Foto der Handwerkskammer Bielefeld 2016

Das duale Ausbildungssystem steht unter Druck

Die Ausbildungssituation in der Bundesrepublik scheint paradox: Während Betriebe über mangelnden Nachwuchs klagen, finden viele Jugendliche keine Lehrstelle. Unser "Ländermonitor berufliche Bildung" geht dieser Diskrepanz auf den Grund und vergleicht erstmals die Ausbildungssituation in den 16 deutschen Bundesländern.

Deutschlands duale Berufsausbildung gerät immer stärker unter Druck: Seit 2007 ist die Zahl der Bewerber für einen Ausbildungsplatz bundesweit von 756.000 auf 613.000 gesunken - ein Rückgang um 19 Prozent. Die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze ging mit 644.000 auf 563.000 ebenfalls zurück – ein Minus von 13 Prozent. Die rechnerischen Chancen auf eine Lehrstelle haben sich somit erhöht. Hauptschüler und Jugendliche ohne deutschen Pass profitieren davon allerdings kaum. Ihre Zugangschancen zum dualen System verbesserten sich nur geringfügig. Das sind zentrale Ergebnisse unseres "Ländermonitor berufliche Bildung".

Duale Ausbildung verliert in Ost und West an Boden

Zuletzt verlor die duale Ausbildung besonders in Ostdeutschland an Bedeutung. Seit 2007 halbierte sich die Zahl der Interessenten nahezu. Dies hängt auch mit dem demographisch bedingten Rückgang der Schülerzahlen im gleichen Zeitraum zusammen. Das Angebot an Ausbildungsplätzen schrumpfte mit minus 40 Prozent ebenfalls. In den neuen Bundesländern macht sich ein bundesweiter Trend besonders bemerkbar: Klein- und Kleinstbetriebe mit weniger als 50 Beschäftigten, die hier 98 Prozent der Betriebe ausmachen, reduzieren ihr Engagement in der Ausbildung. Auch in Westdeutschland ist die Zahl der Bewerber seit 2007 um 13 Prozent und die Anzahl der Ausbildungsstellen um 7 Prozent gesunken.

"Der Trend zur Akademisierung ist unumkehrbar. Um die rückläufigen Bewerberzahlen auszugleichen, muss sich unser Ausbildungssystem verstärkt Jugendlichen mit schwächeren Schulabschlüssen und Migrationshintergrund sowie Flüchtlingen öffnen."

Jörg Dräger, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stif-tung

Klassische Ausbildungsberufe bangen um Nachwuchs

Azubis fehlen insbesondere im Reinigungs- und Gastgewerbe oder der Lebensmittelverarbeitung. Hier gibt es die meisten unbesetzten Ausbildungsplätze. Einen solchen zu finden wird für ausländische Bürger und Jugendliche, die maximal einen Hauptschulabschluss haben, trotzdem kaum leichter. 2005 begannen nur 48 Prozent der Bewerber mit Hauptschulabschluss direkt eine betriebliche Lehre oder vollzeitschulische Ausbildung. 2013 waren es mit 51 Prozent unwesentlich mehr. Große Unterschiede zeigen sich im Bundesländervergleich: Während beispielsweise in Bayern 71 Prozent der Hauptschüler direkt eine Ausbildung beginnen, sind es in Schleswig-Holstein nur 37 Prozent.

Wem es nicht gelingt, direkt eine Ausbildung aufzunehmen, landet zunächst in Maßnahmen des sogenannten Übergangssystems. Dort können Jugendliche jedoch keine Berufsabschlüsse erwerben.

Hauptschüler mit ausländischem Pass bei Ausbildungsplatzsuche abgehängt

Die geringste Erfolgsquote bei der Ausbildungsplatzsuche haben Hauptschüler mit ausländischem Pass. Nur 37 Prozent von ihnen finden direkt eine Lehrstelle – deutlich weniger als deutsche Hauptschüler (54 Prozent). Doch je höher der Schulabschluss, desto weniger Einfluss hat die Nationalität. Bei ausländischen Schulabgängern mit Abitur oder Fachhochschulreife liegt die Erfolgsquote für den Eintritt in eine Berufsausbildung nur knapp unterhalb der ihrer deutschen Altersgenossen (94 zu 97 Prozent).

Schwieriger wird es, als Azubi den passenden Betrieb und als solcher den passenden Azubi zu finden. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass 2013 mehr als 30.000 Lehrstellen unbesetzt blieben, obwohl es mehr Bewerber als Stellen gab. Auch die Zahl aufgelöster Ausbildungsverträge deutet auf wachsende Probleme hin: 2013 wurden bundesweit 25 Prozent der Verträge vorzeitig gelöst – rund 4 Prozentpunkte mehr als 2008. Vertragslösungen sind allerdings nicht mit Ausbildungsabbrüchen gleichzusetzen, denn häufig wird die Ausbildung in einem anderen Betrieb fortgesetzt.

"Eine abgeschlossene Berufsausbildung ist das Minimum, mit dem junge Menschen das Bildungs-system verlassen sollten."

Jörg Dräger, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung

Auf die Bewerberrückgänge der vergangenen zehn Jahre müsse das Berufsausbildungssystem reagieren, meint Jörg Dräger, Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung. Bessere Berufsorientierung in den Schulen, intensivere Betreuung der Betriebe und der Azubis sowie eine Flexibilisierung der Ausbildungsgänge seien Maßnahmen, um das duale System zu öffnen und zu stärken. Dräger plädiert auch für eine staatliche Ausbildungsgarantie.

Den kompletten Ländermonitor finden Sie in der rechten Spalte. Zentrale Ergebnisse der Untersuchung und die detaillierten Berichte für alle 16 Bundesländer sind für Sie  unter www.laendermonitor-berufsbildung.de aufbereitet. 

Im untenstehenden Video fasst Lars Thies, Projektmanager der Bertelsmann Stiftung, die zentralen Ergebnisse des Ländermonitors zusammen.