben zu erwecken." Frank Baasner, Direktor des Deutsch-Französischen Instituts, betont: "Wir müssen uns klar machen, dass die Städtepartnerschaften das einzige Instrument sind, mit dem wir im Prinzip die ganze Bevölkerung erreichen können. Die Städtepartnerschaften sind die Keimzellen europäischer Begegnungen."

Städtepartnerschaften erreichen breite Bevölkerungsgruppen

Rund drei Viertel der Befragten geben an, dass die Partnerschaften in ihren Verwaltungen einen hohen Stellenwert besitzen und bewerten die Beziehungen zur Partnerstadt als sehr gut. Am häufigsten besteht der Austausch in regelmäßigen Reisen anlässlich von Festen und Veranstaltungen, die in 77 Prozent aller Partnerschaften stattfinden, sowie Schüleraustauschen (62 Prozent) und Musik- und Sportveranstaltungen (41 und 44 Prozent).

Dass die Städtepartnerschaften so erfolgreich und lebendig sind, liegt in den Augen der Studienmacher vor allem an der großen Bandbreite der gemeinsamen Themen und Aktivitäten. "Viele Teilnehmer finden den Zugang zu einer Städtepartnerschaft eher über ihr Hobby oder Neugier auf andere Menschen, als durch ihr übergeordnetes Interesse an Europa", erklärt unsere Europaexpertin und Studienleiterin Céline Diebold. Nur jeder zehnte Befragte gibt an, dass vorrangig Menschen mit höherem Bildungsabschluss an städtepartnerschaftlichen Programmen teilnehmen. Über 70 Prozent hingegen sagen, dass die Partnerschaften breite Bevölkerungsgruppen ansprechen.

Hobbies und persönliche Begegnungen spielen auch bei der Motivation eine entscheidende Rolle: Während über 60 Prozent der Befragten angeben, dass die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland bis 1975 mit zu den wichtigsten Gründungsmotiven für eine Partnerschaft gehörte, sind es seit 1990 eher Beweggründe wie eine "allgemeine Horizonterweiterung" oder "neue Möglichkeiten für junge Generationen". Dieses Bild bestätigen auch die Fokusgruppen, die wir für die Studie befragt haben. Gerade für jüngere Teilnehmer gehören persönliche Begegnungen und der Wunsch, über den Tellerrand zu schauen, zu den wichtigsten Motiven für die Teilnahme an den Partnerschaften.

Trotz junger Teilnehmer plagen viele Partnerschaften Nachwuchssorgen

Obwohl die Städtepartnerschaften breite Bevölkerungsgruppen ansprechen, stellt die Generation der über 60-Jährigen mit 40 Prozent die größte Teilnehmergruppe. Fast genauso viele kommen aus der Altersgruppe der 30- bis 60-Jährigen. Knapp ein Viertel ist jünger als 30. Entsprechend sorgen sich viele Engagierte auch um den Nachwuchs: Mehr als 80 Prozent der Befragten wünschen sich mehr aktive Bürger für die Städtepartnerschaften.

"Die Umfragewerte zeichnen insgesamt ein ermutigendes Bild, aber wir müssen auf allen Ebenen dafür sorgen, dass dieses Engagement nicht einschläft, sondern weiter wächst", so Céline Diebold. Sprachbarrieren sollten zumindest keine Ausrede für fehlendes Engagement sein: Über 60 Prozent der Befragten geben an, dass die Kommunikation, auch bei nicht perfekten Sprachkenntnissen, "irgendwie schon klappt".