Sibiriens vergessene Klaviere

Sibiriens vergessene Klaviere

Welch bedeutende Rolle Klaviere in Sibirien als Symbol europäischer Kultur spielen, zeigt die Britin Sophy Roberts auf ihrer extravaganten Spurensuche. Hier finden Sie exklusive Interviews, Videos und vieles mehr zum Buch.

Interview mit Sophy Roberts

Sophy Roberts, Sie sind eine bekannte Reporterin und haben viel von der Welt gesehen. Ihr erstes Buch, Sibiriens vergessene Klaviere, ist im englischen Original im Februar 2020 erschienen. Wie kamen Sie zum Schreiben?
Seit meiner Kindheit wollte ich schreiben. Ich verbrachte eine glück­liche Kindheit am Land, im Südwesten Schottlands, mein Vater betrieb eine Fischzucht. Orte waren für mich, für mein Schreiben seit jeher wichtig, lange bevor ich mir das Reisen leisten konnte oder als Journalistin dafür sogar bezahlt wurde. Mit zirka dreizehn Jahren schrieb ich ein Buch über unseren griesgrämigen Highland-Terrier (meine Mutter besitzt das einzige Exemplar), angesiedelt in der Heide- und Moorlandschaft meiner Kindheit. In meinen Dreißigern versuchte ich mich dann in der Belletristik. Damals schrieb ich einen Roman mit dem Titel The Butterfly Tide. Darin geht es um ein Kind, das durch eine Monsterwelle an einem Strand in Südirland ums Leben kommt. Auch diese Gegend kenne ich gut, weil mein Vater ein begeisterter Lachsfischer ist. Der ­Roman war nicht besonders gut, er liegt in einer Schublade bei mir ­zuhause.

Und dann ging es direkt zum erzählenden Sachbuch?
Erst in meinen Vierzigern habe ich erkannt, dass meine Berufung als Schriftstellerin darin liegt, die Geschichten anderer Leute aufzuzeichnen. Erzählende Sachbücher mit einem Schwerpunkt auf Erinnerungen von lebenden Menschen aus Fleisch und Blut, nicht nur aus Büchern bezogene Geschichten. Das ist für mich das richtige Vehikel für jene Art Empathie, die ich als Autorin und Reporterin entwickeln will. Ich möchte an Türen klopfen und Geschichten erfahren, die bis jetzt nicht erzählt worden sind. Autorin zu sein bietet einem eine Art magischen Zugang.

Wie muss man sich die Herangehensweise bei einem so großen Thema wie Sibiriens vergessene Klaviere vorstellen?
Von der Logistik her war das natürlich eine große Herausforderung. So lange Zeit in Sibirien, getrennt von meinen beiden kleinen Kindern in England, fast zehntausend Kilometer weit weg. Aber ich hatte mit meinem Verleger einen Abgabetermin vereinbart, und der erwies sich als sehr fordernd, war doch Sibirien viel größer, als ich es mir vorgestellt hatte (ein Elftel der weltweiten Landmasse). Als ich 2018 die erste Fassung von ­_Sibiriens vergessene Klaviere_ abgeschlossen hatte, war es ein Reisebuch. Und ich dachte, das wäre gut so. Die Stimme der Ich-Erzählerin war stark, eine Reihe von Erfahrungen, Erinnerungen, Interpretationen und Vorurteilen. Die Reise führte in einer Art Bogen von einem Rand Sibiriens zum anderen.

Dabei ist es aber dann nicht geblieben.
Nein, mein US-amerikanischer Verleger (Morgan Entrikin von Grove) war vollkommen anderer Ansicht. Er meinte, er brauche nicht noch ein Reisebuch; die Gattung selbst müsse neu belebt werden. Er hatte recht. Ich musste noch einmal alles durchdenken, zuhören und neu schreiben. Eine Woche haben wir uns dann zurückgezogen und auf seinem Küchentisch das Buch neu strukturiert, rund um das Objekt, das im ­Fokus stand, das ich suchte: Es ging um das Klavier und seinen Einfluss auf die russische Kultur, vom Ende des 18. Jahrhunderts, als Klaviere erstmals eingeführt wurden, bis in die unmittelbare Gegenwart. Die Chronologie veränderte sich von der einer Reise zu einem erzählerischen Bogen, den die Geschichte der Klaviere in Sibirien vorgab. Nicht mehr meine Reise stand jetzt im Mittelpunkt, sondern es entstand eine viel faszinierendere Mischung aus Musikgeschichte, Reiseerzählung und Naturbeschreibung.

Sophie Roberts im Gespräch mit Tessa Szyszkowitz

Michael Turek hat Sophy Roberts mit der Kamera begleitet

Newsletter
Newsletter